Schulze: „Klimaschutz wird Gesetz!“

Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf

Wie ein Jubelruf klingt die Überschrift über der BMU-Medienmitteilung; Das Bundeskabinett hat am 09.10.2019 auf Vorschlag von Bundesumweltministerin Svenja Schulze das Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht, das gesetzlich verbindliche Klimaschutzziele für jedes Jahr und jeden einzelnen Bereich vorsieht. Deutschland sei das erste Land, das sich einen derart verbindlichen Fahrplan in Richtung Treibhausgasneutralität gebe. Sollte ein Bereich vom Kurs abkommen, greift ein verbindlicher Nachsteuerungsmechanismus als Sicherheitsnetz. Auch das Ziel, dass Deutschland bis 2050 treibhausgasneutral wird, wird erstmals gesetzlich verankert. Das Gesetz geht nun in die parlamentarischen Beratungen. Die Reaktionen von Opposition und Verbänden reichen von verhalten bis hart kritisch.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „Wir haben beschlossen, dass Deutschlands Klimaziele erstmals gesetzlich verbindlich werden. Künftig wird klar geregelt, was passiert, wenn ein Bereich vom vereinbarten Klimakurs abweicht und wer dann wie nachbessern muss. Damit lernen wir aus den Fehlern der Vergangenheit. Dass Deutschland sein Klimaziel verfehlt, darf sich nicht wiederholen. Das Klimaschutzgesetz wird die Art, wie die Bundesregierung beim Klimaschutz zusammenarbeitet, fundamental verbessern. Ab jetzt sind alle Ministerien Klimaschutzministerien.“

Das Klimaschutzgesetz schreibe zum ersten Mal gesetzlich verbindlich vor, wie viel CO2 jeder Bereich pro Jahr ausstoßen dürfe. Dafür gelten klar bezifferte und überprüfbare Sektorziele für jedes Jahr zwischen 2020 und 2030. Zugleich wird jedes Jahr überwacht, ob ein Bereich zu viel CO2 ausstößt – und zwar vom Umweltbundesamt und einem unabhängigen Expertenrat. In dem Fall, dass ein Bereich vom Reduktionspfad abweicht, verpflichtet das Gesetz die verantwortlichen Ministerien zu sofortigen Maßnahmen. So sorgt das Klimaschutzgesetz dafür, dass das übergreifende Klimaziel für 2030 (-55% CO2 im Vergleich zu 1990) verlässlich erreicht wird.

Darüber hinaus schreibe das Gesetz erstmals das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 für Deutschland gesetzlich fest. Bislang lag das 2050-Ziel der Bundesregierung noch bei 80 bis 95 Prozent CO2-Reduktion. Das neue Ziel ist damit das klare Signal an alle Branchen, sich rechtzeitig auf eine Wirtschaftsweise ohne fossile Energien vorzubereiten. Vereinbart werde auch, dass die Bundesregierung im Jahr 2025 jährlich absinkende Emissionsmengen für die Zeit nach 2030 festlegen müsse, die dann den Pfad in Richtung Treibhausgasneutralität 2050 genauer beschreiben werde.

PK zum Klimaschutzprogramm 2030 – Screenshot © Phoenix.tvJPG

Klimaschutzprogramm 2030

Das Bundeskabinett beschloss heute außerdem das Klimaschutzprogramm 2030. Dieses Programm beruht auf den Eckpunkten, die das Klimakabinett am 20. September beschlossen hatte, ist allerdings ausführlicher. Das Programm enthält zahlreiche umfassende Maßnahmen, die noch in diesem Jahr per Kabinettsbeschluss auf den Weg gebracht werden sollen. Vereinbart wurde zugleich, die Klimaschutzwirkung des Programms von zwei unabhängigen Gutachtern bewerten zu lassen. Die Ergebnisse der Gutachten werden anschließend veröffentlicht.

