‚Klimawandel‘ oder ‚Klimakrise‘ – was sind angemessene Begriffe bei der Klima-Berichterstattung?
Liegt es vielleicht an den verwendeten Begriffen, dass wir das Problem der Erderhitzung nicht in den Griff bekommen? Eine Reihe englischsprachiger Medien, etwa der britische Guardian, hat jüngst seine redaktionellen Sprachregeln im Themenfeld Klima überarbeitet. Wie ist der Stand in Deutschland, Österreich und der Schweiz? klimafakten.de hat sich bei Journalisten und Verlagen umgehört und das Ergebnis der Recherche am 17.09.2019 veröffentlicht.
Der Schritt sorgte für erhebliches Aufsehen in der Medienbranche: Die britische Tageszeitung The Guardian und ihr sonntägliches Schwesterblatt The Observer haben vor einigen Monaten ihre redaktionellen Sprach-Konventionen im Themenbereich Klima geändert. Bislang übliche Begriffe wie ‚Klimawandel‘ oder ‚globale Erwärmung‘ seien nicht präzise genug oder nicht angemessen angesichts der teils dramatischen Erkenntnisse der Klimawissenschaften, hieß es. Stattdessen wollen beide Redaktionen künftig zum Beispiel von ‚Klimakrise‘ sprechen oder von ‚Klima-Notstand‘. Und Personen, die den wissenschaftlichen Sachstand zum Klima bezweifeln oder bestreiten, werden fortan „Wissenschaftsleugner“ genannt (statt weiter den Begriff „Klimaskeptiker“ zu benutzen, die beschönigende Selbstbezeichnung der Szene).
Zuvor hatten bereits andere englischsprachige Medien ihre internen Regelungen zur Klimaberichterstattung präzisiert oder geändert, etwa der britische Rundfunk BBC oder die US-Nachrichtenagentur AP. Aber wie ist eigentlich der Stand in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Welche Begriffe sind im deutschsprachigen Klima-Journalismus üblich – und findet auch dort ein Wandel statt? Gibt es gar ähnliche Regelungen wie bei Guardian & Co.?
Deutsche Medien: interne Debatten von dpa bis taz
Bernhard Pötter muss lachen, als er danach gefragt wird: „Eine ‚ordre du mufti‘ bei der taz??“ Pötter ist seit vielen Jahren bei der linksalternativen tageszeitung aus Berlin zuständig für Klimathemen. Eine grundsätzliche Regelung, sagt er, „würde bei uns niemals funktionieren“. Natürlich gebe es in der Redaktion die Debatte, ob Begriffe wie ‚Erderhitzung‘, ‚Erdüberhitzung‘ oder ‚Klimakrise‘ angemessener wären für die Berichterstattung. „‚Climate change‘ – aus dem Englischen übersetzt, heißt der Fachbegriff ja eigentlich ‚Klimaänderung'“, sagt Pötter. Insofern sei mit ‚Klimawandel‘ im Deutschen ein guter Terminus gefunden worden, „der beschreibt, dass da etwas Großes, etwas Bedrohliches passiert“. Statt über Begrifflichkeiten, findet Pötter, solle man lieber stärker über Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr streiten.
Auch bei der Süddeutschen Zeitung gibt es keine Hausregel. „Ich selbst benutze vermehrt den Begriff ‚Klimakrise'“, sagt Michael Bauchmüller, der das Thema im SZ-Hauptstadtbüro betreut. Zwar gebe es bei seinem Blatt Begriffe, „die in den Giftschrank kommen“ – doch das Wort ‚Klimawandel‘ gehöre nicht dazu. Bauchmüller sagt: „Klar, ‚Klimakrise‘ ist als Begriff stärker. Aber die meisten Leute verstehen auch unter ‚Klimawandel‘ das, was es ist: eine ernste Bedrohung.“
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat 179 Gesellschafter, ausschließlich Medienunternehmen wie Verlage und Rundfunkanstalten. Sie beziehen von der Agentur Texte zum Abdruck oder zur redaktionellen Verwendung – die dpa liefert daher Orientierung für den gesamten deutschen Journalismus. Laut ihrem Statut ist sie „unparteiisch und unabhängig von Einwirkungen und Einflüssen durch Parteien, Weltanschauungsgruppen, Wirtschafts- und Finanzgruppen und Regierungen“. In einem internen Regelwerk namens „Sprach-Kompass“ legt die Agentur fest, welche Begriffe ihre Journalisten für welches Phänomen benutzen sollen – und welche nicht. ‚Überfremdung‘ zum Beispiel, ein propagandistischer Kampfbegriff von Rechtspopulisten und -extremisten, ist in dpa-Texten tabu.
