IPCC-Sonderbericht belegt dramatische Risiken der Erderwärmung für Landressourcen und Lebensmittelversorgung
Der am 08.08.2019 veröffentlichte wissenschaftliche Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) über Klimawandel und Landsysteme (SRCCL) zeigt, wie sehr der Klimawandel die Ökosysteme zu Land belastet und unterstreicht die Notwendigkeit, stärker als bislang dagegen anzukämpfen. Für den Bericht hatten 107 Experten aus insgesamt 53 Ländern 7.000 Studien und 28.000 Gutachterkommentare ausgewertet. Der Weltklimarat verglich die Zeiträume von 1850 bis 1900 und von 2006 bis 2015, und kam zu dem Schluss, dass der weltweite Temperaturanstieg über den Landflächen bereits 1,53 Grad erreicht habe. Unter Berücksichtigung der sich langsamer erwärmenden Meeresflächen liege das globale Temperaturplus gegenüber der vorindustriellen Zeit bei knapp 0,87 Grad.
Der im Rahmen einer Pressekonferenz in Genf vorgestellte IPPC-Sonderbericht offenbart substanzielle Risiken für die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten, indem er zeigt, wie sehr der Klimawandel die Ökosysteme zu Land belastet und die Notwendigkeit unterstreicht, viel stärker als bisher dagegen anzukämpfen. Schnelle und entschlossene Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen im Landsektor würden kurzfristig soziale und wirtschaftliche Vorteile bringen und langfristig Chancen für eine klimaresiliente Entwicklung. In den sieben Kapiteln des Reports geht es unter anderem um die Versteppung, die Einflüsse von Treibhausgasen und ein nachhaltigeres Landmanagement. Er erkennt die Wichtigkeit von Landflächen und Wäldern, und macht deutlich, dass Land eine begrenzte Ressource ist.
„Die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger (Summary for Policymakers, SPM) des SRCCL wurde auf der 50. IPCC-Plenarsitzung vom 2. bis 6. August 2019 in Genf, Schweiz, von den 195 Mitgliedsstaaten des IPCC Zeile für Zeile verabschiedet. Der Bericht einschließlich der SPM wurde am 7. August 2019 von den Mitgliedsstaaten angenommen.“ (IPCC)
Bereits 2018 hatte der Weltklimarat vor den Auswirkungen eines Anstiegs der Temperatur auf mehr als 1,5 Grad gewarnt. Dieser würde unter anderem zu Wassermangel und der Ausdehnung von Wüsten führen. Außerdem warnt der Bericht vor einer Zunahme von extremen Wetterkonditionen wie Hitzewellen und Dürren in den nächsten Jahrzehnten.
Dringende Empfehlungen des Weltklimarates
Um weitere Temperaturanstiege zu verhindern, müssen laut Weltklimarat vor allem Wälder und Moore geschützt werden. Außerdem sehen die Experten Gefahren für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln: „Die Stabilität des Nahrungsmittel-Angebots wird voraussichtlich sinken, da das Ausmaß und die Häufigkeit von Extremwetter-Ereignissen, die die Lebensmittelproduktion beeinträchtigen, steigen wird.“
Außerdem müssen dringend die Kohlendioxid-Emissionen gesenkt werden. Dies könne unter anderem auch durch eine Ernährung, die vor allem auf Gemüse und Getreide setzt, erreicht werden. Die Forst- und Landwirtschaft sei für etwa 23 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich – hier sehen die Experten großes Potenzial, um Treibhausgase zu reduzieren.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (zu einer Pressekonferenz von BMU und BMBF in Berlin zugeschaltet): „Der Bericht des Weltklimarats zeigt: Klimaschutz ist eine Existenzfrage für uns Menschen. Denn der Klimawandel gefährdet unsere Ernährungs- und Lebensgrundlagen. Die Land- und Forstwirtschaft ist ein Opfer dieser Entwicklung, aber sie ist auch ein wichtiger Verursacher und damit ein Teil der Lösung beim Klimaschutz. Die Art, wie die Menschheit mit dem Land umgeht, kann das Klima schützen oder schädigen. Der Bericht zeigt uns, dass Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft machbar ist und zugleich soziale, wirtschaftliche und ökologische Vorteile bringt. Die anstehende Reform der EU-Agrarförderung ist eine gute Gelegenheit, in Europa die richtigen Anreize für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft zu setzen.“ Die Landwirtschaft sei zugleich Verursacher und opfer dieser Entwicklung.
BMBF-Staatssekretär Georg Schütte: „Deutschland hat dank der Unterstützung durch die Bundesregierung eine starke wissenschaftliche Stimme im Weltklimarat. Die Wissenschaft mahnt uns, die Ergebnisse von vielen Jahrzehnten Forschung ernst zu nehmen. Die Folgen der Dürre im vergangenen und in diesem Jahr zeigen uns auch in unseren Breiten, dass wir moderne Technologien nutzen müssen, um nachhaltig mit den natürlichen Ressourcen an Land umzugehen. Aber das, was wir heute können, wird nicht reichen. Langfristig brauchen wir weitere Anstrengungen der Wissenschaft, um beispielsweise dürreresistente Pflanzen zu züchten oder Nahrungsmittel-Ketten zu entwickeln, die zu geringeren Verlusten nach der Ernte führen. Das geht oftmals nur in internationaler Zusammenarbeit, wie unsere BMBF-Kompetenzzentren zu Klimawandel und Landnutzung im westlichen und südlichen Afrika zeigen.“
Unklar blieb auf Nachfrage, warum das Landwirtschaftsressort nicht an der Pressekonferenz teilnahm.
