Heilsbringer Musk? Eine Presseschau
„Tesla greift deutsche Autobauer an“, titelte bizz-energy seine Meldung: Der amerikanische Elektroauto-Hersteller Tesla will vor den Toren Berlins, in Grünheide in Brandenburg eine neue Fabrik bauen – gleich in der Nähe des Flughafens BER. Experten spechen von einer Kampfansage Musks an die verschlafenen deutschen Autoschmiede. Die Kommentare sind überwiegend positiv. Doch ist auch von schwierigen Arbeitsbedingungen die Rede. Eine Presseschau.
In den Jubel der Politiker mischt sich auch Skepsis. Das inforadio vom RBB erinnert: „Verzögerungen bei der Model-3-Produktion bescheren Tesla immer wieder negative Schlagzeilen. 2018 müssen die Produktionsziele immer wieder verschoben werden. Vor einer ‚extrem schwierigen Herausforderung‘ steht Tesla nach Musks Angaben vor allem dabei, seine Produkte zu konkurrenzfähigen Kosten im Wettbewerb mit den fossilen Energieträgern zu bauen. Um die Kosten zu senken, kündigt er im Januar 2019 die Streichung von tausenden Stellen an. Nach zwei Quartalen in den roten Zahlen überrascht Tesla zuletzt allerdings mit guten Zahlen und kehrt im dritten Quartal 2019 in die Gewinnzone zurück. Die Aktie erlebt einen Höhenflug.“
Die taz lobt: „Die Entscheidung des Unternehmens ist ein Beispiel, wie Standortwettbewerb gehen sollte. Tesla braucht ein grünes Image, Brandenburg hat es, weil es dort viel Ökostrom gibt. Dort lässt sich klimaschonend produzieren, Ökologie wird zum positiven Wirtschaftsfaktor. Das ist die Idee eines Green New Deal, wie ihn die neue EU-Kommission oder die US-Demokraten wollen. Demnach obsiegt im Wettbewerb, wer sauberer wirtschaftet“.
Die Märkische Oderzeitung hofft auf Vorteile für die Region: „Endlich mal wieder Aussicht auf eine richtige Großansiedlung. Es zeigt, dass Wirtschaftsförderer und Politiker gute Arbeit geleistet haben. Und dass freie, bebaubare Flächen inzwischen eine nicht zu unterschätzende Ressource sind. Musks Ankündigung, die international Schlagzeilen machte, ist eine Werbung für das Land.“
Auch die Hessische Niedersächsische Allgemeine aus Kassel sieht es positiv: „Effiziente Fabriken aufbauen, das können die Deutschen – Tesla hatte bislang einige Probleme damit. Hinzu kommt, dass durch den Wandel in der Autobranche frei werdende Fachkräfte eine gute Starthilfe für die deutsche Tesla-Produktion werden könnten. Für deutsche Autobauer bedeuten die Tesla-Pläne mehr Konkurrenz direkt vor der Haustür. VW & Co. werden sich strecken müssen, denn ein Tesla steht nicht nur für E-Mobilität, sondern auch für eine gute Portion Lifestyle. Doch steckt in dieser Herausforderung auch eine Chance für die heimischen Konzerne – Wettbewerb belebt das Geschäft und kann Innovationen antreiben, wie etwa beim dringend benötigten Ausbau dezentraler Ladeinfrastruktur“.
Die Neue Osnabrücker Zeitung wägt ab: „Die großen Cluster der Automobilindustrie in Deutschland liegen woanders: Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern sind die Hotspots der Branche. In Berlin-Brandenburg ist ein Autobauer ein Exot. Das kann Vorteil und Nachteil zugleich sein. Möglicherweise gibt die Ansiedlung Teslas der Wirtschaft rund um die Fabrik einen Schub. Falls nicht, müssen noch mehr Komponenten von Herstellern, mit denen der US-amerikanische Autobauer schon heute in Deutschland kooperiert, zur neuen Produktionsstätte gefahren werden“.
