Europas Autoschmiede jammern schriftlich über Corona-Folgen – CO2-Grenzwerte nicht genannt
Der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) – der Konzerne wie Ford, Honda und Volkswagen vertritt – beklagte in einem Brief an sechs EU-Kommissionsmitglieder in der vergangenen Woche unter Bezug auf das Corona-Vorus, „dass wir so etwas noch nie erlebt haben. Sam Morgan beschäftigt sich auf EURACTIV.com mit dem Schreiben.
Der ACEA und eine Reihe weiterer Industrie- und Lobbygruppen warnten, dass ein durch Fabrikschließungen und unterbrochene Lieferketten verursachter Ausfall in der Produktion, bei der Entwicklung und bei Tests den Zeitplan des Sektors beeinträchtigen werde: „Das bringt die Pläne durcheinander, die wir gemacht hatten, um uns auf die Einhaltung bestehender und künftiger EU-Gesetze und -Vorschriften innerhalb der in diesen Vorschriften festgelegten Fristen vorzubereiten,“ wird in dem Brief erklärt.
Weiter fordert die Autoindustrie: „Wir glauben daher, dass eine gewisse Anpassung des Zeitplans für diese Gesetze notwendig wäre.“ Betont wird freilich, die Autohersteller würden nicht versuchen, die grundsätzlichen Ziele der Vorschriften, wie zum Beispiel die Bekämpfung des Klimawandels, zu untergraben. Ausschnitte aus dem Brief:
„Zweifellos sind die Auswirkungen auf unseren Sektor beispiellos. Sowohl die Produktion als auch der Verkauf von Kraftfahrzeugen und Komponenten sind zum Erliegen gekommen. Die meisten unserer Mitarbeiter sind technisch arbeitslos oder arbeiten von zu Hause aus, wo dies möglich ist. Niemand weiß, wie lange das so bleiben wird. Wir haben so etwas noch nie erlebt.
Da unsere Industrie sehr kapitalintensiv ist, sind die Auswirkungen schwerwiegend. Die Unternehmen sind auf häufige Refinanzierungen angewiesen, um ihre Geschäfte zu finanzieren. Dies ist in der gegenwärtigen Situation eine Herausforderung. Ohne neue Einnahmen werden viele Unternehmen kurz- bis mittelfristig erhebliche Liquiditätsprobleme haben.
Was letztere betrifft, so sollte unserer Meinung nach mehr getan werden, um großen und kleinen Unternehmen Liquidität zur Verfügung zu stellen. Da wir unseren Schwerpunkt und unsere Ressourcen auf die Bewältigung dieser kurzfristigen Probleme richten, werden andere Aktivitäten unweigerlich darunter leiden. Vorläufig werden keine Produktions-, Entwicklungs-, Test- oder Homologationsarbeiten durchgeführt. Dies stört die Pläne, die wir gemacht hatten, um uns auf die Einhaltung bestehender und künftiger EU-Gesetze und -Verordnungen innerhalb der in diesen Vorschriften festgelegten Fristen vorzubereiten. Wir glauben daher, dass eine gewisse Anpassung des Zeitplans dieser Gesetze erforderlich ist. Seien Sie jedoch versichert, dass es nicht unsere Absicht ist, die Gesetze in Frage zu stellen.
Sobald die Pandemie vorbei ist und die Gesundheitsmaßnahmen aufgehoben werden können, werden Transparenz und Koordination unerlässlich sein, um sicherzustellen, dass das Leben und die Wirtschaft so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden können, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzuschwächen und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie so weit wie möglich zu unterstützen, nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass die Gesellschaft in die Lage versetzt wird, die doppelte Transformation von Dekarbonisierung und Digitalisierung wieder in vollem Umfang zu nutzen.
Wir begrüßen die Hinweise der Kommission an die Mitgliedstaaten zur Einführung „grüner Fahrspuren“ für Waren. Lösungen werden auch für die Arbeitnehmer erforderlich sein, insbesondere in den Grenzregionen, wo die Unternehmen von den Grenzgängern in ihrer Belegschaft abhängig sind, aber auch für die Freizügigkeit von Facharbeitern, die die Maschinen am Laufen halten und die Lieferketten intakt halten.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn wir die Gelegenheit hätten, diese Fragen mit der Europäischen Kommission zu erörtern, wobei Sie selbst, Ihr(e) Exekutiv-Vizepräsident(en) und/oder andere Kommissare nach Belieben einbezogen werden könnten.
Wir glauben, dass dies eine gute Grundlage sein könnte, um nicht nur zu beurteilen, was kurzfristig zur Milderung der Auswirkungen auf unseren Sektor getan werden könnte, sondern auch um eine Ausstiegsstrategie vorzubereiten, wenn das Schlimmste der Gesundheitskrise hinter uns liegt.
