Von Kostenfaktoren zu Kooperationen

Ausgediente Muster und moderne Perspektiven

Gastbeitrag von Irene Schöne

Wer immer sich die Folgen unserer heutigen Wirtschaftsform bewusst macht, wie die Aufheizung des Weltklimas, die Überlastung der Böden mit Dünge- und Pflanzen“schutz“mitteln und der Meere mit Kunststoffabfällen sowie zu Ende gehenden Naturressourcen, um nur einige aufzuzählen, beschäftigt sich auch mit Vorschlägen, wie es weitergehen kann. Bisher jedenfalls gehen wir mit Natur nicht fair um. Und dass wir einfach so weitermachen und uns damit rechtfertigen, unser heutiger Umgang mit der uns äußeren Natur sei die selbstverständliche, natürliche, ja die einzig mögliche Form des Wirtschaften, ist ausgeschlossen.

HKW Reuter West, Müllverbrennnung Ruhleben, Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die bisherigen Annahmen, unsere Form des Umgangs mit Natur sei ohne Folgen und ohne Alternative, haben ausgedient. Auf diesem endlichen Planeten ist Natur weder unerschöpflich, noch unveränderlich. Hinzu kommt auch, dass Natur nicht nur das uns äußere Objekt ist, über das wir beliebig verfügen können, sondern wir Menschen sind selbst natürliche Lebewesen, angewiesen auf reine Luft, sauberes Trinkwasser und naturbelassene Nahrung wie jedes andere Lebewesen auch. Zudem finden wir auf der Erde auch nicht nur einfach Natur an sich, sozusagen Ur-Natur, sondern eine sich im Laufe von Jahrmilliarden selbst veränderte Natur, die zudem auch noch von Menschen in Jahrtausenden zur heutigen Kulturlandschaft umgeformt wurde.

Mit anderen Worten, durch die Probleme, die wir uns mit den Folgewirkungen unserer Handlungen eingehandelt haben, sind wir gezwungen einzusehen, dass wir uns in eine Sackgasse hinein manövriert haben. Unser herkömmliches Verständnis von Natur und unser bis heute für selbstverständlich gehaltener Umgang mit ihr haben ausgedient. Unser Wirtschaftsmodell muss deshalb strukturell modernisiert werden – aufgrund der Auswirkungen auf uns und auf alles andere Leben. Wir müssen unser Verhältnis zur Natur neu denken und unser Handeln entsprechend modernisieren.

Eine Modernisierung der bisherigen ökonomischen Theorie ist schnell aufzuzeigen, doch ihre Umsetzung ist das Problem – denn jede Theorie ist politisch, wie bereits Adam Smith (1723 – 1790)1, einer der Vordenker unseres heutigen ökonomischen Weltbildes, wusste.

Zwei miteinander zusammenhängende Änderungen sind erforderlich: Wir können Natur nicht länger nur als beliebig verfügbares, uns externes Objekt ansehen, sondern wir müssen den Prozess beachten, mit dem wir uns zu der uns äußeren wie unserer eigenen Natur in Beziehung setzen. Das bedeutet, Natur als eigenständiges Subjekt zu respektieren, in deren Prozesse wir eingebunden sind. Das übrigens meinte Ernst Haeckel2 mit dem von ihm 1866 erfundenen Begriff „Ökologie“. Ökologie bezeichnet nämlich Beziehungen zwischen Natur und Mensch, aber nicht Grün oder Umwelt, wie das Wort heute häufig benutzt wird. Und man fragt sich, warum wir die Welt immer noch eher als eine Anhäufung von Objekten und nicht längst in Form von Beziehungen verstehen.

Natur wirkt auf uns ein, ohne sie können wir nicht leben, und wir beeinflussen sie. Die Natur-Mensch-Beziehung stellt einen Wechselprozess dar, eine reciprocal interaction[3]. Und unsere Beziehungen zur Natur haben, das ist uns heute bewusst, nicht nur Folgen für unser eigenes Leben, sondern auch für zukünftige Generationen, denn wie können diese noch mit denselben Naturressourcen wirtschaften, wenn wir den dann lebenden Menschen nur noch Abfälle hinterlassen?

Die uns äußere Natur hat sich in Jahrmilliarden verändert, sie hat auf einem toten Planeten zuerst pflanzliches Leben und dann Tiere hervorgebracht, von denen wir annehmen, dass der Mensch das am höchsten entwickelte sei. Adam Smith bezeichnete den Menschen als human animal und reihte ihn so in das Tierreich ein, hundert Jahre vor Charles Darwin. Natur ist ständige Veränderung, andauernder Evolutionsprozess, nicht nur einmalige Kreation. Ergo ist es, wenn wir durch unsere Einwirkung die lebendige Natur immer mehr zerstören, kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt, zurück zur toten Natur zu einer Zeit, bevor Leben entstand.