„Wir diskutieren derzeit intern Begrifflichkeiten der Klima-Berichterstattung“, erklärt dpa-Sprecherin Christina Gambarini, ein Ergebnis gebe es noch nicht. Gambarini: „Nur so viel schon jetzt: Den Begriff ‚Erderhitzung‘ benutzen wir bereits hin und wieder. Von ‚Wissenschaftsleugnern‘ hingegen schreiben wir in diesem Zusammenhang nicht und werden es sicher auch künftig nicht tun – nicht zuletzt, weil ja Klimaforschung nur einen Teil der globalen Wissenschaft ausmacht.“
Die Suche nach den richtigen Klima-Begrifflichkeiten beschäftigt also die Journalisten und Medienhäuser im deutschsprachigen Raum durchaus. „Natürlich hat die Initiative des Guardian auch bei uns eine Debatte entfacht“, bestätigt eine Redakteurin aus dem Wissensressort von Zeit Online. Auch beim Spiegel gibt es ähnliche Diskussionen, wie ein Mitarbeiter gegenüber klimafakten.de bestätigt. Das ganze Haus sei aber gerade vollauf beschäftigt mit der stärkeren Verzahnung der Redaktionen von wöchentlichem Magazin und dem Webportal Spiegel Online – und in beiden Teams gebe es teils grundsätzliche Differenzen im Umgang mit dem Thema, also ganz andere Baustellen als formale Sprachregeln.
Überhaupt nichts hält hingegen Werner Eckert, Gesicht der ARD in der Klimaberichterstattung, vom Begriff ‚Klimakrise‘. Der Krise wohne das Episodische inne: „Krisen werden entweder gelöst oder gehen vorbei“, sagt er. Deshalb sei in Bezug auf menschengemachte Klimaveränderungen die Bezeichnung ‚Krise‘ ganz und gar unangemessen: „Wir wissen, dass die Erderwärmung wohl nie mehr aufhören wird, und wir wissen gleichzeitig, dass wir unendlich weit von einer Lösung des Problems entfernt sind.“ In Eckerts Augen würde der Begriff ‚Klimakrise‘ also falsche Fährten legen, und auch vom Wort ‚Klima-Notstand‘ hält der ARD-Mann nichts: „Eine Stadt nach der anderen ruft den Klima-Notstand aus – ohne, dass dies irgendwelche Konsequenzen hat!“
Eckert leitet die Redaktion Umwelt und Ernährung beim Hörfunk des Südwestdeutschen Rundfunks, seine Beiträge laufen aber im gesamten Verbund der öffentlich-rechtlichen ARD-Anstalten. Dass ‚Klimawandel‘ als Begriff zu schwach ist für das epochale Problem, dass es zu beschreiben gilt – das räumt auch Eckert ein: „‚Erderhitzung‘ oder ‚Klimaerhitzung‘ halte ich für bessere Begriffe und nutze sie zunehmend auch.“ Wichtiger als Begrifflichkeiten sei ihm aber die gesamte Darstellungsweise des Themas. „Ich versuche, den Sachverhalt mit seiner Dramatik so genau wie möglich zu beschreiben.“
Ähnlich sieht es Joachim Wille, langjähriger Umweltredakteur der Frankfurter Rundschau und heute Chefredakteur des Berliner Online-Portals Klimareporter.de: „‚Klimawandel‘ sollte schon deshalb nicht generell durch ‚Klimakrise‘ ersetzt werden, weil man unter Krise einen vorübergehenden Zustand versteht, der zwar auch tiefgreifend sein und eventuell Jahre dauern kann, aber eine Rückkehr zur Normalität möglich erscheinen lässt. Das ist bereits beim aktuellen Stand des Klimawandels nicht möglich.“ Doch auch Wille räumt ein, dass es „richtig ist, vor einer ‚drohender Klimakatastrophe‘ oder einem ‚drohenden Klima-Zusammenbruch‘ zu warnen“. Mehr als 1,5 oder zwei Grad Temperaturanstieg führten bekanntlich zu dramatischen Veränderungen; „und derzeit ist die Welt auf einem Drei- bis Vier-Grad-Pfad.“
Österreich: „Die Dinge klar beim Namen nennen“
Das österreichische Pendant zur dpa ist die Austria Presse Agentur, kurz APA. Sie gehört zwölf Tageszeitungen des Landes und dem öffentlich-rechtlichen ORF. „Wir reflektieren immer wieder unsere journalistische Arbeit und Formulierungen in unserer Berichterstattung – das gilt auch für die Themen Umwelt und Klima beziehungsweise Klimapolitik“, erklärt APA-Chefredakteur Johannes Bruckenberger. In der eigenen Berichterstattung verwende man sowohl das Wort ‚Klimawandel‘, den seit Jahren etablierten Wissenschaftsbegriff, als auch „in der jüngeren Vergangenheit immer wieder mal“ den Terminus ‚Erderhitzung‘. Auch die Bezeichnung ‚Klimaleugner‘ findet sich in APA-Meldungen. Bruckenberger: „Aus journalistischer Sicht geht es weniger darum, ein bestimmtes Framing zu forcieren oder vorzugeben, sondern die objektiven Fakten zu berichten und die Dinge klar beim Namen zu nennen. Die durch wissenschaftliche Studien belegte dramatische Entwicklung der Klimaveränderung wird sich auch in Zukunft in unserer Berichterstattung darüber niederschlagen. Die Begrifflichkeiten werden dabei in einem evolutionären Prozess an die Entwicklungen angepasst.“
Auch Günter Pilch, Umweltredakteur der Kleinen Zeitung aus Graz, verzichtet auf das Wort ‚Klimaskeptiker‘. Es suggeriere nämlich, dass diese Personen eine Art „gesunden Skeptizismus“ an den Tag legten – was aber „in den allermeisten Fällen“ falsch sei. Nach Pilchs Eindruck wird das Wort ‚Erderhitzung‘ bereits in etlichen österreichischen Medien verwendet, auch in seinem Blatt – doch ‚Erderwärmung‘ komme derzeit noch häufiger vor. Ähnliches gelte für die Begriffe ‚Klimawandel‘ und ‚Klimakrise‘.
