EU-Kraftwerks-Emissionen seit 1990 auf Tiefststand

Treibhausgase um 12 Prozent zurückgegangen – Kohle bricht ein, von Wind und Sonne überholt

Die Treibhausgasemissionen der Kraftwerke in der Europäischen Union sind im vergangenen Jahr so stark zurückgegangen wie nie zuvor seit 1990. Sie sanken um 120 Millionen Tonnen CO2 im Vergleich zu 2018, das entspricht einem Rückgang um 12 Prozent. Der EU-Stromsektor emittierte im vergangenen Jahr zwölf Prozent weniger CO2 als 2018. Der Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromproduktion stieg EU-weit auf einen neuen Rekordwert von 35 Prozent. Das zeigt die sechste Analyse aktueller Stromdaten aus allen EU-Ländern durch Agora Energiewende und Sandbag „The European Power Sector in 2019“ vom 05.02.2020.

Kohleverstromung in Berlin - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Kohleverstromung in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Der Grund für den Rückgang der THG-Emissionen aus Kraftwerken ist ein Einbruch der Stromerzeugung von Stein- und Braunkohlekraftwerken: Sie verminderte sich EU-weit um beinahe ein Viertel und erreichte ein Rekordtief. Dazu kam es, weil der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen 2019 auf rund 25 Euro je Tonne CO2 stieg, wodurch CO2-intensiver Kohlestrom teurer als Strom aus Erdgas, Atomstrom und Erneuerbaren Energien wurde. Der wegfallende Kohlestrom wurde je zur Hälfte durch Strom aus Gaskraftwerken und Strom aus Erneuerbaren Energien ersetzt. Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung wuchs EU-weit 2019 auf 34,6 Prozent, er lag damit um 1,8 Prozentpunkte höher als 2018. Windkraft- und Solarstromanlagen lieferten damit erstmals mehr Strom als Kohlekraftwerke.

Dave Jones, Strom-Analytiker bei Sandbag: „Europa führt weltweit beim raschen Ersatz der Kohlestromerzeugung durch Wind- und Sonnenenergie, infolgedessen sind die CO2-Emissionen des Energiesektors noch nie so schnell gesunken. 30 % aller weltweiten fossilen Emissionen stammen immer noch aus der Kohleverstromung – daher ist in allen Ländern der Kohleausstieg dringend erforderlich. Europa ist zum Testfeld für den Ersatz von Kohle durch Wind- und Solarenergie geworden. Die schnellen Ergebnisse sollten anderen Ländern die Gewissheit geben, dass sie die Kohle ebenfalls schnell aus dem Verkehr ziehen können.“