Der Bericht zeigt einer gemeinsamen Medienmitteilung von BMU und BMBF zufolge, „dass fast ein Viertel der aktuellen menschengemachten Treibhausgasemissionen auf die Landnutzung, darunter Forst- und Landwirtschaft, zurückgehen. Gleichzeitig wirkt die Landbiosphäre als natürliche Treibhausgassenke, weil knapp 30 Prozent der anthropogenen CO2-Emissionen von Vegetation und Böden gebunden werden. Folgen des Klimawandels sind bereits nachweisbar. Mit zunehmender globaler Erwärmung sind negative Auswirkungen auf Ernteerträge, Nahrungsmittelversorgung, Nahrungsmittelpreise und Wasserverfügbarkeit zu erwarten. Gravierende Risiken könnten durch Vegetationsverlust und Artensterben, zunehmende Waldbrände, Boden- und Küstenerosion sowie das verstärkte Auftauen von Permafrostböden entstehen.
Es gibt wirksame Maßnahmen, die gleichzeitig dem Klimawandel und der Landdegradierung entgegenwirken. Dazu gehören nachhaltiges Land- und Forstmanagement sowie Maßnahmen im Ernährungssystem, zum Beispiel die Verringerung von Nahrungsmittelverschwendung und weniger ressourcenintensive Ernährungsweisen. Schnelles Handeln verringere das Risiko irreversibler Folgen für Ernährungssicherheit und für terrestrische Ökosysteme, die für das Wohlergehen der Menschen entscheidend sind. Die Kosten der Klimawandelfolgen würden die Kosten von schnellen Klimaschutzmaßnahmen in vielen Bereichen bei Weitem übersteigen.“
Greenpeace-Aktive fordern in Genf weniger Fleischproduktion – Futteranbau zerstört Wälder, die CO2 speichern
Die in Paris vereinbarten Klimaziele lassen sich nur erreichen, wenn die Fleischproduktion weltweit deutlich sinkt. Das ist nach Einschätzung von Greenpeace eine zentrale Botschaft des Weltklimarats-Sonderberichts Die Folgen der Erderhitzung und der intensiven Landnutzung sind etwa durch die industrialisierte Landwirtschaft und großflächige Waldrodungen für 23 Prozent der menschlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Durch die Abholzung von Wäldern, die Ausbreitung des Anbaus von Futterpflanzen sowie die Emissionen aus der Massentierhaltung wird der Klimanotstand weiter verschärft“, sagt Christoph Thies, Wald-Experte von Greenpeace.
Gegen die Untätigkeit der Regierungen beim Schutz der Ökosysteme protestierten Greenpeace-Aktive auf der Genfer Place des Nations protestiert. Sie forderten eine Agrarwende hin zu einer Landwirtschaft mit weniger Fleischproduktion und entrollten ein Banner mit der Aufschrift: „Less Meat = Less Heat. Climate Action NOW!“
Bundesregierung muss mit Lieferkettengesetz Wirtschaft in die Pflicht nehmen
Die Bundesregierung muss den Klimarisiken durch die industrialisierte Landwirtschaft begegnen, indem sie Anreize für landwirtschaftliche Betriebe setzt, weniger Tiere auf artgerechte Weise zu halten. Der Import von Tierfutter wie Soja ist umgehend zu verbieten, wenn für dessen Anbau wertvolle Ökosysteme zerstört werden. „Kanzlerin Merkel und die verantwortlichen Ministerinnen und Minister müssen endlich das Lieferkettengesetz auf den Weg bringen, und damit Unternehmen in die Verantwortung nehmen“, sagt Thies. „Hersteller müssen über die gesamte Lieferkette ihrer Produktion Sorge für Klima- und Umweltschutz tragen. Dazu müssen sie zum Beispiel nachweisen, dass sie und ihre Zulieferer nicht zur klimaschädlichen Zerstörung von Wäldern oder der Vernichtung von Arten beitragen.“ Weltweit sei es jetzt die vorrangige Aufgabe der Regierungen, Wälder und andere Ökosysteme, die CO2 binden, zu schützen und sie wieder wachsen lassen: „Die Bundesregierung muss dafür hierzulande die Bedingungen schaffen“, sagt Thies. „Nur wenn Deutschland weltweit ärmere Länder dabei unterstützt, die Waldzerstörung zu stoppen und die Wiederbewaldung voranzutreiben, können wir der globalen Klimakrise wirkungsvoll begegnen.“
Folgt: „Bei Mercosur geschlafen – keine Ausreden für die Kommission mehr: Wir brauchen Agrarwende jetzt“