BUND: Kabinett rechnet sich Klimaschutz schön

Mit dem heute beschlossenen Klimaschutzpäckchen stellt die Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit massiv in Frage. Dieses Sammelsurium, das heute vom Kabinett gebilligt wurde, bringt lediglich ein Drittel dessen auf die Waage, was zur Erreichung der Klimaziele 2030 nötig ist. „Die Folgekosten des unterlassenen Klimaschutzes sind jetzt schon größer als die geplanten Investitionen in den Klimaschutz“, erklärt Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Jetzt muss die Regierung bis zur Weltklimakonferenz effektive Maßnahmen draufsatteln, andernfalls zementiert sie ihr klimapolitisches Versagen.“ Das Klimaschutzgesetz von Umweltministerin Schulze sollte wenigstens garantieren, dass die Regierung künftig nachlegen muss.

„Die Unionsfraktion hat das Klimaschutzgesetz so gerupft, dass es kaum Druck für Verbesserungen entfalten wird. Bevor dieses Gesetz vom Bundestag beschlossen werden kann, muss es stark nachgebessert werden“, fordert Weiger. „Die längst beschlossenen Klimaziele nach 2030 zu streichen ist ein starkes Stück, die Treibhausgasneutralität muss das verbindliche Ziel sein. Die Erklärungen der Kanzlerin von Klimaschutz als ‚Menschheitsherausforderung‘ werden vor diesem Hintergrund zur Farce.“

Der jetzige Entwurf sieht vor, dass sich die Regierung bei der Emissionsminderung weiterhin weitgehend selbst kontrolliert. Dazu Weiger: „Die Selbstkontrolle der Bundesregierung ist in der letzten Dekade gründlich schiefgegangen. Alle Klimaschutzprogramme haben drastisch weniger Einsparungen gebracht als zuvor veranschlagt.“ Die Regierung bringt den Mut nicht auf, klimaschädliche Subventionen zu streichen. Versagen in einem Sektor müsse durch Sofortmaßnahmen im jeweiligen Sektor umgehend behoben werden. „Sonst wird das Klimakabinett zum Klimabasar, auf dem die Minister versuchen werden, ihre Bilanz schönzurechnen.“

Für das von Kanzlerin Merkel zugesagte effektive und vom BUND stets positiv bewertete Monitoring muss deshalb der Expertenrat für Klimaschutz die Regierungsmaßnahmen in einem Jahresgutachten evaluieren und eigene Vorschläge machen, so Weiger. „Nur wenn der Rat der Experten die Leitlinie für den Ehrgeiz beim Klimaschutz ist, hat er eine effektive Funktion.“ Zudem müsse der Bundestag als weitere „Transparenz- und Kontrollinstanz“ einbezogen werden. „Das ist wichtig, gerade weil Klimaschutz eine breite Akzeptanz haben muss“, sagt der BUND-Vorsitzende.

VKU-Präsident Michael Ebling:“…hätten ambitionierteres Handeln begrüßt“

„Die Bundesregierung hat ein umfassendes Klimaschutzprogramm auf den Weg gebracht. In der Summe lässt sich sagen: Mit diesem Programm wird der Klimaschutz in Deutschland ein erhebliches Stück vorankommen. Die Kommunalwirtschaft hätte bei einigen Maßnahmen allerdings ein ambitionierteres Handeln begrüßt – etwa bei der CO2-Bepreisung, der Wärmewende oder der Windenergie an Land.

Der Beschluss der Bundesregierung zeigt aber vor allem, dass Klimaschutz vor Ort stattfindet. Viele der enthaltenen Maßnahmen werden künftig direkt von den Kommunen und den kommunalen Unternehmen umgesetzt. Sei es im Bereich der Mobilität, der Strom- und Wärmeversorgung, der Energieeffizienz, der digitalen Infrastruktur oder etwa der Abfallentsorgung. Und weil gerade die Leichtathletik-WM war: Klimaschutz ist wie Zehnkampf. Es reicht nicht, nur in einer Disziplin gut zu sein.