Wir hoffen, dass dieser Vorschlag Ihre Zustimmung findet und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit der Kommission, um sicherzustellen, dass der europäische Automobilsektor so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommt und weiterhin an der Spitze der Innovation und Wettbewerbsfähigkeit steht.“
Die Briefschreiber verschweigen in ihrem Werk, welche konkreten Vorgaben der EU denn nun angepasst werden sollten. Nach Einschätzung von EURACTIV.com dürften jedoch die CO2-Emissionsziele für 2020 und 2030 ganz oben auf ihrer Wunschliste stehen. „In diesem dringenden Kontext war es bisher nicht möglich, eine detaillierte Analyse der Auswirkungen dieser Krise auf die Gesetzgebung, die unsere Industrie betrifft, durchzuführen. Es wird aber unweigerlich Auswirkungen in diesem Bereich geben,“ erklärte ACEA-Chef Eric-Mark Huitema in einer separaten Erklärung. Ein Sprecher des deutschen Verbandes der Automobilindustrie (VDA) wurde deutlicher: „Wenn einige Hersteller schwere Schäden erleiden und Tausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel stehen, dann sollte es natürlich eine Debatte über CO2-Ziele geben.“
Ziele aufgrund der Krise sogar besser zu erreichen?
Ab Januar 2021 gilt ein neuer Durchschnittsgrenzwert von 95 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer für Neufahrzeuge der einzelnen Autohersteller-Flotten vollständig – gewisse Bestimmungen sind jedoch bereits heute verpflichtend. Einige Autohersteller wie beispielsweise die Peugeot Group erklärten, man habe daher im ersten Quartal 2020 bereits begonnen, die gesteckten Ziel einzuhalten.
Mobilitätsexperten wieisen allerdings bereits darauf hin, dass die aufgrund des Virenausbruchs niedrigen Verkaufszahlen in Wirklichkeit wenig Einfluss auf die Einhaltung der Emissionsvorschriften haben dürften: Schließlich bezögen die Vorschriften sich auf die durchschnittlichen Emissionen der Flotte. Vielmehr sei damit zu rechnen, dass ein Abschwung den Autoherstellern in dieser Hinsicht sogar helfen könnte, da die Kundinnen und Kunden in finanziell schwierigen Zeiten dazu neigen, kleinere Autos zu wählen. In diesem Segment gibt es auch eine deutlich größere Auswahl an Elektrofahrzeugen.
Julia Poliscanova von der europäischen Verkehrs-NGO Transport & Environment erklärt in dieser Hinsicht ebenfalls, insbesondere die Art der verkauften Autos sei von größter Bedeutung. Daher sollten auch alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Konjunkturbelebung nach Eindämmung der Pandemie „auf Null-Emissions-Autos ausgerichtet sein“.
Vor allem die EU-Gesetze mit Klimazielen für 2030 dürften für die Autohersteller von großer Bedeutung sein, da die Kommission im Rahmen ihres Green Deal nun eine frühzeitige Überprüfung der Vorschriften im kommenden Jahr vorgeschlagen hatte – anstatt der zuvor geplanten Bestandsaufnahme im Jahr 2023. Strengere Luftschutzstandards für Verbrennungsmotoren sollen ebenfalls bewertet werden. Die EU-Exekutive will 2025 genügend Vorschriften festgelegt haben, „um wirklich einen eindeutigen Weg zu emissionsfreier Mobilität zu gewährleisten“, so ein hochrangiger Kommissionsbeamter.
Altmaier springt für die Autoindustrie in die Bresche
Unterstützung erhält die Autoindustrie derweil aus der deutschen Politik: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte schon im Februar in einem Schreiben an EU-Klimakommissar Frans Timmermans darauf bestanden, dass der Automobilsektor von jeglichen Plänen zur weiteren Emissionssenkung ausgenommen werden sollte. Altmaier argumentierte damals, die bestehenden Regeln, die 2019 ausgehandelt wurden, hätten bereits „jeglichen Spielraum für eine weitere Verschärfung eliminiert“.
Nach bisherigem Stand sollen die Emissionen bis 2025 um 15 und bis 2030 um 37,5 Prozent gesenkt werden. Die Kommission hat ihrerseits weitere umweltpolitische Maßnahmen für den Verkehrssektor in Aussicht gestellt – auch wenn sich der Zeitplan wegen der Virus-Pandemie noch ändern könnte. Dazu gehört beispielsweise die zukünftige Einbeziehung von Straßenfahrzeugen (und der Schifffahrt) in das EU-Emissionshandelssystem.
Die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen machen etwa ein Viertel des Gesamtausstoßes der EU aus. Im Gegensatz zu anderen Verschmutzern wie Energieerzeugern oder der Landwirtschaft sind die Werte im Transportsektor jedoch stetig angestiegen.
(Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins)
->Quellen: