Atomtransport umstritten
Ca. 750 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid haben am 06.04.2020 die einzige Urananreicherungsanlage Deutschlands der Firma Urenco unter Protest verlassen und durchquerten Münster. Auch dort wurde (so eine BBU-Medienmitteilung) protestiert – der Sonderzug mit 15 Waggons passierte Hamm und das Ruhrgebiet auf dem Weg nach Amsterdam; dort soll das hochgiftige Material nach Russland – die russische Atomfabrik Novouralsk – eingeschifft werden.
Die Durchführung der Mahnwachen in Gronau und Münster war zunächst strittig. Schließlich genehmigten aber die Ordnungsämter in Gronau und Münster die Mahnwachen mit Auflagen: Die TeilnehmerInnenzahl war begrenzt und es sollten Sicherheitsabstände eingehalten werden. Zudem wurde das Tragen von Gesichtsmasken nahegelegt.
Bürgerinitiativen und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) kritisierten Uranmüllexport in Zeiten der Corona-Krise.
„Das Verhalten des Urananreicherers Urenco ist unglaublich und verantwortungslos. Viele Betriebe müssen wegen der Corona-Pandemie erheblich zurückstecken, die Notfalldienste und Krankenhäuser sind voll eingespannt – und die Öffentlichkeit soll zu Hause bleiben. Doch Urenco besteht mitten in der Corona-Pandemie auf einem betrieblich völlig unerheblichen und gefährlichen Uranmülltransport nach Russland. Urenco stellt wirtschaftliche Erwägungen vor den Schutz der Allgemeinheit. Warum machen das Bundesinnenministerium und die NRW-Landesregierung dabei mit?“ fragt Matthias Eickhoff von der Initiative SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster.
Die Kritik an dem Uranmülltransport von Gronau nach Novouralsk ist groß: Bereits am 02.04.2020 hatte der für die Gefahrenabwehr in der Stadt Münster zuständige Ordnungsdezernent, Wolfgang Heuer, den Urenco-Konzern schriftlich aufgefordert, den Atommülltransport während der Corona-Pandemie abzusagen. Dies teilte Heuer auf Nachfrage der Initiative SOFA Münster mit. Die Forderung der Stadt Münster ist ein Novum und eine klare Botschaft an Urenco, die von den Initiativen und Verbänden ausdrücklich begrüßt wird.
Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl und Oliver Krischer forderten Bundesinnenminister Horst Seehofer auf, nicht nur Castor-Transporte, sondern auch die jetzigen Urantransporte in Corona-Zeiten zu untersagen. Auch die NRW-Landesvorsitzende der Grünen, Mona Neubaur, nannte den Transport „unverantwortlich“. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel forderte ein „umfassendes Uranexport-Verbot“. Auch Greenpeace fordert einen Transportstopp. Im Vorfeld hatte das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen den verantwortlichen NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart und den Polizeibeauftragten der NRW-Landesregierung aufgefordert, für eine Untersagung des gefährlichen Uranmüllexportes zu sorgen. Eine Antwort gab es nicht.
Hintergrund: Der Urenco-Konzern, an dem auch EON und RWE beteiligt sind, exportierte bereits von 1995 bis 2009 abgereichertes Uranhexafluorid aus der Urananreicherung als Atommüll zur Endlagerung nach Russland, um in Deutschland die wesentlich teurere Entsorgung des Uranmülls zu umgehen. Aufgrund internationaler Proteste gab es dann eine zehnjährige Pause, bis im Frühjahr 2019 die Exporte insgeheim wieder aufgenommen wurden. Seither verließen jetzt insgesamt 12 Uranmüllzüge Gronau mit insgesamt mehr als 7000 t Uranhexafluorid.
Diese Atomabfallzüge fuhren bisher immer von Gronau über Steinfurt durch Münster und dann weiter via Drensteinfurt, Hamm, den Kreis Unna, das Ruhrgebiet, Duisburg, Viersen, Mönchengladbach, Venlo und viele niederländische Orte bis zum Hafen Amsterdam. Dort erfolgte die Verladung nach St. Petersburg. Zielort ist die Geschlossene Stadt Novouralsk, die von Außenstehenden nur mit Sondererlaubnis besucht werden darf.