Das Klimaschutzprogramm 2030 liefert wichtige Bausteine für den Transformationsprozess in den Kommunen hin zur nachhaltigen, vernetzten und klimaneutralen Stadt. Viele Städte und Gemeinden haben sich mit ihren lokalen Unternehmen schon auf den Weg gemacht. Die beschlossenen Maßnahmen werden diese Entwicklung weiter ankurbeln. So begrüßen wir etwa, dass Photovoltaik künftig stärker ausgebaut und Mieterstrommodelle vereinfacht werden sollen. Jetzt kommt es auf eine zügige Umsetzung der Maßnahmen an. Wir brauchen einen verlässlichen Rahmen, um zügig anzupacken und weitere Schritte zu mehr Klimaschutz vor Ort auf den Weg bringen zu können. Dies gilt insbesondere für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung und der notwendigen Wärmenetze. Indem etwa der Umstieg von Kohle auf Gas-KWK besser angereizt wird, können die Stadtwerke die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung und die Reduzierung der Kohleverstromung voranbringen.“

BEE: Klimaschutzprogramm verhindert dynamischere Energiewende und Erreichen der Klimaziele

„Die Bundesregierung verabschiedet sich mit dem Klimaschutzprogramm 2030 de facto vom 65-%-Erneuerbare-Energien-Ziel bis 2030“, kritisiert Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), die entsprechende Vorlage für die heutige Kabinettssitzung. „Die Stromerzeugung der verschiedenen Erneuerbaren-Quellen im Programm zusammengerechnet, ergibt für 2030 einen um etwa zwei bis viereinhalb Prozent geringeren Stromverbrauch als heute – das ist unrealistisch. Der Stromverbrauch wird steigen, da unter anderem für die Sektorenkopplung, für Wasserstoff-Anwendungen sowie die zunehmende Elektrifizierung des Verkehrs mehr sauberer Strom benötigt wird. Effizienzgewinne können das nicht abfedern.“

Das vorgelegte Klimaschutzprogramm 2030 benenne den Bedarf an Sektorenkopplung klar. Auch rücke es an zahlreichen Stellen Wasserstoff in den Vordergrund. Der – aus Sicht des BEE viel zu geringen – CO2-Bepreisung schreibt das Klimaschutzprogramm die Aufgabe zu, die richtigen Anreize für eine zunehmende Elektrifizierung und die sektorenübergreifende Energiewende zu setzen. All dies spiegele sich aber nicht in den Passagen zu den Zubauzahlen wider. „Vor allem die Windkraft wird weiter gebremst und verliert ihre wichtige Rolle für den Klimaschutz. Das ist nicht konsistent. Denn 65 Prozent Erneuerbare Energien sind ein fundamentaler Bestandteil der Energie- und Klimapolitik, im Koalitionsvertrag festgeschrieben und für die Einhaltung der Klimaschutzziele unbedingt notwendig. Auch die Planungssicherheit für die Industrie wird ganz nebenbei vom Tisch gewischt.“

Trotz umfassender Expertenkritik nach Bekanntwerden des ersten Entwurfs des Klimaschutzprogramms gab es keine Erhöhung des CO2-Preises. „10 Euro je Tonne CO2 entfalten keine ökologische Lenkungswirkung. Schnelle und spürbare Erfolge bei der CO2-Einsparung benötigen vor allem einen dynamischen Ausbau der Erneuerbaren Energien und einen wirksamen CO2-Preis. Das Klimaschutzprogramm 2030 wird diesen Aufgaben nicht gerecht“, so Peter abschließend.

Andree Böhling, Greenpeace-Klimaexperte:

„Die Ära Merkel wird enden wie sie begonnen hat: gebrochene Versprechen und zu wenig Taten im Klimaschutz. Das Paket der Regierung schiebt überfällige CO2-Minderungen erneut um Jahre auf. So wird weder die Lücke beim Klimaschutzziel 2020 zügig geschlossen noch das Ziel für 2030 erreicht. Die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und das 1,5-Grad-Ziel verliert die Regierung damit vollends aus den Augen.

Die Klimabeschlüsse der Großen Koalition müssen gerade von jungen Menschen als Angriff auf Ihre Zukunft aufgefasst werden. Minimalkonsens und das mit dieser Regierung ‚politisch Machbare’ reichen nicht aus, um die Eskalation der Klimakrise zu stoppen. Für Greenpeace ist klar: Die Klimaproteste haben gerade erst begonnen.“

->Quellen: