Um den Klimawandel zu bekämpfen, aufs große Ganze schauen (See the Forest for the Trees)!
Während sich die Welt um die Bekämpfung der Entwaldung bemüht, warnen Experten davor, dass unsere Bemühungen weitaus weniger Nutzen bringen könnten, als wir denken, schrieb Isabella Kaminski am 12.11.2019 im Portal Undark. Sie begann malerisch: „Wenn sich die meisten Menschen einen Wald vorstellen, haben sie ein dichtes Netz von Bäumen vor Augen, deren Kronen sich hoch oben bogenförmig wölben, und zwischen den Blättern blinkt und blinzelt die Sonne hindurch. Manchem kommt vielleicht auch Vogelgezwitscher in den Sinn und Insektensurren, oder er denkt an dicke Laubschichten im Unterholz, das Knirschen und Knacken kleiner Äste unter den Füßen, oder an überwucherte Pfade, die durch das Dickicht mäandern.“
Kaminski weiter: Unabhängig von der jeweiligen Bildsprache ist der Wald zweifellos malerischer als das, was die Definition der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) vermittelt: Eine Fläche von mehr als 1,25 Hektar, bevölkert von Bäumen ab 16 Fuß Höhe, mit mehr als 10 Prozent Überdachung. Während diese einfache und unkomplizierte Liste von Attributen die Klassifizierung von Land erleichtern könnte, gibt sie wenig Aufschluss darüber, wie ein Wald aussehen kann und sollte, was wichtig ist, da nicht erst jüngste Forschungen zeigen, dass nicht alle Wälder gleich beschaffen sind.
Aus klimatischer Sicht ist der Wald lebenswichtig, weil er von Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen besiedelt ist, die Kohlendioxid aus der Luft filtern und speichern. Obwohl die CO2-Menge, die ein Wald aufnehmen kann, vielleicht bisher überschätzt wurde (solarify.eu/waelder-als-kohlenstoffsenken-moeglicherweise-ueberschaetzt), besteht kein Zweifel, dass große, gesunde Waldgebiete Treibhausgasemissionen ausgleichen und so den Klimawandel entschleunigen können.
Den großen Wert des Waldes haben die Vereinten Nationen betont, als sie ihr REDD+-Programm auf den Weg brachten, das den Entwicklungsländern Geld zur Verfügung stellt, damit sie ihre Wälder schützen, anstatt sie zu fällen, was auch im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 verankert wurde. Auch die Bonn Challenge, die schon 2011 von Deutschland und der International Union for Conservation of Nature (Internationale Vereinigung zur Erhaltung der Nautur) ins Leben gerufen wurde, hatte zum Ziel, bis 2020 weltweit mehr als eine halbe Million Quadratmeilen abgeholzter und ruinierter Waldflächen bis 2030 mehr als zu verdoppeln.
Auch die Privatwirtschaft will Anstrengungen unternehmen, um ihre umweltschädlichen Eingriffe auszugleichen. Im April sagte der Ölriese Shell 300 Millionen Dollar zu, um die CO2-Emissionen seiner Kunden durch Walderneuerungsprojekte in Ländern wie den Niederlanden und Spanien auszugleichen. Allerdings befürchten Experten, dass hinter solchen Hilfsmaßnahmen ein derart eingeschänktes Bild von dem steht, was einen Wald ausmacht, dass sich ihr Nutzen sehr in Grenzen halten wird. In einem im April in Nature veröffentlichten Kommentar stellten Simon Lewis, Professor für Global Change Science am University College London, Charlotte Wheeler, Waldforscherin an der University of Edinburgh, und ihre Co-Autoren fest, dass fast die Hälfte der im Rahmen der Bonn Challenge zugesagten Fläche tatsächlich geplante Plantagen sind, auf denen einzelne Baumarten – zur Holzverarbeitung oder zur Nahrungsmittelproduktion – gezüchtet werden. Dies könnte zwar die globale Anzahl der „Waldflächen“ auf der ganzen Welt erhöhen, aber die Forscher befürchten, dass solche Plantagen wenig zur Klimarettung beitragen werden.
