BMBF: ESYS kann weitermachen
Das BMBF setzt die Förderung für „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) über 2020 hinaus fort – diese Zusage machte Ministerialdirigent Volker Rieke im Rahmen der diesjährigen Jahresversammlung am 19.11.2019 im Berliner Futurium unter dem Titel „Energie.System.Wende. 2019“. Wie kann Digitalisierung eine dezentralere Energieversorgung ermöglichen und die Flexibilisierung des Strommarkts unterstützen? Wer trägt die Verantwortung in einem zunehmend dezentralisierten und digitalisierten Energiesystem? Und inwiefern muss sich der rechtliche Rahmen für eine klimaschonende und auch stärker international vernetzte Energieversorgung ändern? Darüber diskutierten die Gäste der Jahresversammlung von „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) mit Stakeholdern der Energiewende diskutieren.
Die Energiewende befindet sich an einem Wendepunkt: Einerseits leitet Deutschland mit dem Ausstieg aus Kernenergie und Kohleverstromung das Ende einer überwiegend auf fossilen Brennstoffen basierenden Stromversorgung ein. Andererseits können sich die immer stärker ausgebauten Erneuerbaren Energien noch nicht vollständig am Markt etablieren. Und: die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr müssen stärker vernetzt werden. Der Übergang in die nächste Phase ist mit großen Herausforderungen verbunden:
- Der Ausbau der Erneuerbaren verändert das Energiesystem: es wird dezentraler, kleine Erzeugungseinheiten ergänzen große Kraftwerke, und die Prosumer können selbst Strom produzieren. Für ein stabiles, bezahlbares und nachhaltiges Energiesystem muss die Balance zwischen zentralen und dezentralen Elementen gefunden werden.
- Um die Erneuerbaren besser in das Gesamtsystem zu integrieren und die Sektorkopplung voranzutreiben, braucht es außerdem ein neues Marktdesign. Der Strommarkt der Zukunft muss flexibel und effizient sein, damit eine sichere und bezahlbare Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energiequellen überhaupt möglich ist.
- Notwendige Basis für mehr Dezentralität und Flexibilität im Energiesystem sind Informations- und Kommunikationstechnologien. Sie ermöglichen eine effiziente Steuerung und Überwachung der Energieversorgung. Doch die Digitalisierung birgt auch Risiken wie Manipulationen und Cyberangriffe. Nur wenn digitale Energieinfrastrukturen sicher und zugleich sichernd sind, nützen sie der Energiewende.
Wie kann Digitalisierung eine dezentralere Energieversorgung ermöglichen und die Flexibilisierung des Strommarkts unterstützen? Wer trägt die Verantwortung in einem zunehmend dezentralisierten und digitalisierten Energiesystem? Und inwiefern muss sich der rechtliche Rahmen für eine klimaschonende und auch stärker international vernetzte Energieversorgung ändern? Darüber möchte ESYS mit Stakeholdern der Energiewende diskutieren.
Eingangs stellten die drei Präsidenten der drei ESYS tragenden Vereinigungen ihre Positionen zum Thema der Jahresversammlung dar: Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina („ist die Politik auf dem richtigen Weg? Ja, aber sie könnte schneller gehen“), Hanns Hatt, Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften („wir haben 120 Diskussionen zur Energiewende veranstaltet“), und Dieter Spath, Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften („wir wollen viele junge Menschen, die emotional herangehen, motivieren, selber Hand anzulegen und die Dinge besser zu machen“).
Ministerialdirigent Volker Rieke, Leiter der Abteilung „Zukunftsvorsorge – Forschung für Grundlagen und nachhaltige Entwicklung“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), sagte: „Ja, es geht vielen nicht schnell genug. wir hören das – aber die Weichen sind richtig gestellt. Unter wissenschaftlicher Beratung.“ Man müsse den Aspekt „Gerechtigkeit“ stärker mitdenken.Eine neue Phase in der Wissenschaft habe deutlich gemacht: „Ein Weiter so geht nicht.“ Grüner Wasserstoff sei das Schlüsselelement; infolge der Umstellung auf nachhaltige Energien müssten wir große Mengen importieren. Denn inzwischen sei Deutschland „weder Leitmarkt noch Leitanbieter“. ESYS werde weiter geführt.
„Ich habe selten jemanden getroffen, der vollständig Unrecht hatte“
Den Begriff Gerechtigkeit stellte auch Andreas Feicht, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) in den Mittelpunkt, neben „die Menschen mitnehmen“. Kompromiss und Kommunikation seien die Werkzeuge: „Ich habe selten jemanden getroffen, der vollständig Unrecht hatte. Insofern sei die Energiepolitik vollkommen ungeeignet zum Streit. Unter dem „strengen Blick der Wissenschaft“ sei das Leitinstrument für die Energiewende das Preissignal. Das Ordnungsrecht könne kein gerechter Weg sein – wir müssten Zeit für die Anpassung lassen – das sei das Leitsignal des Klimapakts. Aber: „Wir müssen uns auf eine Welt hoher CO2-Preise einstellen.“ Die im Gesetzentwurf zum Kohleausstieg stehenden Abstandszahlen für Windgeneratoren verteidigte Feicht: „Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen gibt, die stark betroffen sind.“ Akzeptanzmaßnahmen verteuerten und verzögerten Projekte. Angesichts von mehr als 1.000 Bürgerinitiativen bräuchten wir ein Infrastruktur-Management.