Das Manager-Magazin denkt über Subventionen nach: „Die Ankündigung des US-Autobauers Tesla, eine Auto- und Batteriefabrik in der Nähe Berlins bauen zu wollen, bringt auch neuen Schwung in die Diskussion um die Förderung der Batteriezellen-Produktion von Seiten der Bundesregierung. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte bereits Ende 2018 eine Milliarde Euro an Subventionen ausgelobt für Unternehmen, die die Herstellung von Batteriezellen in Deutschland ansiedeln. Aber war das wirklich sinnvoll? Letztlich geht es dabei auch um viele Tausend Arbeitsplätze in der deutschen Wirtschaft. Der US-Autobauer Tesla allerdings macht nun deutlich, dass derartige Milliardenanreize aus der Staatskasse womöglich gar nicht erforderlich sind: Der US-Konzern will Batteriezellen demnächst im großen Stil in Deutschland produzieren – und das, obwohl er zumindest als Empfänger der Altmaier-Gelder offenkundig nicht in Frage kommt.“
Die Badischen Neuesten Nachrichten reagieren skeptisch: „Das Projekt wirft Fragen auf. Eine ist, wie Musk es ernsthaft schaffen will, in Deutschland bis Ende 2021 eine komplette Fabrik zu bauen. Eine andere Frage wäre, wo qualifizierte Arbeitskräfte für die Fabrik herkommen sollen. Bis zu 10.000 Jobs hat Musk in Aussicht gestellt, gerade in Brandenburg wäre ein solches Jobwunder willkommen. Aber weder Berlin noch Brandenburg verfügen über diese Masse an einschlägig ausgebildeten Menschen. Und selbst wenn es gelingen sollte: Die Berichte über schlechte, ausbeuterische Arbeitsmethoden im Tesla-Stammland USA reißen nicht ab“.
Die Zeit haut in die gleiche Kerbe: „120-Stunden-Woche ist hier nicht, Elon! Die Politik freut sich, weil Tesla eine Fabrik in Brandenburg bauen will. Doch mit seinen Angestellten muss Elon Musk hierzulande anders umgehen als mit denen in den USA. Doch was erwartet deutsche Fachkräfte bei Tesla? Und was erwartet Elon Musk von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Schaut man an die Orte, an denen bisher Fabriken des Konzerns stehen, nach Buffalo und Nevada in den USA, wird klar: viel. Musk ist bekannt für seinen unermüdlichen Einsatz. Und den fordert er auch von seinen Leuten. Dabei ist ihm egal, ob es sich um Kolleginnen aus dem Topmanagement oder vom Fließband handelt. 80- und mehr Stundenwochen sind bei Start-ups im Silicon Valley normal – und ganz offenbar auch für Musk, der nach eigenen Angaben 120 Stunden in der Woche arbeitet. Der Satz ‚es gibt viel einfachere Orte, um zu arbeiten, aber niemand hat jemals die Welt mit 40 Stunden pro Woche verändert‘ stammt von ihm. Fachkräfte in der Entwicklung können sich bei Tesla also schon mal auf eine ausgeprägte Start-up-Kultur – mit wahrscheinlich allen spaßigen Gadgets, den stylischen Büros, Topfpflanzen und Tischtennisplatten, aber auch der in jungen Unternehmen oftmals vorausgesetzten Selbstausbeutung – einstellen. Und die Menschen am Fließband? In der riesigen Fabrik im Südosten der Bucht von San Francisco sollen Arbeiter bis zu zwölf Stunden am Stück schuften. Fließbandarbeit ist naturgegeben monoton. Bei Tesla soll sie körperlich besonders zehrend sein – und auch Musk selbst soll mehrfach von einer „Produktionshölle“ gesprochen haben. Gewerkschaftlich organisiert sind die Tesla-Arbeiter in den USA nicht. Dazu kommt ein Stundenlohn von anfangs 19 Dollar, der deutlich unter dem Durchschnitt der Autohersteller in den USA liegt. Ein nicht sonderlich üppiges Gehalt für viele Tesla-Mitarbeiter. “
Die Lübecker Nachrichten geben zu Bedenken: „Musk, der sich gern als freier Radikaler des Unternehmertums inszeniert, hat bei seinen Projekten immer wieder im großen Stil von Staatsgeld profitiert. Damit stellt sich die Frage, ob es mit den braven Standortvorteilen Brandenburgs – Ökostrom, zentrale Lage – am Ende getan sein wird. Oder ob Musk gerade pokert: Gigantische öffentliche Erwartungen plus enger Zeitplan summieren sich zu hohem Druck auf die Politik, Tesla jeden echten oder vermeintlichen Stein aus dem Weg zu räumen.“
->Quellen:
- bizz-energy.com/tesla_greift_deutsche_autobauer_an
- deutschlandfunk.de/presseschau-aus-deutschen-zeitungen
- manager-magazin.de/stellen-teslas-plaene-peter-altmaiers-subventionen-in-frage
- inforadio.de/sendungen/14/388566
- zeit.de/tesla-arbeitsbedingungen-elon-musk-elektroauto-autoindustrie