Wirtschaftspolitischer Jahresausblick: Einstieg in Klimapolitik neuer Qualität gelungen, Politik muss aber bei Investitionen nachlegen, nur 0,8 % BIP-Wachstum – EZB soll ökologische Kriterien anlegen
Die deutsche Wirtschaft durchläuft konjunkturell und strukturell eine schwierige Phase: Aufgrund eines schwachen Welthandels, anhaltender Handelskonflikte und Investitionszurückhaltung der Unternehmen prognostizierte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung am 07.01.2020 in Berlin für 2020 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um lediglich 0,8 Prozent. Soll gleichzeitig der CO2-Ausstoß wirksam begrenzt werden und der hohe Lebensstandard eines entwickelten Industrielandes erhalten bleiben, muss die Bundesrepublik große Anstrengungen unternehmen. Schlüsselindustrien stehen ebenso unter Transformationsdruck wie Konsumverhalten und die individuelle Mobilität vieler Menschen.
„In dieser Situation, in der Marktprozesse allein nicht für die notwendigen Veränderungen sorgen werden, ist eine engagierte Wirtschaftspolitik wichtiger denn je. Sie muss nicht nur die richtigen Weichen stellen, sondern Wandel auch über Investitionen in die technische und soziale Infrastruktur in Gang bringen“, sagt Prof. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK. In seinem neuen wirtschaftspolitischen Jahresausblick hat das Institut untersucht, ob die Politik in Deutschland und Europa diese Anforderung erfüllt*).
Kernergebnis der Analyse: Sowohl das deutsche Klimapaket als auch der „Europäische Green Deal“ (EGD) der EU-Kommission gehen in die richtige Richtung und sollten noch durch eine ökologisch ausgerichtete Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) flankiert werden. Die bisher vorgesehenen Investitionsvolumina sind aber viel zu niedrig, außerdem gibt es Defizite bei der sozialen Ausgewogenheit. „Doch auch wenn wir Kritik haben: Es ist besser, jetzt zügig relativ klein in eine Klimapolitik neuer Qualität einzusteigen als noch lange auf perfekte Regelungen zu warten“, so Dullien. „Vorausgesetzt, die Politik ist bereit, in absehbarer Zeit noch einmal nachzulegen.“ Massive Investitionen in technische, ökologische und Bildungs-Infrastruktur seien nötig und verbesserten auch die kurz- und die langfristigen Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft.
Im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin analysierten die Forscher den EGD, das Klimapaket der Bundesregierung, Überlegungen der EZB, in ihren Aufkaufprogrammen „green Bonds“ stärker zu berücksichtigen sowie das „Erste Arbeit von morgen Gesetz“, mit dem Kurzarbeit in Transformationssituationen erleichtert und mit Qualifikation verknüpft werden soll. Das IMK hat im vergangenen Jahr bereits eigene Studien zu einer sozial ausgewogenen CO2-Bepreisung und zum zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarf in Deutschland bis 2030 vorgelegt. Den beziffern die Düsseldorfer Ökonomen gemeinsam mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft auf 450 Milliarden Euro. „Der Abstand zu den derzeit auf deutscher und europäischer Ebene vorgesehenen Investitionen ist also erheblich“, sagt Dullien.
„Europäischer Green Deal“: Wieviel ist wirklich frisches Geld? Schuldenregeln für Zukunftsinvestitionen lockern
Der EGD enthält nach Ansicht der IMK-Wissenschaftler wichtige Elemente einer wirksamen Klimapolitik. Das angekündigte Investitionsvolumen von 1.000 Milliarden Euro, das die EU-Kommission mobilisieren will, sei ein wichtiges Element, den CO2-Ausstoß in Europa zu senken. Richtig eingesetzt, könnten diese Mittel auch der Industrie helfen, die Transformation ohne massive Produktions- oder Jobverluste zu meistern. Ebenfalls positiv bewerten die Forscher die Einführung eines „Just Transition Fund“, der soziale Härten aus der Klimawende abfedern soll. Allerdings äußern sie die Sorge, dass die realen Investitionen möglicherweise zu klein ausfallen könnten. Nur ein kleiner Teil der angekündigten 1.000 Milliarden Euro seien tatsächlich neue Mittel, die hohe Summe komme dadurch zustande, dass hier nicht nur von der EU bereitgestellte Gelder, sondern auch im Privatsektor angeregte Investitionen mitgezählt würden. Die angekündigten 100 Milliarden Euro aus dem „Just Transition Fund“, die zudem auf mehrere Jahre aufgeteilt würden, erschienen angesichts eines jährlichen Bruttoinlandsprodukts der EU von mehr als 15.000 Milliarden Euro als zu klein.
