AKW Philippsburg 2 vom Netz

BUND: Atomausstieg und Klimaschutz bleiben unabdingbare Ergänzung

Mit dem Atomkraftwerk (AKW) Philippsburg 2 geht am 31.12.2019 um 19 Uhr (gesetzlich vorgeschrieben ist die Abschaltung bis Mitternacht) eines der störanfälligsten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Über dreißig Jahre lief das Kraftwerk, obwohl es gegen geltende Sicherheitsanforderungen verstieß, so der BUND in einer Medienmitteilung am 29.12.2019.

Bang fragte sich der nicht eben ausstiegsbegeisterte FOCUS, woher „jetzt der Ersatz-Strom herkommt“, wenn „das AKW im Ländle an Silvester vom Netz geht“. Denn dann fehlen in Baden-Württemberg 13 Prozent des Stroms im Ländle.Im kommenden Jahr startet dann der Rückbau. Die bereits stillgelegten AKW Obrigheim, Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 werden schon seit Jahren abmontiert. Hans-Josef Zimmer vom EnBW-Vorstand beantwortete der Stuttgarter Zeitung die FOCUS-Frage: „Unsere Handelsabteilung hat schon vor langer Zeit begonnen, Vorsorge zu treffen, damit EnBW den Kunden die benötigte Strommenge liefern kann.“ Den genauen Strommix behielt Zimmer für sich. Allerdings: „Wir sind überzeugt, dass wir noch eine gewisse Zeit auch Kohlekraftwerke und mittelfristig Gaskraftwerke brauchen, um zuverlässig jeden Tag 24 Stunden lang Elektrizität liefern zu können“, erklärte er dem schwäbischen Schwesterblatt Stuttgarter Nachrichten weiter.

Um die Versorgungssicherheit zu untersuchen, hat BW-Umweltminister Franz Untersteller schon im Februar die Studie „Versorgungssicherheit in Süddeutschland bis 2025 – sichere Nachfragedeckung auch in Extremsituationen?“ in Auftrag gegeben. Die kommt für alle betrachteten Szenarien und Varianten zu dem Ergebnis, „dass für die Deckung der Nachfrage 2015 ausreichende Erzeugungskapazitäten vorhanden sind“, so Untersteller. „Süddeutschland wird jedoch in Zukunft zunehmend auf Stromimporte aus dem Norden oder den Nachbarländern angewiesen sein. Damit ist klar, dass wir dem Ausbau der Übertragungsnetze auch weiterhin größte Bedeutung beimessen müssen.“ Auch die verschiedenen Reserveinstrumente seien notwendig, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, so der Minister.

Die Studie zeigt laut Minister auch, dass mit einem verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien im Land Kapazitätslücken in der Stromversorgung entgegengewirkt werden kann: „Wir werden die Erkenntnisse aus der Studie nutzen, um unsere Klimaziele weiterzuentwickeln, unser Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept bedarfsgerecht fortzuschreiben und die für eine erfolgreiche Energiewende notwendigen energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorausschauend zu gestalten.“ Allerdings wandte der SWR ein, dass in der Untersuchung nicht überprüft worden sei, „ob die Nachbarländer die von Deutschland benötigten Erzeugungsleistungen zur Verfügung stellen können und werden“.

Insgesamt beurteilt die Studie die Versorgungssituation optimistischer als Vorgänger, denn in Frankreich und Polen liefen Kern- und Kohlekraftwerke länger als ursprünglich geplant. Frankreich setzt weiter auf Atomstrom und plant den Bau sechs neuer AKW. Einer der größten Abnehmer ist Deutschland. Aktuell stammen rund 72 Prozent des französischen Strommixes aus Kernkraftwerken. Dennoch importiert Deutschland seit 2002 jedes Jahr weniger Strom, als es ins Ausland leitet – laut Bundesnetzagentur 2018 etwa 51,5 Terawattstunden, rund zehn Prozent der gesamten deutschen Stromerzeugung. Dass Deutschland weit mehr Strom produziert als es brauche, liegt laut FOCUS daran, „dass seit Jahren die Erneuerbaren Energien ausgebaut, alte Kohle- oder Kernkraftwerke aber nicht in demselben Maße stillgelegt werden. Das wird sich spätestens ab 2023 ändern, wenn alle Atommeiler vom Netz gehen. Weil gleichzeitig auch am Kohleausstieg gearbeitet wird, könnte Deutschland bald sogar zum Nettoimporteur werden. Baden-Württemberg bezieht jetzt schon mehr Strom von außen, als es selbst erzeugt. Nach dem Ende von Philippsburg wird der bei etwa 14 Prozent liegende Import-Anteil steigen.“

BUND-Vorsitzender Olaf Bandt zur Abschaltung von Philippsburg 2: „Jedes abgeschaltete AKW ist ein Erfolg für den jahrzehntelangen Kampf gegen die gefährliche Atomkraft. Das Ende des AKW Philippsburg ist ein guter Grund zum Feiern. Aber es ist nur ein Etappenziel. Wir fordern die Bundesregierung auf, komplett aus der Atomenergie auszusteigen, inklusive der aktuell noch unbefristet laufenden Brennelementefabrik Lingen und der Urananreichungsanlage Gronau.“

„Gerade die aktuellen Äußerungen von Unionspolitikern wie Armin Laschet oder die Entscheidungen des EU-Parlaments zeigen, dass Atomkraft als vorgeblicher Klimaretter immer wieder als Heilsbringer aus dem Hut gezaubert wird“, kritisiert Edo Günther, Sprecher des Bundesarbeitskreises Atom und Strahlenschutz beim BUND. „Atomkraftwerke sind jedoch keine Lösung für den Klimaschutz: Die unsichere Technik ist teuer, unwirtschaftlich und mitnichten CO2-neutral. Hier wird versucht, den sprichwörtlichen Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.“

