„All electric society“ ist Illusion

Solarthermie-Jahrbuch 2020

Wenn Elon Musk mit großem Tamtam ein neues Tesla-Modell vorstellt, dann verfolgt seine riesige Fangemeinde wie gebannt seine märchenhafte Show. Das muss ihm der Neid lassen: Von Marketing versteht er etwas. Jedenfalls hat er verstanden, zwei faszinierende Technologien geschickt miteinander zu verknüpfen. Die Elektrizität als universelle Energiequelle verbindet er mit einem schnittigen, schnellen Auto, das nicht nur zum Statussymbol wurde, sondern darüber hinaus als besonders umweltfreundlich gilt. Der Traum von der „all electric society“ lässt aber außer Acht, dass Strom nicht im Überfluss vorhanden ist. Aber dieser Aspekt kommt in der öffentlichen Debatte zu kurz. Darauf weist das eben erschienen Jahrbuch Solarthermie 2020 hin – „wenn die Solarthermie ihren Platz in der Energieversorgung behaupten soll“.

Solarthermie im Süden-Berlins - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Solarthermie im Süden-Berlins – Foto © Agentur Zukunft für Solarify

Das Branchenmagazin berichtet über solare Wärmenetze, solare Prozesswärme und über Solarthermie in Ein- und Mehrfamilienhäusern. Nachdem das Solarthermie-Jahrbuch „Solare Wärme“ im vergangenen Jahr seine Premiere feierte, ist nun Anfang März die zweite Ausgabe „Solarthermie-Jahrbuch 2020“ erschienen. Themenschwerpunkt in diesem Jahr sind solare Wärmenetze. Im Fokus stehen außerdem solare Prozesswärme und Solararchitektur.

Segment Solarthermie-Großanlagen wächst

In der Solarthermie-Branche sind es derzeit vor allem Großanlagen, die ein Marktwachstum verzeichnen. Immer häufiger erzeugen große Kollektorfelder umweltfreundliche Energie für Nah- und Fernwärmenetze in Städten, Gemeinden und Energiedörfern. Das Solarthermie-Jahrbuch 2020 beschreibt auf 30 Seiten das aufstrebende Marktsegment.

Ebenfalls im Kommen ist die solare Prozesswärme. Mit Hilfe der Solarthermie lassen sich Prozesse in der Industrie und im Gewerbe dekarbonisieren. Beispiele, die im Jahrbuch vorgestellt werden, sind das Wärme-Liefercontracting und ein Projekt in Frankreich, bei dem eine Papierfabrik solare Wärme für die Produktionsprozesse nutzt.  Nachfolgend ein Auszug aus dem eben erschienen Jahrbuch.

Grenzen der Elektromobilität

Mehr Menschen sind davon überzeugt, dass die Elektrizität unsere ausgedehnten Mobilitätsanspruche erfüllen wird. Sie glauben, dass der Elektromobilität die Zukunft gehört und der Verbrennungsmotor bald auf dem Schrottplatz der Geschichte landet. Sie halten ein Auto für umweltfreundlich, wenn es keinen Auspuff hat. Dann kann man auch mit dem Auto Brötchen holen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Mit dem Traum von der grenzenlosen, umweltfreundlichen Elektromobilität breitet sich die Illusion der „all electric society“ aus, also die Vorstellung, dass der Strom nicht nur unsere Mobilitätswünsche, sondern bald sämtliche unserer Ansprüche erfüllen kann und wir gar nichts anderes mehr brauchen.

Natürlich ist es eine verlockende Aussicht, dass keine Schornsteine mehr rauchen werden, wenn eines Tages nicht nur alle Kohlekraftwerke stillgelegt worden sind, sondern die gesamte Industrieproduktion nur noch elektrische Energie benötigt. Auch die Wohnhäuser werden dann keinen Schornstein mehr haben, weil Wärmepumpen für Behaglichkeit sorgen. Und die Warmwasserspeicher werden direkt mit Solarstrom aufgeheizt, weil er im Überfluss vorhanden ist.

Die „all electric society“ würde voraussichtlich keine Solarthermie mehr brauchen. Müssen wir uns jetzt Sorgen machen? Sicherlich nicht. Denn wenn sämtliche Energiedienstleistungen elektrisch ablaufen sollen, dann wird sich der Strombedarf voraussichtlich verdoppeln, wenn nicht gar verdreifachen.

Neue Technologien wecken neue Nachfrage

Außerdem wecken neue Technologien eine neue Nachfrage. Das Aufkommen der Elektromobilität bedeutet ja nicht, dass wir eines Tages weniger Autos haben werden, sondern mehr. Wenn dann noch das autonome Fahren massentauglich wird, dann wird kaum noch jemand zu Fuß gehen wollen. Vom Energiehunger des Internets ganz zu schweigen.

Auch der Strombedarf der Industrie wird gigantisch anwachsen, wenn die Prozesse, die auf Verbrennung beruhen, eines Tages nur noch elektrisch ablaufen sollen. Der Verband der Chemischen Industrie hat kürzlich berechnen lassen, wieviel Strom aus erneuerbaren Energien nötig wäre, damit die Branche klimaneutral produzieren kann. Das Ergebnis gibt zu denken. Es wären 628 Terawattstunden notwendig, also mehr, als Deutschland zurzeit insgesamt verbraucht. Wo aber sollen die vielen Solar- und Windparks stehen, die erforderlich sind, um den gigantischen Strombedarf der „all electric society“ zu decken?

Den einfachen Lösungen gehört die Zukunft

Die Begeisterung für das Elektroauto und alle weiteren, verlockenden Dienstleistungen des elektrischen Stroms wird bald der Ernüchterung weichen. Denn schon jetzt stößt der weitere Ausbau der Windenergie an Grenzen, und die Photovoltaik kann das verlangsamte Wachstum der Windenergie nicht ausgleichen. Denn je mehr Solarstrom-Überschüsse in den Sommermonaten erzeugt werden, desto mehr Speicher werden erforderlich sein. Beim Ein- und Ausspeichern geht aber viel Energie verloren.

Es kann also nicht der richtige Weg sein, alles auf eine Karte zu setzen und den gesamten Energiebedarf mit Solar- und Windstrom decken zu wollen. Es kommt daher darauf an, in der öffentlichen Diskussion über die Energiewende auf die einfachen Lösungen hinzuweisen. Die Solarthermie hat den Vorteil, dass sie die Solarenergie direkt in Wärme verwandelt und dass es zum Speichern dieser Wärme nichts weiter braucht als Wasser. Sie benötigt nur wenig Strom, um den Wärmekreislauf in Gang zu halten, wird also den Strombedarf nur unwesentlich erhöhen. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber offenbar in der allgemeinen Elektro-Euphorie in Vergessenheit geraten.

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