In einem anschließenden von Jeanne Rubner (BR, li.) moderierten Gespräch „Die Zukunft beginnt heute!“ wiederholte Emma Fuchs von Fridays for Future die Forderung, 180 Euro für die Tonne CO2 zu verlangen, und Karen Pittel, Leiterin des ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen und Mitglied des ESYS-Direktoriums, nannte das zwar problematisch sah aber die gegenwärtig in Rede stehenden 10 € genauso kritisch. Die Wirksamkeit eines CO2-Preises hänge von den Kosten der Alternative ab. 180 € seien schon „realistisch, aber nur nicht gleich morgen“. Pittel wies auf die indirekten Subventionen hin, alles, was nicht bepreist werde, Emissionen etwa und ihre gesundheitlichen Folgen. Dafür demonstriere FfF: für Klimagerechtigkeit.
„Netzengpässe sind gekommen um zu bleiben“
„Herausforderungen für die nächste Phase der Energiewende“ – Gespräch mit Jutta Hanson, Leiterin des Fachgebiets Elektrische Energieversorgung an der Technischen Universität Darmstadt, Christoph Mayer, Leiter des Bereichs Energie am OFFIS – Institut für Informatik und Felix Müsgens, Professor für Energiewirtschaft an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Die Netzexperin Jutta Hanson forderte wiederholt den „zügigen Netzausbau – wir brauchen alle Energiearten“. Mayer betonte die Gefahr des Cyber-Hackings, da sei man noch nicht sicher; er forderte Plattformen wie Kritis als Schutz. Müsgens sagte: „Netzengpässe sind gekommen um zu bleiben“; nötig sei ein sinnvolles Netzengpass-Management, dabei gebe es kein „Silver Bullet“. Derzeit hätten wir Kosten von mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr. Um das abzusenken, bräuchten wir einen „technologie-offenen Wettbewerb“. Zur Abstandsregelung: „Abstand wovon?“ Das sei derzeit noch offen. Hanso forderte „mehr Offenheit zum Ausprobieren – wenn Projekte deshalbnicht mögölich sind, weil die Regulatorien nicht erfüllt werden können, dann ist was falsch!“
In einer abschließenden Podiumsdiskussion unter dem Titel „Digitaler, dezentraler, flexibler – wie gelingt die internationale Vernetzung?“ tauschten (v.r.) Dirk Uwe Sauer, Professor am Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe der RWTH Aachen und ESYS-Sprecher, Bernhard Zymla, Abteilungsleiter Energie und Verkehr bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ, Kirsten Westphal, Wissenschaftlerin „Globale Fragen“ der Stiftung Wissenschaft und Politik, und Philipp Wendel, Beauftragter für Energie- und Klimapolitik beim Auswärtigen Amt, ihre Ansichten aus. Sauer wies auf grundsätzliche technische Unterschiede zwischen der Strom und der Gasversorgung hin: „Wenn das Stromnetz ausfällt, gibt es breitflächig keinen Strom; beim Gas gibt es immer noch irgendwo eine Leitung“. Desertec sei wegen der politischen Instabilitäten, auch wegen des arabischen Frühlings, aber auch infolge der Kostensenkung des Solarstroms ins Stocken geraten; schließlich hätten die nordafrikanischen Staaten zunächst einmal die eigene Stromversorgung dekarbonisieren wollen.
Zymla wies darauf hin, dass viel Länder sehr national dächten; die GIZ versuche hier einiges, wie etwa den West African Power Pool – der leiste beides: Vernetzung und Dezentralität. Beim Thema Wasserstoff erklärte Sauer, man könne nicht in Wasserstoff-Mobilität einsteigen, wenn es keine Infrastruktur gebe, zunächst müssten Tankstellen gebaut werden, dann könne man Wasserstoff anbieten. Wendel klärte ein Missverständnis auf: Viele Länder förderten zwar Wasserstoff, aber blauen, klimaschädlichen aus Erdgas. In Sachen Zusammenarbeit bezweifelte Westphal, dass das alte Narrativ, Deutschland stehe für Austausch und Zusammenarbeit, nicht mehr stimme: Innerhalb der EU falle mehr und mehr der kritische Blick auf Deutschland, Fukushima mit der Atomwende sei in Europa nicht hinreichend kommuniziert worden, der deutsche Stromexport in die Nachbarländer erfreue nicht alle gleichermaßen, und schließlich gelte Gleiches für Nordstream 2, das sei eher ein deutsch-russischer Alleingang.
Mit ESYS geben acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften Impulse für die Debatte über Herausforderungen und Chancen der Energiewende in Deutschland. Im Akademienprojekt erarbeiten mehr als 100 Fachleute aus Wissenschaft und Forschung Handlungsoptionen zur Umsetzung einer sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Energieversorgung. ESYS wurde im April 2013 gestartet. Die Federführung des Projekts liegt bei acatech.
->Quellen:
- energiesysteme-zukunft.de
- eigene Aufzeichnungen und Fotos von Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify
- energiesysteme-zukunft.de/esys-jahresveranstaltung-2019