„Solange andere Staaten keine ambitionierte Klimapolitik betreiben, muss die deutsche Politik pragmatisch vorgehen“
Das Preissignal im EU-Emissionshandel bremst nur die Hälfte des deutschen CO2-Ausstoßes. Beim Rest tut sich wenig – und europarechtlich bindende Verpflichtungen zwingen die Regierung zum Handeln. Ein Kurzdossier des Berliner Thinktanks Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change zeigt den Ausweg.
1. Das Problem
Mit der bisherigen Politik habe Deutschland keine Chance, seine Verpflichtungen aus der EU-Lastenteilungsverordnung einzuhalten: Bis 2030 müsse der CO2-Ausstoß in den nicht vom Emissionshandel erfassten Bereichen um 38 Prozent unter den Stand von 2005 sinken; schon 2021 greife ein Limit, das Jahr für Jahr strenger werde. Wegen der absehbaren Verfehlung (siehe Grafik) drohten milliardenschwere Strafzahlungen und schwere Schäden für die Glaubwürdigkeit der EU-Klimapolitik. Zudem brauche es eine sozial austarierte Lösung: Es gehe vor allem um Verkehr und Wärme – also Tanken und Heizen, so das MCC.
2. Der Hintergrund
Vereinzelt gebe es zwar Bemühungen, auch bei Verkehr und Wärme, CO2-Emissionen zu begrenzen, etwa durch Kfz-Flottenstandards auf EU-Ebene oder Förderprogramme für Heizungen. Doch das Klimagas erhalte hier kein Preisschild, geschweige denn angekündigte künftige Preisanstiege. Das setze geringe Anreize für Investitionen in emissionsarme Technologien. Soziale Ausgewogenheit werde nicht berücksichtigt, heißt es weiter.
3. Die Lösung
Es sei auch in den nicht vom EU-Emissionshandel erfassten Bereichen notwendig, den Paradigmenwechsel vom Ordnungsrecht zum marktwirtschaftlichen Ansatz einer CO2-Bepreisung vorzunehmen. Das sei sozialverträglich machbar.
Von Europa aus denken. Das Ziel sei mittel- bis langfristig ein EU-weit einheitlicher CO2-Preis in allen Bereichen. Dann würden Emissionen dort gemindert, wo es am günstigsten gehe, die Minderung müsse ja schneller erfolgen als je zuvor. Der beste Rahmen sei der EU-Emissionshandel – doch das bedürfe zeitintensiver politischer Koordinationsprozesse zu Ausgestaltung und Lastenteilung und sei deshalb die Perspektive für die Zeit spätestens nach 2030.
Zeitnah einsteigen. Eine zunächst nationale CO2-Bepreisung lasse sich als Steuer oder als separater Emissionshandel realisieren. Beide Instrumente seien bei geeigneter Ausgestaltung grundsätzlich gleichwertig. Eine CO2-Steuer sei administrativ einfacher und rascher implementierbar. Aus empirisch begründeten Annahmen zu „Elastizitäten“ – also wie stark ein Preisanstieg die Nachfrage nach klimaschädlichen Produkten drossle – lasse sich abschätzen, mit welchen CO2-Preisen Deutschland die versprochenen Minderungen 2021 bis 2030 erreichen könne.
Zeitpfad festlegen. Bei einer CO2-Steuer erscheine ein Preispfad von 50 Euro je Tonne CO2 im Jahr 2020 steigend auf 130 Euro 2030 angezeigt. Im Verkehrsbereich blieben die bisherigen Energiesteuern bis zu einer grundlegenden Finanzreform zusätzlich bestehen – sie ließen sich unabhängig vom Klimaschutz begründen, etwa mit Luftverschmutzung oder Infrastrukturkosten. Einen Preispfad erhalte auch ein nationaler Emissionshandel: Damit nicht spekulative Ausschläge das Signal an Investoren beschädigten, brauche er einen Korridor aus Mindest- und Höchstpreis, 35 bis 70 Euro (2020) und später 70 bis 180 Euro (2030). Ferner brauche es Monitoring durch eine geeignete Institution, damit die CO2-Bepreisung bei Bedarf flexibel und evidenzbasiert angepasst werden könne; das sei insbesondere bei der Steuer wichtig.
Stromsektor im Blick haben. Parallel zum nationalen Einstieg solle Deutschland die integrierte CO2-Bepreisung unter dem Dach des EU-Emissionshandels vorantreiben. Auch hier solle zügig ein Mindestpreis eingeführt werden: Das System biete immer noch keinen verlässlichen Rahmen für langfristige Investitionen – und Fortschritte bei Verkehr und Wärme, etwa über E-Mobilität und Wärmepumpen, hingen auch an rascher Dekarbonisierung der im Emissionshandel erfassten Stromwirtschaft.
Klimadividende einführen. Ein CO2-Preis 2030 von 130 Euro je Tonne bedeute: 37 Cent mehr je Liter Sprit, jährlich 230 Euro mehr für die Gasheizung einer 80-Quadratmeter-Wohnung. Doch der Staat könne das Geld als Pro-Kopf-Pauschale („Klimadividende“) an die Bürger rückerstatten und Abgaben senken. Wer sich klimafreundlich verhalte, habe unterm Strich mehr. Im Schnitt (siehe Grafik) würden ärmere Haushalte entlastet, der Unterschied zwischen Stadt und Land sei gering. Für besonders Betroffene wie Fernpendler könne es Härtefall-Regelungen geben.
4. Die Flankierung
Der CO2-Preis solle das zentrale Instrument der Klimapolitik sein. Ergänzend seien aber etwa Informationsinstrumente sinnvoll, um die Kurzsichtigkeit bei Kaufentscheidungen zu überwinden, oder räumlich und zeitlich differenzierte Mautsysteme zur Bekämpfung von Staus, Lärm und Luftverschmutzung. Zudem solle der Wildwuchs von Steuern und Abgaben bei Verkehr und Wärme korrigiert werden.
Wichtig sei auch, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im Blick zu haben. Solange andere Staaten keine ambitionierte Klimapolitik betreiben, müsse die deutsche Politik pragmatisch vorgehen. So könnten Firmen in den Bereichen Verkehr und Wärme Ausnahmen bei der Energiesteuer auch im Rahmen der CO2-Preisreform zunächst weiter erhalten, resümieren die Wissenschaflter des MCC.
Ein CO2-Preis als Leitinstrument der Klimapolitik: Das liegt weltweit im Trend. Von den globalen Treibhausgas-Emissionen unterlagen im Zeitraum 2005 bis 2010 lediglich 5 Prozent einer CO2-Bepreisung, hauptsächlich im EU-Emissionshandel. Bis 2018 stieg die Abdeckung durch bestehende und in der Einführung befindliche Systeme auf 20 Prozent, in 57 Steuer- und Emissionshandelssystemen auf nationaler und subnationaler Ebene: unter anderem in Kalifornien und im Bereich der Regional Greenhouse Gas Initiative im Nordosten der USA. Inzwischen erwägt sogar China eine CO2-Bepreisung. Es gibt auch erste Institutionen zur Koordination.