„Obwohl Plantagen die lokale Wirtschaft unterstützen können, speichern sie Kohlenstoff bei weitem nicht so gut wie naturbelassene, vom Menschen ungestörte Wälder. Bei der regelmäßigen Ernte und Rodung von Plantagen wird alle 10 bis 20 Jahre gespeichertes CO2 wieder in die Atmosphäre abgegeben. Natürliche Wälder dagegen binden Kohlenstoff noch viele Jahrzehnte lang.“
Und es geht nicht nur um Kohlenstoff. Gesunde, reife Wälder unterstützen viele Lebensformen, indem sie Nährstoffe, Lebensraum und Schatten liefern und aufnehmen. Sie fangen Wasser auf, speichern und filtern es. Sie verbessern die Luftqualität durch die Beseitigung von Schadstoffen. Ein funktionierender Wald verhindert, dass die Böden geschädigt werden, hält diese produktiv, kann das Risiko von Überschwemmungen auf tiefer gelegenen Böden verringern und ist dem Menschen Quelle für Holz, Nahrung, Medizin und Arbeitsplätze. Für Wissenschaftler wie Lewis und Wheeler stellt sich allerdings die Frage, ob die Politik konkurrierende Interessen derart ausbalancieren kann, damit geförderte Erhaltungs- und Wiederaufforstungsmaßnahmen in kürzester Zeit tatsächlich die erhoffte Wirkung erlangen.
Das aktuelle Bild der globalen Wälder ist unterschiedlich. Laut einem vergangenes Jahr in Nature veröffentlichten Artikel stieg die Gesamtbaumbedeckung zwischen 1982 und 2016 um etwa 7 Prozent, wobei Verluste in tropischen Regionen durch Gewinne in anderen Regionen ausgeglichen wurden.
Allerdings ist die Gesamtwaldmenge weltweit von 1990 bis 2015 um rund 3 Prozent gesunken. Bis 2015 waren nur 9 Prozent der eisfreien Flächen mit primären oder intakten Wäldern ohne oder mit minimaler menschlicher Nutzung bedeckt, so ein Bericht, den der Weltklimarat im Sommer 2019 zum Thema Landnutzung (solarify.eu/klimawandel-bedroht-unsere-lebensgrundlage) veröffentlicht hat. Weitere 22 Prozent entfielen auf gepflanzte oder bewirtschaftete Wälder, die für Holz, Zellstoff oder andere Zwecke genutzt werden.
Das IPCC mahnte dringend die Beendigung der Emissionen durch großflächige Entwaldungen, besonders in den Tropen, freigesetzten Treibhausgase an, weil sonst die noch verträgliche Klimaerwärmung von 1,5 Grad Celsius überschritten werde. Gleichzeitig argumentierte der IPCC-Bericht, dass Wiederaufforstung und Aufforstung im großen Stil erforderlich sein werden.
Nach Ansicht von Experten sollten Aufforstungsmaßnahmen die Arbeit zum Schutz der bestehenden Wälder nicht ersetzen, denn es sei entscheidend, den richtigen Mix zu finden. Obwohl Bäume in ihren frühen Jahren schneller Kohlenstoff aufnehmen, stellen Lewis und Wheeler fest, dass reife, natürliche Wälder 40 mal besser Kohlenstoff speichern als Plantagen, und sechsmal besser als die Flächen, auf denen Agro-Forstwirtschaft betrieben wird.
Dies ist wichtig, da Baumpflanzversuche unbeabsichtigte Folgen haben können. Eine Studie in vier Entwicklungsländern, die zwischen 1961 und 2007 von der Nettowaldabholzung auf die Nettowiederaufforstung umgestellt haben, ergab, dass die meisten mehr Holz und landwirtschaftliche Produkte aus dem Ausland importierten – was zu Waldverlusten oder -schädigung an anderer Stelle führen könnte.
Folgt: China vorne