ESYS-Stellungnahme zum Energiemix
Nur mit einem klugen Mix aus zentralen und dezentralen Technologien wird die Energieversorgung bis 2050 klimafreundlich, sicher und wettbewerbsfähig – kurz: wird die Energiewende gelingen. Die Herausforderung liegt darin, die einzelnen Elemente zu einem funktionierenden Gesamtsystem zu integrieren. Zu diesem Schluss kommt das Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) in seiner am 16.01.2020 vorgestellten Stellungnahme „Zentrale und dezentrale Elemente im Energiesystem: Der richtige Mix für eine stabile und nachhaltige Versorgung“. Es gelte, so ESYS, alle Möglichkeiten für den Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen zu nutzen – vom PV-Modul auf dem Dach bis zum Windpark auf hoher See. Für eine erfolgreiche Energiewende fordern die deutschen Wissenschaftsakademien neben dem beschleunigten sozialverträglichen Ausbau der Erneuerbaren außerdem, das Netz schnellstmöglich auszubauen und eine sichere digitale Steuerung des Energiesystems zu gewährleisten.
Die ESYS-Arbeitsgruppe „(De-)zentrale Energieversorgung“ schlägt daher vor (Zusammenfassung):
- Damit Deutschland bis 2050 treibhausgasneutral werden kann, müssen alle Ausbau-Potenziale von Wind- und Photovoltaikanlagen erschlossen und aktiviert werden. PV-Anlagen auf Dach- und Gebäudeflächen, Doppelnutzungen wie Wind- oder Solarenergie und Landwirtschaft, Windenergie auf See und Energieimporte können die entstehenden Flächenkonflikte entschärfen.
- Ohne den Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze wird die Energiewende scheitern – ob zentral oder dezentral. Kommt der Netzausbau wegen fehlender Akzeptanz nur langsam voran, können dezentrale Ansätze dazu beitragen, die kurz- bis mittelfristigen Ausbauziele der Erneuerbaren Energien dennoch zu erreichen.
- Digitale Anwendungen sind unabdingbar, um das komplexer werdende Energiesystem effizient zu steuern. Intelligente Verteilungsnetze vernetzen Erzeuger, Speicher und Verbraucher.
- Ein entschlacktes Regulierungssystem kann Innovationen fördern und systemdienliches „Prosuming“ ermöglichen. Werden Erneuerbare-Energieanlagen netzdienlich ausgebaut und betrieben, spart dies Kosten für zusätzlichen Netzausbau.
- Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie von der Bevölkerung aktiv unterstützt wird. Politische und ökonomische Beteiligungsmöglichkeiten können dazu beitragen.
Strom mit der eigenen Solar- oder Windkraftanlage erzeugen und die Energiewende im Kleinen voranbringen: Immer mehr Privatpersonen, Energiegenossenschaften und Kommunen wagen diesen Schritt. Doch diese „Prosumer“ allein werden den Strombedarf nicht decken, zumal Erneuerbarer Strom mit der Kopplung der Energiesektoren auch die Basis klimafreundlicher Mobilität und Wärmeversorgung bildet. Vielmehr müssen zentrale und dezentrale Technologien klug kombiniert werden. Wie daraus ein stabiles und nachhaltiges System entstehen kann, haben Wissenschaftler des von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften initiierten Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) untersucht und im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung in Berlin präsentiert.
Beschleunigte umwelt- und sozialverträglicher Ausbau Erneuerbaren Energien
Die Fachleute betonen, dass Windkraft- und Solaranlagen umwelt- und sozialverträglich ausgebaut werden müssen, um Konflikte mit der Umwelt und Bevölkerung abzumildern. Dezentrale PV-Anlagen auf bereits bebauten Flächen wie Dächern, Gewerbegebieten oder Parkplätzen werden von den meisten Bürgern akzeptiert. Gleichzeitig braucht es zentrale Solar- und Windparks On- und Offshore, um Strom kostengünstig zu erzeugen. Doch die nutzbaren Potenziale in Deutschland reichen vermutlich nicht aus, um den zukünftigen Energiebedarf klimaneutral bereitzustellen. Deshalb raten die ESYS-Fachleute, zusätzlich Erneuerbare Energie aus wind- und sonnenreichen Regionen zu importieren – innerhalb Europas über das Verbundnetz.
Netzausbau als Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende
Die Übertragungs- und Verteilnetze müssen -wie bereits mehrfach gefordert – ausgebaut werden – das gilt auch dann, wenn ein Energiesystem stärker auf Dezentralität setzt. „Ohne den Netzausbau wird die Energiewende definitiv scheitern“, stellte Jutta Hanson (Technische Universität Darmstadt) klar. Sie hat die zuständige ESYS-Arbeitsgruppe zusammen mit Peter Dabrock (li., Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen) und Christoph Weber (Universität Duisburg-Essen) geleitet. „Verzögert sich der Ausbau noch weiter, könnten dezentrale Solaranlagen zusammen mit Speichern und Power-to-Gas-Technologien allerdings dazu beitragen, die kurzfristigen Klimaziele trotzdem zu erreichen.“ Von Haushalten dezentral betriebene Batteriespeicher können die schwankende Einspeisung der Wind- und Solaranlagen für wenige Stunden ausgleichen. Zur Überbrückung mehrwöchiger Dunkelflauten sind chemische Energieträger wie Wasserstoff oder Methan erforderlich – diese lassen sich nur in großen, zentralen Anlagen herstellen. Da Speicher bisher noch sehr teuer sind, sollte die Forschung zur Kostenreduktion von Speichertechnologien ausgebaut werden.
Je mehr dezentrale Erzeugungsanlagen, Speicher und Verbraucher – desto kleinteiliger das Energiesystem. Digitale Anwendungen, wie etwa Künstliche Intelligenz und autonomen Systeme können helfen, das komplexer werdende System effizient zu steuern. Digitalisierte Energiesysteme bergen aber auch Risiken: Sie bieten mehr Angriffsfläche für Cyberkriminelle – es ist nicht einmal auszuschließen, dass autonome Systeme unbeabsichtigt gegeneinander agieren und das Energiesystem destabilisieren können. Ein Fokus sollte darauf liegen, die Schäden im Fall eines Angriffs oder einer Störung in Grenzen zu halten. Mehrschichtige Strukturen und dezentrale Zellen, die sich vom übergeordneten Netz abkoppeln und so eine lokale Grundversorgung gewährleisten können, fördern die Resilienz des Energiesystems.
Um Risiken wie Cyberangriffe einzudämmen, rät die ESYS-Arbeitsgruppe, digitale Technologien vorausschauend und resilient zu gestalten. Dazu sollte die Anlagentechnik eine schnelle Anpassung an neue Anforderungen durch Software-Updates ermöglichen. Andernfalls wären Nachrüstungen vieler kleiner Anlagen aufwändig, teuer und langwierig.
Für ein gutes Zusammenspiel aller Anlagen ist neben der Hard- und Software ein kluger Regulierungsrahmen erforderlich. „Der Markt muss verschiedene Prosuming-Modelle ermöglichen, ohne ständig neue Sonderregelungen zu schaffen. Zudem müssen Prosumer und andere Investoren konsistente Anreize erhalten, um Betriebsweise und Standort ihrer Anlagen so zu wählen, dass kein übermäßiger Netzausbau erforderlich ist“, erklärte Weber .
Damit Bürgerinnen und Bürger den Ausbau von Windenergieanlagen, Solarparks und Stromnetzen befürworten, müssen sie die Energiewende aktiv mitgestalten können. Dabrock kennt die verschiedenen Optionen: „Haushalte und Kommunen können finanziell von der Wertschöpfung Erneuerbarer Energien profitieren, etwa durch ein bundesweites Investitionsbeteiligungsgesetz oder durch Sonderabgaben der Betreiber an Gemeinden. Außerdem muss die Bevölkerung die Chance haben, sich politisch einzubringen. Regional funktioniert das schon gut, doch wir brauchen mehr Partizipation auf Bundes- und Landesebene.“ Dazu könnten etwa Runde Tische, Bürgerversammlungen und Dialogplattformen beitragen.
Regulierung entschlacken – ausreichend hoher CO2-Preis
Nur wenn die rechtlich-ökonomischen Rahmenbedingungen stimmen, sind Akteure bereit, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Das Regulierungssystem muss daher Innovationen begünstigen und so das Fundament für umweltschonende Technologien, Produkte und
Dienstleistungen legen. Damit der Markt zum „Wettbewerb der Ideen“ werden kann, sollten die kleinteiligen Einzelregelungen von einem neuen, verschlankten Regulierungssystem abgelöst werden. Eine sektorübergreifende CO2-Bepreisung als Leitinstrument für den Klimaschutz kann dazu beitragen, die Klimaschutzziele möglichst kostengünstig zu erreichen. Damit der CO2-Preis eine Lenkungswirkung entfalten kann, muss er jedoch ausreichend hoch sein. Darüber hinaus sind ergänzende Instrumente erforderlich – unter anderem, um die externen Kosten durch flächenbezogene Konflikte abbilden zu können. Gefragt sind Maßnahmen wie eine verbesserte Raumplanung, die für mehr Akzeptanz beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netze sorgen können. Kurz- bis mittelfristig könne für neue Technologien wie Power-to-Gas noch eine technologiespezifische Förderung sinnvoll sein. Regional differenzierte marktliche und netzentgeltbasierte Anreize sollen helfen, den Ausbau der Erneuerbaren, der sich bisher stark im Norden abspielte, besser auf den regionalen Netzausbau abzustimmen. Die ESYS-Experten raten dazu, bei allen neuen Regulierungsinstrumenten den Weiterbetrieb von Anlagen nach Ablauf der Förderspanne zu berücksichtigen.
->Quellen:
- energiesysteme-zukunft.de/veranstaltung-zentrale-und-dezentrale-elemente-im-energiesystem
- Stellungnahme unter: energiesysteme-zukunft.de/publikationen
- energiesysteme-zukunft.de/Kurzfassung_Zentrale_dezentrale_Elemente_Energiesystem.pdf
- energiesysteme-zukunft.de/ESYS_Stellungnahme_zentral_dezentral.pdf