Umstellung von Kohle und Erdöl auf Gas erhöht Treibhauseffekt um rund 40%
Eine Studie der Energy Watch Group warnt laut pv magazine und Hans-Josef Fell davor, dass Erdgas den Klimawandel sogar noch beschleunigen könnte. Eine Initiative aus Baden-Württemberg (Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg) fordert daher auch, Quoten für grünen Wasserstoff und Biogas im Erdgasnetz vorzuschreiben, um eine wirkliche Energiewende zu schaffen.
Vor dem Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung legte die Energy Watch Group am 16.09.2019 neue wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Zukunftstauglichkeit von Erdgas vor, das von der Regierung häufig als Beitrag zum Klimaschutz bezeichnet wird. Das zentrale Ergebnis entlarvt dieses vielfach verbreitete Bild von Erdgas als klimaschonende Brückentechnologie: Durch alarmierende Methanemissionen erhöht die Umstellung von Kohleverstromung und Ölheizung auf Erdgas den Treibhauseffekt der Energieversorgung um rund 40%. Somit leistet Erdgas entgegen der von weiten Teilen der Öffentlichkeit vermittelten Darstellung keinen Beitrag zum Klimaschutz, sondern beschleunigt gar den Klimawandel zusätzlich.
Die Studie des unabhängigen Berliner Think-and-Do-Tanks berechnet erstmalig die Klimawirkung einer fossil-fossilen Substitution durch Erdgas auf Basis der neuesten Forschung zu den Methan- und Kohlendioxidemissionen der gesamten Lieferkette. Zudem wurde die Klimawirkung hinsichtlich des für potenzielle Klima-Kipppunkte relevanten 20-Jahres Horizonts ausgewertet. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eventuelle CO2-Einsparungen durch die hohen Methanemissionen von Erdgas bei weitem überkompensiert werden, sodass eine Umstellung von Kohle und Erdöl im Strom-, Wärme-, und Verkehrssektor auf Erdgas die höchst negative Klimawirkung von Kohle und Erdöl sogar noch deutlich übertrifft.
„Die Studie bestätigt, dass die Förderung des höchst klimaschädlichen Erdgases den Klimawandel weiter verschärft“, erklärte Hans-Josef Fell, Ex-MdB und Präsident der Energy Watch Group. Fell, als Ko-Autor an der Studie beteiligt, fordert ein Umdenken in der aktuellen politischen Debatte um die Zukunft des Energiesektors. „Der Plan der CDU, allen voran der Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, eine Abwrackprämie für Ölheizungen, aber nicht auch für Erdgasheizungen einzuführen, dient weder dem Klimaschutz noch den VerbraucherInnen. Abwrackprämien muss es für Erdöl-, Erdgas- und Kohleheizungen geben.“
„Wir haben jüngst aufgedeckt, dass sich die jährlichen Subventionen für klimaschädliches Erdgas in Deutschland in 2017 auf enorme 1,4 Mrd. Euro beliefen.“, kommentierte Uwe Nestle, Geschäftsführer des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). Bestehende und neue Subventionen in fossile Energien seien aber kontraproduktiv zur Erfüllung der Pariser Klimaziele. „Investitionen in die erneuerbaren Energien hätten dagegen umgehend und dauerhaft einen sehr positiven Effekt auf das Klima.“, so Nestle. Was hieraus folgt ist für Dr. Thure Traber, Mitautor und leitender Wissenschaftler der EWG, eindeutig: „Wenn die Klimaziele auf deutscher und internationaler Ebene wirklich erreicht werden sollen, dann ist es für Investitionen in Erdgas schlichtweg unmöglich sich zu amortisieren. Was bleiben wird sind Stranded Investments in Milliardenhöhe.“
Was genau die Politik tun muss, um ein zukunftsfähiges Energiesystem aufzubauen, ist für die Studienautoren eindeutig: Sofortige Abschaffung aller Subventionen für fossile Energieträger und flächendeckende Einführung emissionsfreier, erneuerbarer Technologien, dabei kann die vorhandene Erdgas-Infrastruktur für klimafreundliches Biogas und grüne Gase wie Wasserstoff aus Ökostrom weiter verwendet werden. Da ein weltweiter Umstieg des Energiesystems auf 100% erneuerbare Energien 55% der globalen Treibhausgasemissionen einsparen würde muss diese Maßnahme im Zentrum aller Klimaschutzbemühungen stehen. Die vorliegende Studie zeigt eindrucksvoll, dass für eine verantwortlich betriebene Politik fossile Energien keine Rolle spielen dürfen, auch nicht das fälschlicherweise als klimafreundliche Brückentechnologie bezeichnete Erdgas.