Doch wir Menschen sind ebenfalls lernfähig. Wir können andere Formen des Umgangs mit Natur und eine andere Wirtschaftsform entwickeln. Wir können Natur als zu respektierendes Subjekt ansehen und sie nicht länger nur als einseitig verfügbares Objekt. Gleichzeitig sind wir dazu auch gezwungen.

Ein Instrument der Umsetzung einer solchen modernen Wirtschaftsperspektive in der Praxis ist die sogenannte „Integrierte Berichterstattung“. Damit wird davon ausgegangen, dass sich das Ziel einer Unternehmung sich nicht allein auf ökonomischen Profit ausrichten kann, ausgedrückt in Euro, vielmehr als gleichberechtigtes Ziel der Profit für die Natur hinzukommen muss, ausgedrückt in eingesparten CO2 kg. Die ökologische Seite der „Integrierten Berichterstattung“ wird in Betriebs-, Produkt- und Humanökologie gegliedert. Ein Unternehmen legt so Rechenschaft darüber ab, wieviel schädliche Klimagase es ausstößt, und errechnet, wieviel es in jedem Jahr einspart. Diese Zahl kann dann mit den Vorjahren sowie mit anderen Unternehmen verglichen werden. Nichts spricht in einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung dagegen, wirtschaftliches Handeln an einem zweiten, gleichberechtigten Ziel, d. h. am Profit für die Natur, auszurichten. Die UmweltBank AG in Nürnberg praktiziert das bereits seit Jahren.

Es ist machbar, eine strukturelle Modernisierung unseres bisherigen Verständnisses vom Wirtschaften vorzunehmen. Und auch zu praktizieren. Jeden Tag. Es ist dazu nicht notwendig, auf neue Rahmensetzungen durch die Politik zu warten. Auch hört Politik leider noch immer mehr auf die Einflussnahmen von denjenigen, die nichts lernen und nichts verändern, sondern einfach so weitermachen wollen. Das ist zwar verständlich, riskiert langfristig jedoch das Ende des Lebens auf diesem Planeten, so wie wir es kennen.

Zur Einführung einer modernen Wirtschaftsperspektive gehört auch die Modernisierung der herkömmlichen Auffassung von der menschlichen Arbeit. Bisher geht Wirtschaftstheorie davon aus, dass die Arbeitsfähigkeit von abhängig beschäftigten Menschen wie ein beliebiges Objekt erworben und für die Ziele des Käufers eingesetzt werden kann. Arbeitskraft wird als ein bloßer Kostenfaktor angesehen. Und diese Kosten sind zu minimieren, damit die produzierten Erzeugnisse möglichst preisgünstig angeboten werden können sowie möglichst hohen Profit für ein Unternehmens abwerfen.

Um einen möglichst rationellen Einsatz der Arbeit zu erreichen, wird daher die Arbeit von Menschen durch die Arbeit von Maschinen ersetzt. Maschinen gehören allein einem Unternehmen, das deswegen auch allein über ihren Einsatz verfügen kann. Menschen müssen mit dem Verkauf ihrer Arbeitsfähigkeit Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen, Maschinen nicht. Maschinen kaufen aber keine Waren. Maschinen können ununterbrochen eingesetzt werden, Menschen nicht. Menschen brauchen Ruhezeiten, erleiden gesundheitliche Einschränkungen und haben familiäre Verpflichtungen – auch eigene Ideen und Vorstellungen von einem guten Leben.

Dazu stellt sich auch die Frage, warum eigentlich die Nutzung menschlicher Arbeit mehrfach besteuert wird, einmal beim Einkommen, zum anderen beim Kauf von Gütern und Dienstleistungen. Hans-Christoph Binswanger u. a. haben bereits vor mehr als 30 Jahren diagnostiziert, dass wir eine Wirtschaftsform benötigen, die umsteuert4. Statt der menschlichen Arbeit sollte die Umweltzerstörung wegrationalisiert werden. Damit trägt die unverhältnismäßig stärkere Besteuerung von Arbeit auch noch dazu bei, dass sie durch Maschinen ersetzt und/oder in andere Länder verlegt wird. Obgleich Verdienstmöglichkeiten hier nötig sind. Schon Adam Smith forderte, die Besteuerung von Arbeit völlig abzuschaffen und lediglich die Besteuerung von Gütern und Dienstleistungen vorzunehmen.

Dieses, der heutigen ökonomischen Theorie und Praxis immer noch zugrundeliegende, inzwischen ausgediente Muster für den Umgang mit arbeitenden Menschen ist im 21. Jahrhundert ebenfalls fairer zu organisieren. Auch dafür gibt es Vorbilder, beispielsweise die John Lewis Partnership in Großbritannien. Sie besitzt und betreibt dort zwei der beliebtesten Einzelhandelsmarken. Jeder Mitarbeitende wird als Partner angesehen und seine mit ihm untrennbar verbundene Arbeitskraft nicht länger als ein beliebig einsetzbarer, austauschbarer Kostenfaktor. Jeder Partner im Unternehmen ist mitverantwortlich für das Betriebsergebnis. Jeder Partner erhält monatlich ein je nach Bedeutung seiner Tätigkeit gestaffeltes Einkommen. Am Ende des Jahres, wenn das Geschäftsergebnis vorliegt, wird dann der erzielte finanzielle Gewinn nicht nur an die Anteilseigner des Unternehmens ausgezahlt, sondern auch an die Mitarbeitenden. Wirtschaften wird so zu einer Subjekt-Subjekt-Beziehung und bedeutet nicht länger die einseitige Verfügungsgewalt über Objekte.

