Graphen-Nanostrukturen werden magnetisch

Vor 40 Jahren vorhergesagtes Molekül synthetisiert

Graphen, die zweidimensionale Struktur aus Kohlenstoff mit hervorragenden mechanischen, elektronischen und optischen Eigenschaften, schien bisher für magnetische Anwendungen nicht nutzbar. Forschern der  Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) ist es einer Medienmitteilung zufolge nun gemeinsam mit Kollegen der technischen Universität Dresden, der Aalto Universität in Finnland, dem Max Planck Institut für Polymerforschung in Mainz sowie der Universität Bern gelungen, ein in den 70er Jahren vorhergesagtes Molekül zu synthetisieren, das beweist, dass Graphen-Nanostrukturen in ganz bestimmten Formen magnetische Eigenschaften aufweisen, die künftige spintronische Anwendungen erlauben könnten. Die Ergebnisse sind eben in Nature Nanotechnology erschienen.

Graphen-Nanostruktren (auch Nanographene genannt) können, je nach Form und Ausrichtung der Ränder, ganz unterschiedliche Eigenschaften besitzen – zum Beispiel elektrisch leitend, halbleitend oder isolierend sein. Eine Eigenschaft war bisher aber praktisch unerreichbar: Magnetismus. Empa-Forschern ist es nun gemeinsam mit Kollegen gelungen, eine Graphen-Nanostruktur zu bauen, die magnetische Eigenschaften besitzt – und gar ein entscheidendes Bauteil für Spin-basierte Elektronik sein könnte, die bei Raumtemperatur funktioniert.

Graphen besteht aus Kohlenstoffatomen, doch Magnetismus ist eine Eigenschaft, die kaum mit Kohlenstoff in Verbindung gebracht wird. Wie also ist es möglich, dass Graphen magnetische Eigenschaften erhält? In Graphen sind die Kohlenstoffatome wie in einem Bienenwabengitter angeordnet. Jedes Kohlenstoffatom geht dabei mit seinen drei Nachbarn entweder Einfach- oder Doppelbindungen ein. Bei einer Einfachbindung verbinden sich ein Elektron von jedem Atom – ein sogenanntes Valenzelektron – mit dem Nachbarn, bei einer Doppelbindung jeweils zwei. Die Darstellung organischer Verbindungen mittels alternierender Einzel- und Doppelbindungen ist als Kekulé-Struktur bekannt. Sie ist nach August Kekulé benannt, der diese Darstellung im Jahr 1865 zuerst für die einfachste organische Verbindung, Benzol, vorschlug (Bild 1). Aus dem quantenmechanischen Ausschlussprinzip von Wolfgang Pauli folgt dabei, dass sich die Elektronenpaare im gleichen Orbital jeweils in ihrer Drehrichtung – dem sogenannten Spin – unterscheiden müssen.

„Bei bestimmten, aus Sechsecken aufgebauten Strukturen ist es allerdings unmöglich, eine alternierende Abfolge von Einfach- und Doppelbindungen zu finden, die die Bindungsanforderungen aller Kohlenstoffatome erfüllt. Bei diesen Strukturen bleibt gezwungenermaßen ein Elektron – oder auch mehrere – außen vor, das keine Bindung eingehen kann“, erklärt Shantanu Mishra, der in der Empa-Forschungsgruppe nanotech@surfaces unter der Leitung von Roman Fasel an neuartigen Nanographenen forscht. Dieses Phänomen der unfreiwillig ungepaarten Elektronen nennt sich „topologische Frustration“.

Doch was hat das nun mit Magnetismus zu tun? Die Antwort liegt in den „Spins“ der Elektronen. Die Drehung eines Elektrons um seine eigene Achse bewirkt nämlich ein winziges Magnetfeld, ein magnetisches Moment. Wenn sich wie üblich zwei Elektronen mit gegensätzlichen Spins in einem Orbital eines Atoms befinden, so löschendiese Magnetfelder einander. Ist ein Elektron hingegen allein in seinem Orbital, so bleibt das magnetische Moment bestehen – und ein messbares Magnetfeld ist die Folge.