Urenco umgeht mit dem Export die Entsorgung des Atommülls in Deutschland. Bei Uranmülltransporten Ende 2019 hatten AtomkraftgegnerInnen zwei Uranmüllzüge zwischen Gronau und Münster mit Abseilaktionen für mehrere Stunden blockiert. Die Proteste richten sich auch gegen die häufigen Urantransporte mit LKW, die mit dem Betrieb der Gronauer Uranfabrik verbunden sind. Auch in Russland kam es in St. Petersburg, Moskau und sogar am Zielort in der abgeschotteten Atomstadt Novouralsk zu Protesten gegen die Uranmüllexporte. Zudem haben 70 000 Menschen in Russland eine Protest-Petition gegen die Uranmüllexporte aus Deutschland unterschrieben. Die Petition wurde im Januar dem Bundesumweltministerium überreicht.
Mitte März hatte das Bundesinnenministerium einen für Anfang April geplanten Atommüll-Transport vom britischen Sellafield zum stillgelegten AKW Biblis in Hessen aufgrund der Corona-Gefahrensituation abgesagt. „Die Aussetzung der hochgefährlichen Urantransporte wäre ein konsequenter nächster Schritt. Die Anti-Atomkraft-Bewegung bleibt am Ball und engagiert sich weiterhin gegen Atomtransporte und für die sofortige Stilllegung aller Uranfabriken und Atomkraftwerke“, so Udo Buchholz vom Vorstand des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU).
In einem Schreiben des Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen an die nordrhein-westfälische Atomaufsicht im Wirtschaftsministerium und an den Polizeibeauftragten der NRW-Landesregierung heißt es dazu: „Nachdem sich das Bundesinnenministerium bereits in der letzten Woche zu Wort gemeldet hat, ist das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen mehr als erstaunt darüber, dass es von der NRW-Atomaufsicht keinerlei öffentliche Stellungnahme zur Thematik ‚Urantransporte während der Corona-Krise‘ gibt. Geboten wäre, auch im Interesse der Polizistinnen und Polizisten, eine strikte Untersagung der Transporte – auch und gerade zur Entlastung der beteiligten Polizei sowie der medizinischen Fachkräfte, die im Falle eines Unfalls mit Uranhexafluorid-Freisetzungen extrem stark gefordert wären.“
Udo Buchholz vom örtlichen Arbeitskreis Umwelt Gronau erklärte dazu: „Die Bevölkerung und viele Betriebe müssen derzeit wegen der Corona-Krise massive Einschränkungen hinnehmen. Für Urenco dürfen keine Sonderregeln gelten. Es kann nicht sein, dass der Konzern mit seinen deutschen Anteilseignern RWE und EON jetzt wieder mehrere Hundert Tonnen Atommüll auf die Reise schickt. Urenco muss dringend öffentlich Verantwortung zeigen und den Transport verbindlich absagen.“
Den Vorgang kommentiert Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace: “Urenco stellt einmal mehr seine Geschäftsinteressen über die Gesundheit von Menschen. Entgegen dem Wunsch der Behörden nach Aussetzen des Transports hält Urenco stur an den Atommüll-Exporten nach Russland fest. Das ist nicht nur eine beispiellose Provokation – Urenco nimmt damit auch die Gefährdung von Menschen an der gesamten Transportstrecke bewusst in Kauf. Wird UF6 in Folge eines Unfalls freigesetzt, kann dies zu schweren Lungenverätzungen noch in einigen Kilometern Entfernung führen. Im ganzen Land wird gerade darum gerungen, in den Krankenhäusern Kapazitäten insbesondere für die Behandlung von Lungenerkrankungen freizuschaufeln. Und dann will Urenco einen Transport auf den Weg bringen, der im Schadensfall genau diese Kapazitäten beschneidet. Das ist unverantwortlich und ein Skandal.“
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