  1. Erstmals lieferten Wind und Sonne mehr Strom als Kohle
    2019 lieferten Wind- und Sonnenenergie 18 % (569TWh) des EU-Stroms, während der Anteil der Kohle auf nur 15 % (469TWh) zurückging. Noch vor fünf Jahren erzeugte die EU doppelt so viel Strom aus Kohle wie aus Wind und Sonne.
  2. Die Stromerzeugung aus Kohle ist eingebrochen
    In nur einem Jahr ging die Kohleerzeugung in der Europäischen Union um 24% zurück und ist nun weniger als halb so hoch wie 2007. Dies führte allein 2019 zu einem Rückgang der CO2-Emissionen des europäischen Stromsektors um 12% – der größte Rückgang seit mindestens 1990.
    Viele westeuropäische Länder verzeichneten einen deutlich stärkeren Rückgang im Vergleich zum Vorjahr, während Osteuropa hinterherhinkte. Die Hälfte der Kohle wurde durch Wind- und Sonnenenergie und die Hälfte durch Gas ersetzt. Die Erzeugung von Wind- und Sonnenenergie stieg aufgrund neuer Kapazitätsinstallationen, und die Gaserzeugung nahm zu, da die höheren CO2-Preise und die niedrigen Gaspreise die Wettbewerbsfähigkeit von Gaskraftwerken gegenüber der Kohleerzeugung steigerten.
  3. Die Länder mit dem größten Zuwachs bei Wind und Sonne, sahen die größten Rückgänge bei Kohle
    Von 2010 bis 2019 sank der Anteil der Kohle am Strommix um 10 Prozentpunkte, während der Anteil von Wind und Sonne zusammen um 13 Prozentpunkte stieg.
    Der Übergang Europas hat eine Brücke zum Gas vermieden: Trotz des Aufwärtstrends bei der Gaserzeugung 2019 ist der Anteil des Gases 2019 immer noch 1 Prozentpunkt niedriger als 2010, und seit 2014 sind in Europa nur 7 GW an neuen Gasanlagen in Betrieb gegangen.
  4. Europas Übergang von der Kohle zu einer sauberen Umwelt wird sich wohl beschleunigen
    2019 wurde die Windkapazität um schätzungsweise 14 GW, die zweithöchste jemals registrierte Menge, und die Solarkapazität um etwa 17 GW, also doppelt so viel wie im vergangenen Jahr, erweitert.
    Unterdessen verschob sich die Wirtschaft weiter zugunsten der erneuerbaren Energien gegenüber den fossilen: 2019 wurden die Auktionspreise für Offshore-Wind (Großbritannien) und Solar (Portugal) auf Rekordtiefe gebracht – beide unter den Großhandelspreisen. Mit Blick auf die Zukunft sagen die Wind- und Solarverbände in Europa voraus, dass sich die Rate der Neuinstallationen beschleunigen wird.
  5. 2019 haben sich zwei weitere europäische Länder zum Ausstieg aus der Kohleförderung verpflichtet
    Griechenland und Ungarn werden die Stromerzeugung aus Kohle bis 2028 bzw. 2030 einstellen, so dass bis 2030 insgesamt 20 von 28 Ländern kohlefrei sein werden. 2019 wurde auch die tschechische Kohlekommission gebildet, die den Auftrag hat, ein Enddatum für die Kohle festzulegen.

Einbruch der Kohle

Zu beobachten war der Rückgang der Kohleverstromung in allen EU-Ländern, in denen Kohlekraftwerke betrieben werden. Insgesamt sank die Menge an Kohlestrom um 24 Prozent beziehungsweise 150 Terawattstunden. Dabei brach die Stromerzeugung von Steinkohlekraftwerken im Vergleich zu 2018 europaweit um 32 Prozent ein, die Braunkohleverstromung nahm um 16 Prozent ab. Auf Deutschland, Spanien, die Niederlande, das Vereinigte Königreich und Italien zusammen entfielen zusammen 80 Prozent des Rückgangs in der Steinkohleverstromung. Bei der Braunkohle sind fast zwei Drittel des Rückgangs allein auf Deutschland und Polen zurückzuführen. Kernkraftwerke verzeichneten einen leichten Rückgang um 1 Prozent. Gaskraftwerke waren die einzigen konventionellen Stromerzeuger, bei denen die Stromproduktion anstieg und zwar um 12 Prozent. „Europa legt weltweit eine einzigartige Geschwindigkeit bei der Ablösung von Kohlestrom durch Wind- und Solarenergie an den Tag. Das hat dazu geführt, dass die CO2-Emissionen des Stromsektors im letzten Jahr so schnell wie nie zuvor gesunken sind“, sagt Dave Jones, Analyst für den europäischen Stromsektor bei Sandbag.

Ausbau der Erneuerbaren Energien muss weiter anziehen

Die Stromproduktion von Windkraft- und Solaranlagen wuchs um 64 Terawattstunden gegenüber 2018 und übertraf mit insgesamt 569 Terawattstunden erstmals die Mengen an Kohlestrom um gut 100 Terawattstunden. Auch aufgrund eines guten Windjahres lieferten Windkraftanlagen 14 Prozent mehr Strom als im Vorjahr. Die Solarstromproduktion nahm um 7 Prozent zu. Infolgedessen stieg der Anteil von Solar- und Windstrom am Strommix in allen EU-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Tschechien. Die Stromerzeugung aus Wasserkraft ging hingegen aufgrund von anhaltender Trockenheit um gut sechs Prozent zurück. Die Trockenheit machte besonders im Juli auch Kernkraftwerken zu schaffen, die ihre Kühlung über Flusswasser bewerkstelligen. Niedrigere Flusspegel behinderten gleichzeitig die Kohlelieferungen an Kraftwerke auf dem Wasserweg.