In einer Marktwirtschaft ist es also durchaus möglich, eine moderne Perspektive für die Rolle und Funktion von abhängig Beschäftigten und ihrer untrennbar mit ihnen verbundenen Arbeitsfähigkeit einzuführen. Eine solche Modernisierung kann übrigens durch die Analyse des tertiären Wirtschaftssektors legitimiert werden. Warum wird das dann nicht mehr praktiziert? Warum lernen wir nicht von anderen Beispielen? Warum halten wir unnötigerweise den gesellschaftlichen Fortschritt in Bezug auf Natur und Mensch auf?

Und wo sind die politischen Strategien der unterschiedlichen Parteien in Deutschland, unseren Umgang mit der uns externen Natur und dem natürlichen Menschen weiterzuentwickeln hin zu gleichberechtigten Subjektbeziehungen? Nur einen größeren Anteil am finanziellen Zuwachs zu verteilen, reicht längst nicht mehr aus. Vielmehr muss es auch um einen Fortschritt bei der Überwindung inzwischen ausgedienter Muster gehen. Der britische Philosoph Thomas Hobbes konnte 1651 im Leviathan noch davon schreiben, dass Arbeit eine Ware wie jede andere sei. Denn damals gab es noch die Sklavenwirtschaft. Aber seitdem haben wir einiges eingesehen und vieles modernisiert. Nicht länger betrachten wir andere Menschen als aneignenbares Eigentum, sondern sehen sie als frei geboren und selbständig, mit gleichen, unveräußerlichen Rechten versehene Subjekte an.

Warum haben wir die heute ausgedienten Annahmen über die Natur des lebendigen Menschen und die ihm als extern gegenübertretende Natur, unsere Mitwelt5 nicht längst entsprechend modernisiert? Es gibt keinen Grund dafür, dass wir uns noch immer an überholte Annahmen klammern. Im Gegenteil. Die Folgewirkungen unserer bisherigen Handlungslogik liegen inzwischen für jedermann sichtbar und erfahrbar auf der Hand. Wir brauchen diese neuen, modernen Perspektiven für unseren Umgang mit der uns äußeren wie unserer inneren menschlichen Natur. Und die zu praktizieren sind möglich. Wir müssen nur endlich damit beginnen, sie auch anzuwenden.

Irene Schöne, Politikerin und „ökologische Wirtschafts-Wissenschaftlerin, studierte in Hamburg und initiierte dort die erste „Sommerhochschule“. Von 1983 bis 1987 war sie gewähltes Mitglied im Vorstand des Öko-Instituts Freiburg und gründete die Arbeitsgruppe „Ökologisches Wirtschaften“. Nach ihrer Promotion an der Universität Kassel war sie Mitbegründerin des Instituts für Oekologische Wirtschaftsforschung (IOEW) in Berlin. Von 1998 bis 2015 war sie Mitglied im Aufsichtsrat der UmweltBank AG, Nürnberg, davon fünf Jahre als Vorsitzende. In Schleswig-Holstein erreichte sie, dass die bisherige Aufsummierung aller Umsätze am Markt als „Bruttoinlandsprodukt“, d. h. als positives Wachstum im Sinne einer umweltökonomischen Gesamtrechnung, in der die bloß kompensatorischen Kosten abgezogen statt aufsummiert werden müssten, weiter entwickelt werden muss.
Der Fokus ihrer wissenschaftlichen Arbeit liegt aktuell auf der Modernisierung der ökonomischen Theorie vor dem Hintergrund von Umweltkrisen, Klimawandel und Biodiversitätverlust. Ihr jüngstes Buch, „Fair Economics – Nature, Money and People beyond neoclassical thinking“, erschienen 2015, analysiert sowohl das Natur-, als auch das Arbeits-Verständnis der Mainstream-Ökonomik, das auf das 18. Jahrhundert zurückgeht und für das 21. Jahrhundert nicht länger angemessen ist. Von 1978 bis 1982 war Irene Schöne (SPD-)Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft.

Anmerkungen:

1An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“, 1776
2Generelle Morphologie der Organismen„, 1866
3 „Fair Economics – Nature, Money and People beyond Neoclassical Thinking“, 2015
4Arbeit ohne Umweltzerstörung“, 1983
5 ein von Klaus-Michael Meyer-Abich vorgeschlagener Begriff