Verpflichtende Quote für grünen Wasserstoff gefordert
Dazu passt eine Forderung der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg. Sie fordert von der Landesregierung stärker auf die Erzeugung von grünem Wasserstoff aus Photovoltaik und Windkraft zu setzen. Auf diese Weise könnte die Dekarbonisierung der Strom- und Wärmeerzeugung vorangetrieben werden. Aus Sicht der Plattform wäre eine gesetzlich festgelegte und über die Jahre steigende Quote für grünen Wasserstoff und Biogas im Erdgasnetz ein geeignetes Mittel, um die Entwicklung zu beschleunigen und die Gasinfrastruktur auch künftig zu nutzen. „Aus Klimaschutzgründen wird es für die Zukunft entscheidend sein, den Anteil von konventionellem Erdgas schnell zu reduzieren. Nur mit grünem, regenerativ erzeugtem Gas ist die Gaswirtschaft ein wirklicher Partner für die Energiewende“, so Jörg Dürr-Pucher, Vorsitzender der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg. Bei konventionellem Erdgas würden Treibhausgase nicht nur bei der Verbrennung in Blockheizkraftwerken oder Gaskesseln emittiert, auch die hohen Emissionen während Förderung und Transport müssten berücksichtigt werden, insbesondere bei Fracking-Gas aus den USA.
Sektorenkopplung mit grünem Wasserstoff
Aus erneuerbarem Strom hergestellter grüner Wasserstoff bringt nach Aussage von Dürr-Pucher zudem Strom- und Gasnetz enger zusammen, Die ist aus Sicht der Plattform EE BW neben dem Ausbau von Wärmenetzen ein Schlüsselelement zur Energiewende. Auf diese Weise würde unter Rückgriff auf bestehende Infrastrukturen die Flexibilität im Energiesystem erhöht und eine zusätzliche Speichermöglichkeit geschaffen. Insgesamt könnte damit auch die für eine vollständige Energiewende notwendige Sektorenkoppelung vorangetrieben werden.
„Die schnelle Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien im Gasnetz wird eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der nächsten Phase der Energiewende bis 2030 und darüber hinaus im zukünftigen System der vollständigen regenerativen Energieversorgung spielen“, ergänzte Franz Pöter, ebenfalls Vorsitzender der Plattform.
Der schnelle Aufbau von Kapazitäten für grünen Wasserstoff und Power-to-X-Technologien sei gerade für Süddeutschland mit Blick auf den Kohle- und Atomausstieg von essenzieller Bedeutung. Auch sollten Gaskraftwerke langfristig mit grünem Gas, der aus Photovoltaik- oder Windkraftanlagen stammt, betrieben werden. Deshalb fordert die Plattform Erneuerbare Energien die Landesregierung dazu auf, über den Bundesrat dazu beizutragen, den Anteil von grünem Gas zu erhöhen.
Die Einführung einer verpflichtenden Quote erscheint ihr dafür als adäquates Instrument. Schon ab dem Jahr 2021 sollte nach Ansicht der Plattform eine anspruchsvolle Quote für Gasversorger festgelegt werden, die dann über die Jahre stark ansteigt. Die Plattform EE BW will den Dialog mit Politik und Gaswirtschaft suchen, um ehrgeizige, aber machbare Ziele zu erreichen.
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