Die neue EU-Industriestrategie
„Die EU-Kommission möchte mit ihrer Industriestrategie klimafreundliche Innovationen fördern. Für das Industrieland Deutschland bedeutet das milliardenschwere Investitionen“, schreibt Florence Schulz auf EURACTIV.de. Die Zeit dränge zwar, aber noch bleibe unklar, wie den Unternehmen unter die Arme gegriffen werden soll. Wirtschaftsminister Peter Altmaier müsse aber Wege finden, um die Dekarbonisierung der deutschen Industrie voranzutreiben. Kann die neue EU-Industriestrategie darauf Antworten liefern?
Deutschland sollte möglich schnell Planungssicherheit für seine Industrie schaffen und eigene Maßnahmen abseits der EU-Industriestrategie ergreifen, so der Tenor des Klima-Thinktanks Agora Energiewende im Kontext der EU-Vorschläge. Die Strategie zielt darauf ab, die europäische Wirtschaft im Sinne des Green Deal zu dekarbonisieren und umfasst eine Reihe von Maßnahmen zum Schutz der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt.
Allerdings enthält das Dokument der EU-Kommission relativ wenig konkrete Instrumente zur Finanzierung von grünen Investitionen – öffentlich-private Partnerschaften im Industriesektor, ein Punkt, der besonders für das Industrieland Deutschland von größter Bedeutung ist. Außerdem werde man das europäische Wettbewerbs- und Beihilferecht überarbeiten.
Damit könnte der Weg für sogenannte „Differenzverträge“ mit der Industrie frei gemacht werden. Bei diesem Mechanismus einigen sich Staat und Unternehmen auf einen fixen CO2-Preis, der unabhängig von den steigenden Kosten für CO2-Zertifikate ist. So sollen Investitionen zum Beispiel in Wasserstoff-Reduktionsanlagen in der Stahlindustrie attraktiv werden. „Solange es auf EU-Ebene noch keinen solchen Mechanismus gibt, sollte Deutschland damit vorangehen“, empfahl Agora-Chef Patrick Graichen gestern vor Journalisten in Berlin.
Deutschland muss Milliardeninvestitionen anschieben
In Deutschland, wo die Grundstoffindustrie gut ein Fünftel der Treibhausgase ausstößt, müssen Wege gefunden werden, um die Dekarbonisierung der Industrie zu finanzieren. Schon in diesem Jahrzehnt stehen massive Umbrüche an, Schätzungen zufolge müssen mehr als die Hälfte der Anlagen in der Stahl- und Chemieindustrie erneuert werden. Allein der Investitionsaufwand für neue Stahl-Hochöfen auf Gasbasis wird von der Agora Energiewende auf acht Milliarden Euro geschätzt. Auch deren Betrieb wird zu Mehrkosten führen: Bei einem CO2-Preis von 30 Euro im Jahr 2030 würde die Stahlproduktion 2030 rund 500 Millionen Euro mehr kosten als heutzutage, rechnet der Thinktank. Ähnliches beim Zement, wo knapp ein Drittel der Anlagen erneuert werden müsse. Wenn sie alle mit einer Technologie zur Abspaltung von CO2 ausgestattet würden, entständen jährliche Zusatzkosten von 400 Millionen Euro.
Zugleich drängt die Zeit. „Angesichts der jahrzehntelangen Lebenszeit vieler Anlagen müsste spätestens bis 2025 in klimafreundliche Technologien investiert werden, damit wir 2050 keine fossilen Anlagen mehr betreiben“, so Graichen. Doch die Investition in klimaneutrale Anlagen, zum Beispiel auf Basis von grünem Wasserstoff, lohnt sich angesichts des derzeitigen CO2-Preises von rund 25 Euro kaum. Allein in der Stahlproduktion müsste der Preis pro Tonne CO2 auf 100 bis 150 Euro steigen, um fossile Verfahren unrentabel zu machen.
Wie werden neue Technologien rentabel?
Die Industrie drängt daher auf staatliche Unterstützung, um klimafreundliche Technologien zu einem Business Case zu machen. Eine Möglichkeit dazu könnte eine Mindestquote für Wasserstoff sowie eine Selbstverpflichtung des Staates sein, bei großen Bauprojekten klimafreundliche Materialien zu verwenden, so der Vorschlag der Agora Energiewende. Dazu könnte Deutschland eine Umlage auf Produkte wie Stahl, Aluminium, Zement und Plastik erheben und so die Differenzverträge mit der Industrie finanzieren – denn auf diese Art würden Unternehmen vom Staat bezuschusst werden, solange der vereinbarte CO2-Preis unterhalb des Marktpreises liegt.
Von Differenzverträgen ist in der Industriestrategie der EU allerdings keine Rede. Stattdessen wiederholt die Kommission ihre Absicht, kommendes Jahr einen Vorschlag zu einer CO2-Grenzsteuer vorzulegen. Diese von Frankreich vorangetriebene Idee wurde von Bundeskanzlerin Merkel zwar vorsichtig aufgegriffen, ist in der deutschen aber Wirtschaft umstritten, weil sie schwer umsetzbar sei.
In einer Stellungnahme schrieb der deutsche Verband der chemischen Industrie, CO2-Grenzsteuern seien „kein sinnvoller Hebel, sondern schadeten eher einer nachhaltigen Entwicklung“. Stattdessen müssten vor allem die kostenlose Zuteilung von Emissionshandelszertifikaten und Strompreiskompensationen beibehalten werden.
Weg frei für europäische Champions?
Mehr im Sinne der deutschen Industrie sind dagegen die von der Kommission versprochene Überarbeitung des Beihilferechts und der Fokus auf „industrielle Allianzen“. Solche Zusammenschlüsse hätten sich im Falle der Batterie- und Plastikproduktion als angemessenes Mittel erwiesen und könnten die Schaffung eines Wasserstoff-Marktes vorantreiben, heißt es in der Industrie-Strategie. Das dürfte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gefallen, der schon vergangenes Jahr seine Vision für europäische Großfusionen, sogenannte Champions, vorgelegt und zusammen mit dem deutschen Industrieverband auf eine Lockerung des EU-Wettbewerbsrechts gedrungen hatte.
Anfang Februar hatte sich Altmaier zusammen mit den Wirtschaftsministern Frankreichs, Italiens und Polens an Wettbewerbs-Kommissarin Margrethe Vestager gewandt und um eine Reform des Wettbewerbsrechts gebeten. Die Dänin hatte solche Fusionen lange abgelehnt, im Dezember aber erstmals eine Reform in Aussicht gestellt. Nächstes Jahr möchte sie entsprechende Vorschläge präsentieren.
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