Das allein ist schon faszinierend. Doch um den Spin der Elektronen als Schaltungselemente nutzen zu können, braucht es noch eine Stufe mehr. Eine Antwort könnte in einer Struktur liegen, die unter dem Rastertunnelmikroskop in etwa aussieht wie eine Fliege.

Zwei frustrierte Elektronen in einem Molekül

Bereits in den 70er Jahren sagte der tschechische Chemiker Erich Clar, eine Koryphäe auf dem Gebiet der sogenannten polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (Nanographene), eine spezielle Struktur voraus, die als „Clar’s Goblet“ bekannt ist. Sie besteht aus zwei symmetrischen Hälften und ist so aufgebaut, dass in jeder der Hälften ein Elektron topologisch frustriert bleiben muss. Da die beiden Elektronen aber doch über die Molekülstruktur miteinander verbunden sind, sind sie antiferromagnetisch gekoppelt – das heißt, ihre Spins zeigen zwingend in entgegengesetzte Richtungen.

In seinem antiferromagnetischem Zustand könnte das Goblet als logisches „NOT“-Gatter, also als Invertor, wirken: Wird der Spin am Eingang umgedreht, so muss sich der Ausgang ebenfalls drehen. Es ist allerdings auch möglich, die Struktur in einen ferromagnetischen Zustand zu bringen – mit beiden Spins in dieselbe Richtung. Dazu muss die Struktur mit einer bestimmten Energie, der sogenannten Austauschkopplungsenergie, angeregt werden, so dass eines der Elektronen seinen Spin umdreht.

Damit das Gatter in seinem antiferromagnetischen Zustand aber stabil bleibt, darf es nicht spontan in den ferromagnetischen Zustand wechseln. Dazu muss die Austauschkopplungsenergie höher sein als die Energie, die beim Betrieb des Gatters bei Raumtemperatur frei wird. Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass eine künftige spintronische Schaltung (siehe Kasten) auf der Basis von Graphen-Nanostrukturen auch bei Raumtemperatur fehlerfrei funktioniert.

Von der Theorie zur Realität

Bislang waren Raumtemperatur-stabile, antiferromagnetische Kohlenstoff-Nanostrukturen aber nur theoretisch vorausgesagt. Zum ersten Mal gelang es nun den Forschern, eine solche Struktur auch praktisch herzustellen und zu zeigen, dass die Theorie auch tatsächlich der Realität entspricht. „Die Struktur zu realisieren ist anspruchsvoll, da Clar’s Goblet einerseits höchst reaktiv ist, und andererseits die Synthese sehr komplex ist“, erklärt Mishra. Aus einem Vorläufermolekül konnten die Forscher Clar’s Goblet im Ultrahochvakuum auf einem Goldsubstrat realisieren. Mit verschiedenen Experimenten konnten sie zeigen, dass es genau die vorausgesagten Eigenschaften besitzt.

Sie fanden zudem, dass die Austauschkopplungsenergie in diesem Molekül mit 23 meV relativ hoch ist (Bild 2) – und somit Spin-basierte logische Operationen bei Raumtemperatur stabil sein könnten. „Damit ist ein kleiner aber wichtiger Schritt Richtung Spintronik gelungen“, sagt Roman Fasel.

Spintronik – zusammengesetzt aus den Wörtern „Spin“ und „Elektronik“ – ist ein Forschungsgebiet in der Nanotechnologie. Ihr Ziel ist, Elektronik zu erschaffen, bei der Information nicht wie bislang mit der elektrischen Ladung von Elektronen codiert wird, sondern mit deren durch die Drehung des Elektrons („Spin“) verursachten magnetischen Moments. Dieser Elektronenspin ist eine quantenmechanische Eigenschaft – ein einzelnes Elektron kann also nicht nur einen fixen Zustand „Spin-Aufwärts“ oder „Spin-Abwärts“ besitzen, sondern eine quantenmechanische Überlagerung dieser beider Zustände. Spintronik könnte damit künftig nicht nur eine weitere Miniaturisierung von elektronischen Schaltungen ermöglichen, sondern könnte auch elektrische Schaltelemente mit ganz neuen, bisher unbekannten Eigenschaften ermöglichen.

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