Bei der Windkraft kamen EU-weit Anlagen mit einer Leistung von 16,8 Gigawatt hinzu – der Zubau gegenüber 2018 wuchs damit um 5,1 Gigawatt. Bei der Photovoltaik war sogar eine Verdoppelung des Zubaus von 8,2 Gigawatt 2018 auf 16,7 Gigawatt im vergangenen Jahr zu verzeichnen. „Trotz der positiven Entwicklung muss das Zubautempo noch weiter beschleunigt werden“, sagt Matthias Buck, Leiter Europäische Energiepolitik bei Agora Energiewende.  Denn bis 2030 soll ein knapp ein Drittel der Gesamtenergie in der EU aus Erneuerbaren Energien stammen, hierfür ist ein Wachstum von 97 Terawattstunden Strom jährlich bis 2030 nötig – also 33 Terawattstunden mehr als 2019.

CO2-Preise wirksam

„Den Rückgang der Treibhausgasemissionen in der EU im vergangenen Jahr verdanken wir größtenteils dem CO2-Preis, der 2019 wieder ein Niveau erreicht hat, bei dem die klimaschädlichen Energieträger vom Markt verdrängt werden“, sagt Buck. „Damit wir dauerhaft Klimaschutz sehen, ist es wichtig, dass der Preis für CO2 das aktuelle Niveau mindestens hält.“ Über den Zertifikatshandel legt die EU die Menge an Treibhausgasemissionen fest, die in der Energie- und Industriewirtschaft sowie im innereuropäischen Flugverkehr ausgestoßen werden dürfen. Allerdings werden aktuell etwa 300 Millionen Zertifikate pro Jahr mehr ausgegeben, als verbraucht. „Damit der Emissionshandels weiterhin zum Klimaschutz beiträgt und Investitionssignale für Erneuerbare Energien sendet, sollte die EU die Menge der jährlich ausgegebenen Zertifikate stärker als bislang vorgesehen verringern. Das sollte ein Kernelement der Debatte um eine Erhöhung der europäischen Klimaschutzziele für 2030 werden“, sagt Buck.

Niedrigere Börsenstrompreise in Ländern mit Alternativen zu Kohlekraftwerken

Die Länder mit dem ambitioniertesten Zubau von Windkraft- und Solaranlagen verzeichneten den stärksten Abfall der Börsenstrompreise – allen voran das Vereinigte Königreich, Irland und Spanien. „Bei der Entwicklung der Börsenstrompreise sehen wir, dass die Länder, die Erneuerbare Energien ausbauen, unabhängiger von Importen, fossilen Rohstoffpreisen und natürlich dem CO2-Preis sind“, sagt Buck.

Für 2020 halten Agora Energiewende und Sandbag eine weiterhin positive Entwicklung für möglich. „Der Abwärtstrend beim Kohlestrom wird anhalten. 21 europäische Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich haben inzwischen Kohleausstiegspläne verabschiedet oder aber gar keine Kohlekraftwerke im inländischen Strommix, in zwei weiteren Ländern wird der Kohleausstieg diskutiert. Gesellschaftliche Forderungen nach schnelleren Fortschritten beim Klimaschutz haben das Jahr 2019 geprägt, dieses Jahr wird Europa seine Klimaschutzziele für 2030 erhöhen“, sagt Buck. „Zeitgleich sinken die Preise für Erneuerbare Energien immer weiter und bei richtiger Rahmensetzung wird der CO2-Preis weiterhin auf einem substantiellen Niveau bleiben. Das postfossile Zeitalter kommt also, darauf müssen die sich EU-Mitgliedstaaten jetzt einstellen.“

„Europa hat die wichtige Aufgabe weltweit ein Vorbild zu werden, wie der Abschied von Kohle schnell und vollständig realisiert werden kann. Für einen vollständigen europäischen Kohleausstieg fehlen noch die Ausstiegspläne der Braunkohleländer Polen, Tschechien, Rumänien und Bulgarien. Braunkohlekraftwerke sind inzwischen vom Vermögenswert zur Belastung geworden, seitdem die niedrigeren Strompreise und die höheren CO2-Preise 2019 ihre Wirtschaftlichkeit zunichte gemacht haben“, sagt Dave Jones von Sandbag.

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