Zudem fehle bislang ein Bekenntnis zu einer Reform der europäischen Schuldenregeln. Grundsätzlich sollte nach Ansicht des IMK Neuverschuldung für Investitionen in den Klimaschutz wie auch in andere Zukunftsinvestitionen im Rahmen der europäischen Budgetregeln erlaubt werden. Auch die deutsche Schuldenbremse sollte in diesem Sinne angepasst werden. Für eine Übergangszeit bis zu einer solchen Reform empfiehlt das IMK eine Finanzierung über ein Sondervermögen, das nach der Schuldenbremse bereits heute Kredite aufnehmen dürfe. So ließen sich die bis 2030 nötigen zusätzlichen öffentlichen Investitionen in Höhe von 450 Milliarden Euro finanzieren, von denen in gutes Drittel direkt für einen besseren Klimaschutz relevant sei, so das IMK.
Klimapaket: CO2-Preis und Investitionen sinnvoll verbunden, höherer Einstiegspreis positiv, mehr sozialer Ausgleich nötig
Am deutschen Klimapaket loben die Forscher den grundsätzlichen Ansatz, eine CO2-Bepreisung mit Investitionen zu verknüpfen. Investitionen etwa in den ÖPNV oder in Fernwärmenetze seien notwendig, damit Haushalte überhaupt ihr Verhalten klimafreundlich gestalten könnten. Allerdings ist das Investitionselement im Klimapaket aus Sicht des IMK viel zu zögerlich. Die im Klimapaket angesetzten Investitionsmittel hätten viel üppiger ausfallen müssen. Dass im Zuge der Bundesratsvermittlung ein höherer CO2-Preis festgelegt wurde, ist aus Sicht der Forscher ein wesentlicher Beitrag zu einem wirksamen Klimaschutz. Damit stelle sich aber noch stärker als bisher die Frage nach einer wirksamen sozialen Abfederung, etwa durch eine Klimaprämie, die das Institut im vergangenen Jahr in einem Gutachten für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit durchgerechnet hatte.
Forscher begrüßen stärkere ökologische Kriterien für die EZB
Der Europäischen Zentralbank (EZB) raten die Wissenschaftler, künftig beim Aufkauf von Anleihen, aber auch bei den Eigenkapitalanforderungen an Banken, stärker ökologische Kriterien anzulegen. Zum einen könnten Investitionen in fossile Energien und Technologien mit hohen CO2-Emissionen zu einem systemischen Risiko für das Finanzsystem werden, wenn Klimaschutzmaßnahmen in der Zukunft Anlagen mit hohem CO2-Ausstoß entwerten. Dem müsse die EZB vorbeugen Zum anderen würde ein gezielter Aufkauf „grüner“ Anleihen im Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank dazu beitragen, Investitionen in klimaschonende Technologien zu fördern.
Gesetz zu Kurzarbeit und Qualifizierung: Richtiger Ansatz, der noch ausgebaut werden sollte
Ausdrücklich loben die Wissenschaftler den Ansatz der Bundesregierung, im „Ersten Arbeit von morgen Gesetz“ den Zugang zu Kurzarbeit gezielt und kurzfristig zu erleichtern. Wie bereits in der Krise 2008/9 habe Kurzarbeit das Potenzial, im Abschwung dauerhaft Beschäftigung zu sichern. Angesichts des anstehenden Strukturwandels seien aber zusätzliche Unterstützungen für Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und zum Wechsel aus vom Wandel besonders betroffenen Industrien in Zukunftsbranchen notwendig.
->Quellen:
- boeckler.de/14_123492
- Podcast von Prof. Dr. Sebastian Dullien zum Report 2019/2020: boeckler.de/pdf/imk_podcast_report_155.mp3
- *) Sebastian Dullien, Sebastian Gechert, Alexander Herzog-Stein, Katja Rietzler, Ulrike Stein, Silke Tober, Andrew Watt: Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2020 im Zeichen des Klimawandels. IMK Report Nr. 155, Januar 2020. Download: https://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_155_2020.pdf