Potsdamer Forscher postulieren neues Teilchen namens Gravitino und schlagen Nachweismethode vor
Etwa ein Viertel des Universums liegt buchstäblich im Schatten. Denn nach den Theorien der Kosmologen bestehen 25,8 Prozent aus Dunkler Materie, die sich im Wesentlichen über die Gravitation bemerkbar macht. Woraus dieser Stoff besteht, ist bisher unbekannt. Hermann Nicolai, Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, und sein Kollege Krzysztof Meissner von der Universität Warschau schlagen nun einen neuen Kandidaten namens Gravitino vor.
Das Teilchen ergibt sich einer Medienmitteilung vom 21.08.2019 folgend aus einem Ansatz, der erklären soll, wie sich das beobachtete Spektrum von Quarks und Leptonen im Standardmodell der Teilchenphysik aus einer fundamentaleren Theorie ableiten lassen könnte. Zudem empfehlen die Forscher eine Methode, das bisher hypothetische Gravitino tatsächlich aufzuspüren.
Das Standardmodell der Teilchenphysik umfasst die Bausteine der Materie sowie die Kräfte, die sie zusammenhalten. Demnach gibt es sechs verschiedene Quarks und sechs Leptonen, die sich in drei „Familien“ aufteilen, wobei die Materie um uns herum und wir selbst letztlich nur aus drei Teilchen der ersten Familie bestehen: dem Up- und Down-Quark sowie dem Elektron als Vertreter der Leptonen.
An diesem seit langem etablierten Standardmodell hat sich bis heute nichts geändert. Jedenfalls konnten die Wissenschaftler seit Inbetriebnahme des Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf vor rund zehn Jahren entgegen vielfach gehegter Erwartungen außer dem Higgs-Boson keine neuen Elementarteilchen nachweisen. Das heißt, Messungen am LHC haben bisher keinerlei Hinweise auf eine „neue Physik“ jenseits des Standardmodells geliefert. Diese Ergebnisse stehen in eklatantem Gegensatz zu zahlreichen vorgeschlagenen Erweiterungen des konventionellen Modells, die eine große Anzahl neuer Teilchen erwarten.
Nicolai und Meissner hatten in einem früher erschienenen Artikel in der Zeitschrift Physical Review Letters versucht, mit einem neuen Ansatz zu erklären, warum in der Natur lediglich die bereits bekannten Elementarteilchen als Grundbausteine der Materie vorkommen. Und warum entgegen früherer Überlegungen in dem bisher vermessenen Energiebereich keine neuen Partikel zu erwarten sind.
Daneben postulieren die beiden Forscher die Existenz sehr massereicher Gravitinos, die höchst ungewöhnliche Kandidaten für die Dunkle Materie sein könnten. In einer zweiten, jetzt bei Physical Review D erschienenen Publikation machen sie zudem einen Vorschlag, um auf die Spur dieser Gravitinos zu kommen.
In ihren Arbeiten greifen Nicolai und Meissner eine alte, auf der „N=8 Supergravitationstheorie“ basierende Idee des Nobelpreisträgers Murray Gell-Mann auf. Ein wesentliches Element ihres Ansatzes ist eine neuartige unendlich-dimensionale Symmetrie, die das beobachtete Spektrum der bekannten Quarks und Leptonen in drei Familien erklären soll. „Aus unserem Ansatz ergeben sich tatsächlich keine zusätzlichen Teilchen für gewöhnliche Materie, die anschließend wieder wegdiskutiert werden müssten, weil sie sich in den Beschleuniger-Experimenten nicht zeigen“, sagt Hermann Nicolai. „Im Gegensatz dazu kann unser Ansatz zumindest im Prinzip genau das erklären, was man sieht.“
Allerdings lassen sich die Vorgänge im Kosmos nicht ausschließlich mit gewöhnlicher, uns bekannter Materie deuten. Ein Indiz dafür sind Galaxien: Sie rotieren mit hoher Geschwindigkeit, und die sichtbare Materie – sie macht nur etwa fünf Prozent der Materie im Weltall aus – würde nicht ausreichen, um sie zusammenzuhalten. Jedoch weiß bisher trotz vieler Vorschläge niemand, woraus der Rest besteht. Die Natur der Dunklen Materie ist daher eine der wichtigsten offenen Fragen der Kosmologie.
Folgt: Ein Teilchen auf 10.000 km³