Beitrag von Agora Verkehrswende zur aktuellen Debatte – Technologieneutralität im Kontext der Verkehrswende
Mit einem umfangreichen Gutachten leistet der Think Tank Agora Verkehrswende einen Beitrag zur Debatte über technologiepolitische Regulierungsansätze für klimaverträgliche Antriebssysteme. Laut der Studie setzt der von vielen geforderte faire Wettbewerb verschiedener Technologien voraus, dass der Staat mitunter gezielt fördert oder diskriminiert. „Technologieoffenheit bedeutet nicht Technologieneutralität der Regulierung“, heißt es in der Expertise.
Das Beharrungsvermögen des seit Jahrzehnten etablierten emissionsintensiven Technologiesystems aus Verbrennungsmotor und fossilem Kraftstoff lasse sich technologieoffen nur überwinden, wenn staatliche Regulierung auch technologiespezifische Instrumente umfasse, so die Studie: „Über die richtige technologiepolitische Strategie für die Verkehrswende wird seit Längerem gestritten. Mit der Forderung nach Technologieneutralität wird dabei in der öffentlichen Debatte vor allem die Bevorzugung batterieelektrischer Antriebe gegenüber Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen als Energieträger für Pkw-Antriebe kritisiert. Der Streit spaltet sogar die Automobilindustrie.
Vor diesem Hintergrund haben das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ, Leipzig) und das Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu, Heidelberg) im Auftrag von Agora Verkehrswende untersucht, inwieweit die Regulierung unter ökonomischen Gesichtspunkten technologieneutral oder technologiespezifisch ausgestaltet werden sollte. Das ifeu setzte sich gemeinsam mit UFZ kritisch mit dem Konzept der Technologieneutralität auseinander. Das Ergebnis zeigt, an welchen Stellen eine erfolgreiche Verkehrswende auf technologiespezifische Instrumente angewiesen ist. Nach Erkenntnis der Gutachter wäre das Klimaschutzziel im Verkehr volkswirtschaftlich kostenminimal nur dann mit einer technologieneutralen Regulierung zu erreichen, wenn sie auf ein unverzerrtes, technologieoffenes Entscheidungsfeld trifft.
Tatsächlich aber ist der Status-Quo durch viele Unvollkommenheiten des Marktes gekennzeichnet, Technologieoffenheit mithin nicht gegeben. Dazu gehören nicht nur externe Kosten, sondern zum Beispiel auch Marktmacht, Pfadabhängigkeiten, mangelnde Transparenz und politische Unwägbarkeiten. „Um die vorgefundenen Verzerrungen effizient zu beheben, müssen spezifische Eingriffe vorgenommen werden“, heißt es in der Studie. Sonst würden Verzerrungen festgeschrieben und ein Kostenminimum bei der Zielerreichung könne nicht erreicht werden.
Um Hemmnisse für klimaverträgliche Technologien zu überwinden und ihnen faire Marktchancen zu verschaffen, plädieren die Gutachter für eine wirksame CO2-Bepreisung fossiler Kraftstoffe, unterstützt durch weitere Maßnahmen, die den mit fossilen Kraftstoffen betriebenen Verbrennungsmotor zurückdrängen Dieses in der Studie als „Exnovationspolitik“ bezeichnete Vorgehen sei „von zentraler Bedeutung, da andernfalls gegen die verzerrungsbedingten Wettbewerbsnachteile der emissionsarmen Technologien eine rasche Technologiesubstitution nur schwierig und mit hohen finanziellen Aufwendungen der öffentlichen Hand gelingen kann“.