Schweiz: „Wer Fakten zu Fake News erklärt, soll das nicht im SRF tun“
In der Schweiz läuft die Begriffsdebatte schon länger auch öffentlich. So schrieb bereits vor drei Jahren Stefan Boss in der Basler TagesWoche einen ausführlichen Text zum Thema mit der Überschrift: „Warum die Kima-Erwärmung eigentlich eine Klima-Erhitzung ist“. Er selbst, sagt Boss, verwende beide Begriffe. Das Wort ‚Klimawandel‘ helfe, „die Leute abzuholen“, aber das Wort ‚Klimaerhitzung‘ beschreibe das Phänomen präziser.
Auch der Journalist Christian Mihatsch hatte bereits deutlich vor der Entscheidung des Guardian seine Kollegen dazu aufgerufen, ihre Sprache der Situation anzupassen. In einem Beitrag für das Schweizer Medienmagazin Edito schrieb Mihatsch im April dieses Jahres: „Während in jedem Lebensbereich inflationär mit dem Wort ‚Krise‘ hantiert wird, bezeichnen die Medien die einzige existenzielle Krise der Menschheit als ‚Wandel‘. Dabei müsste man längst vom ‚Klimanotstand‘ sprechen.“
„Natürlich habe ich mir meine Gedanken gemacht, als ich die Mitteilung des Guardian las“, sagt Martin Läubli, Wissenschaftsjournalist beim Tages-Anzeiger aus Zürich. Eine offizielle Debatte in seiner Redaktion gebe es aber nicht. „Generell haben wir Mühe mit dem Wort Leugner, weil es an Begriffe wie Holocaust-Leugner erinnert. Obwohl es irrational und im Grunde falsch ist, bleiben wir beim ‚Skeptiker‘.“ Auch den Terminus ‚Erderhitzung‘ anstelle von ‚Erderwärmung‘ lehnt Läubli ab, „weil ‚Erhitzung‘ etwas Alarmistisches suggeriert, und genau dies war und ist eines der Probleme der heutigen Klimadebatte“. Läubli findet, es brauche eine Versachlichung bei dem Thema – und der Begriff ‚Erderhitzung‘ trage dazu nichts bei.
Der öffentlich-rechtliche SRF habe zur Begriffsverwendung „keine einheitliche und strenge Richtlinie in dieser Frage wie beispielsweise die BBC„, erklärt Mark Livingston, Bereichsleiter Aktualität bei SRF News. Klar sei aber: Wissenschaftlich sei die Frage längst entschieden, ob es einen menschengemachten Klimawandel gibt. Und deshalb habe seine Anstalt jüngst in punkto Klimadiskussion in einem internen Papier festgehalten: „Es ist unsere Aufgabe, diese Diskussion differenziert zu führen – unter Berücksichtigung aller Interessengruppen und politischen Ansichten. Eine differenzierte Diskussion verlangt jedoch nicht, jenen Platz einzuräumen, die den durch Menschen erzeugten Klimawandel gänzlich abstreiten und ihn als Verschwörung von Wissenschaftlern und Medien sehen“, betont Livingston – und damit liegt der SRF dann doch ganz auf der Linie, welche die BBC für sich formuliert hat. „Wer erwiesene Fakten zu Fake News erklärt, soll das tun, aber bitte nicht bei SRF. Damit üben wir nicht Zensur aus, sondern nehmen unsere journalistische Verantwortung wahr.“
Einen Kommentar des Darmstädter Journalistik-Professors Torsten Schäfer zum Thema hier