Das sei laut einer BUND-Umfrage auch die Meinung von 62 Prozent der Bevölkerung, die Atomkraft nicht als ein Mittel gegen die Klimakrise ansähen. Stattdessen wolle eine deutliche Mehrheit am Atomausstieg festhalten oder ihn beschleunigen. „Was letztlich bleibt, ist die ungelöste Jahrtausendaufgabe der Lagerung“, so Bandt. „Das strahlende Erbe wird dabei unfair und unsozial auf nachfolgende Generationen umgewälzt. Wir müssen daher jetzt dafür sorgen, es so gering wie möglich zu halten.“

Noch sechs AKW aktiv

Nach der Abschaltung von Philippsburg sind noch sechs Atomkraftwerke in Deutschland am Netz. Drei haben eine Betriebsgenehmigung bis Ende 2021, drei bis Ende 2022. Dass diese Kraftwerke eine anhaltende Gefährdung darstellen, zeigt eine Analyse im Auftrag des BUND. Günther: „Unsere Atomkraftwerke sind nicht sicher. Schwere Unfälle sind jederzeit möglich, der Katastrophenschutz ist eine Katastrophe.“

Schon jetzt blockieren AKW die Stromnetze für erneuerbare Energie. Bandt abschließend: „Die gefährliche Atomenergie muss so schnell wie möglich Geschichte werden. Klimaschutz und Energiewende bedeuten die vollständige Abkehr von Atom und Kohle. Schneller Atomausstieg und echter Klimaschutz sind kein Widerspruch, sondern eine unabdingbare Ergänzung.“

BBU fordert sofortige Stilllegung aller AKW und Atomanlagen

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) begrüßt die bevorstehende Stilllegung des Atomkraftwerkes Philippsburg 2. Laut Atomgesetz muss der letzte badische Atomreaktor spätestens am 31. Dezember 2019 seinen Leistungsbetrieb endgültig einstellen. Danach werden zunächst die Brennelemente entladen und die Nachkühlungsphase beginnt. Der BBU bedankt sich bei den vielen engagierten Menschen und Initiativen, die sich viele Jahre lang gegen die Atomindustrie und gegen die Atomkraftwerke in Philippsburg zur Wehr gesetzt haben. Gleichzeitig ruft der BBU zum Protest gegen die weiteren AKW und Atomanlagen im Bundesgebiet und anderswo auf. Ausserdem mahnt der BBU, den „Atommüll der dritten Art“ nicht aus dem Blick zu verlieren.

Am 29.12.2019 haben bereits rund 200 Atomkraftgegnerinnen und Atomkraftgegner die bevorstehende Stilllegung des AKW Philippsburg 2 mit einem Abschaltfest in der Nähe des Atomkraftwerkes gefeiert. „Die Stilllegung des AKW Philippsburg 2 ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum kompletten Atomausstieg. Die Anti-Atomkraft-Bewegung wird sich aber auch weiterhin für die sofortige Stilllegung der noch laufenden Atomkraftwerke und sonstigen Atomanlagen einsetzen. Dabei wird auch grenzüberschreitend der generelle Atomausstieg eingefordert“, so der BBU.

An dem Abschaltfest hat auch BBU-Vorstandsmitglied Gertrud Patan von der Initiative AtomErbe Obrigheim teilgenommen. In einer Kundgebungsrede forderte sie: „Es darf nicht immer noch weiterer Atommüll erzeugt werden, und das Risiko von katastrophalen Störfällen muss verringert werden. Deshalb Abschalten aller Atomkraftwerke sofort und nicht erst 2022 und konsequente Fortsetzung der Energiewende!“

Atommüll der dritten Art

In ihrer Rede ging Gertrud Patan auch auf den „Atommüll der dritten Art“ ein. Dieser Müll soll in die Umwelt verteilt werden nach dem Motto: Aus dem Auge, aus dem Sinn. „Er landet auf Deponien und in Verbrennungsanlagen (z. B. im Müllheizkraftwerk Mannheim), aber der allergrößte Teil darf frei weiterverwertet werden. Dabei handelt es sich um Abfälle, die im Betrieb und beim Abbau anfallen und deren radioaktive Belastung unterhalb gesetzlich vorgegebener Grenzen liegt. Dies muss durch eine Messung – die sog. Freimessung – nachgewiesen werden. Dann darf er als „normaler“ Müll behandelt werden, obwohl er künstlich erzeugte radioaktive Stoffe enthält, die gesundheitliche und genetische Schäden verursachen können. (Aus einer Pressemitteilung der Initiative AtomErbe Obrigheim vom 16.12.2019).

Auch der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) lehnt die Einordnung von radioaktiven Abfällen als „normalen“ Müll ab und fordert einen Stopp der Verteilung. Besonders kritisch bewertet der BBU die freie Weiterverwertung von solchen „freigemessenen“ Abfällen aus Atomanlagen. „Jeder kann mit diesen Materialien in Berührung kommen, ohne es zu merken“ befürchtet Gertrud Patan. Im November haben zahlreiche Initiativen und Verbände, darunter auch der BBU, gemeinsam einen Brief an die Umweltminister der Bundesländer geschrieben, in dem ein Konzept für die langfristige Aufbewahrung der Abfälle statt einer Verteilung in die Umwelt gefordert wird.

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