„Wer in der aktuellen Debatte die reine Lehre der Technologieneutralität postuliert, nimmt de facto in Kauf, dass der notwendige Umstieg auf klimaverträgliche Antriebstechnologien verschleppt wird“, sagt Christian Hochfeld, Geschäftsführer von Agora Verkehrswende. „Dabei steht außer Frage, dass der Verbrennungsmotor mit fossilem Kraftstoff schnurstracks die Erderwärmung antreibt.“
Die umfangreiche Prüfung verschiedener Technologieoptionen anhand von mehr als zwei Dutzend Einzelaspekten kommt zu dem Ergebnis, dass von den zur Debatte stehenden innovativen Antriebskonzepten bei Pkw und im Güternahverkehr batterieelektrische Antriebskonzepte „einen erheblichen Vorsprung haben“ – verglichen mit der Nutzung von Wasserstoff in Brennstoffzellen und synthetischen Kraftstoffen in Verbrennungsmotoren. Dies spreche für „einen zielgerichteten Einsatz technologiespezifischer Instrumente in diesen beiden Entscheidungsfeldern“.
Weil im Güterfernverkehr noch unsicher ist, welche Kombination von Lkw mit Oberleitungen, Brennstoffzellen oder Batterien, ergänzt um synthetische Kraftstoffe, sich als kostengünstigste Variante erweist, plädieren die Gutachter in diesem Entscheidungsfeld für einen deutlich breiteren Regulierungsansatz.
Auf der instrumentellen Ebene sprechen sich die Gutachter neben der Bepreisung von CO2 für bedarfsorientierte „Innnovationsinstrumente“ aus, welche die Verbreitung von Fahrzeugen mit emissionsarmen Technologien gezielt finanziell fördern. Der Aufbau von Infrastruktur sollte zumindest temporär gefördert und das Dienstwagenprivileg sollte auf emissionsarme Antriebstechnologien beschränkt werden.
„Um die Kurve bei der Verkehrswende zu kriegen ist eine Reform der Kfz-Besteuerung unumgänglich“, sagt Hochfeld. „Fahrzeuge mit hohen CO2-Emissionen sollten schon bei der Anschaffung hoch besteuert werden. Aus dem so generierten Steueraufkommen können die Prämien für Käufer von klimaverträglichen Autos finanziert werden – verursachergerecht, aufkommensneutral und ohne andere Staatsausgaben einschränken zu müssen.“
Laut der Studie ist darüber hinaus ein klares Bekenntnis der Politik zur Verkehrswende notwendig: „Ohne eine glaubwürdige politische Bindung bezüglich der Ziele, Richtung und Unumkehrbarkeit der angestrebten Transformation werden die notwendigen hohen Investitionen privater Akteure in neue Infrastruktur und Produktionsanlagen nicht in ausreichendem Maße erfolgen.“
Hochfeld: „Die vergangenen fünf Jahre nehmen die Plätze 1 bis 5 der wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen ein. Die Erwärmung der Weltmeere und die verheerenden Waldbrände in Australien zeigen, dass der globale Temperaturanstieg unsere Lebensgrundlagen bedroht – nicht irgendwann, sondern schon jetzt“. Der Verkehr trage rund ein Fünftel zu den Treibhausgasemissionen bei. „Unser Gutachten zeigt, dass wir klimaverträglichen Technologien zum Durchbruch verhelfen können, ohne den marktwirtschaftlichen Rahmen zu verlassen. Wir müssen es nur tun.“
Das umfangreiche Gutachten leistet einen Beitrag zur Debatte über technologiepolitische Regulierungsansätze für klimaverträgliche Antriebssysteme. Laut der Studie, die am 22.01.2020 in Berlin einem breiten Fachpublikum vorgestellt wurde, setzt der von vielen geforderte faire Wettbewerb verschiedener Technologien voraus, dass der Staat mitunter gezielt fördert oder diskriminiert.
Die Studie mit dem Titel: „Technologieneutralität im Kontext der Verkehrswende. Kritische Beleuchtung eines Postulats“ steht unter www.agora-verkehrswende.de kostenlos zum Download (Langfassung, Kurzfassung) zur Verfügung.
->Quellen und weitere Informationen:
- Agora-Verkehrswende.de/mit-technologieneutralitaet-zur-klimaneutralitaet
- Agora-Verkehrswende.de/Projekte/2019/Technologieneutralitaet_LANGFASSUNG_Version-2.pdf
- ifeu.de/mit-technologieneutralitaet-zur-klimaneutralitaet
- Agora-Verkehrswende.de/nc/veranstaltungen/technologieneutralitaet-im-kontext-der-verkehrswende