Breite Unterstützung für Energiewende – aber nicht so, wie sie zurzeit gemacht wird
Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende wurde im Jahr 2019 zum dritten Mal erstellt. Über 6500 Bürger in Deutschland wurden 2017, 2018 und 2019 zu ihren Einstellungen, Erfahrungen und Präferenzen der Energiewende befragt. Die Ergebnisse sind nach soziodemographischen und geographischen Merkmalen sowie nach Anhängerschaft der politischen Parteien differenziert. Das Barometer ist ein Produkt der Partnerschaft dynamis, die das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), die 100 prozent erneuerbar Stiftung und die innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft bilden.
Das dritte Soziale Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende zeigt: Die überwiegende Mehrheit der in Deutschland lebenden Bevölkerung unterstützt die zentralen politischen Ziele der Energiewende. Die Kritik an der Umsetzung nimmt jedoch im Vergleich zu 2018 erneut zu. Deutlich mehr Menschen als vor zwei Jahren bezeichnen die Energiewende als teuer (78% aller Befragten; plus 3 Prozentpunkte), chaotisch (66%; plus 6 Prozentpunkte), ungerecht (56%; plus 5 Prozentpunkte) sowie elitär (51%; plus 4 Prozentpunkte).
„Dass die Diskrepanz zwischen der allgemeinen Zustimmung zu den Zielen der Energiewende einerseits und der Bewertung der Umsetzung andererseits so deutlich ist und über die Jahre sogar noch zunimmt, ist höchst überraschend“, sagt Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. „Denn Vergleichbares erleben wir bei Befragungen sehr selten. Wir können uns dies nur so erklären, dass die Menschen zu den politischen Akteuren zunehmend geringeres Vertrauen haben.“
Gemeinschaftswerk Energiewende – nur ein leeres Versprechen?
Auffällig sei, wie gering die Menschen ihre eigenen Mitwirkungsmöglichkeiten einschätzten. Nur jeder Fünfte erkenne die Möglichkeit, bei der Energiewende Einfluss zu nehmen und mitzusprechen.
„Weil das so ist, droht das viel beschworene Gemeinschaftswerk Energiewende zu einem leeren Versprechen zu werden,“ sagt Stephan Muschick, Geschäftsführer der innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft“. „Die Politik wäre gut beraten, hier umzulenken, und die Energiewende wieder zu einem Projekt zu machen, zu dem sich die Menschen zum Mitmachen eingeladen fühlen.“
Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer zeige aber auch, dass die Menschen mehrheitlich mehr Windenergie an Land wollen, fast zwei Drittel unterstützen den Kohleausstieg, und mehr als die Hälfte der Befragten sei prinzipiell bereit, für den Klimaschutz höhere Energiekosten zu tragen. „Allerdings vertreten die Menschen klare Ansichten darüber, wie die Mehreinnahmen aus einem CO2-Preis zu verwenden seien. 60 Prozent lehnen es ab, dass die Mittel in den Bundeshaushalt fließen, aber auch eine Rückzahlung an die Bürger wird skeptisch gesehen.“ Die deutliche Mehrheit spreche sich dafür aus, dass die Einnahmen für Investitionen in ein klimafreundliches Verkehrssystem und den Ausbau von erneuerbaren Energien investiert werden, fasst der IASS-Chef die Ergebnisse zusammen.
„Dies ist nur eines von mehreren Indizien dafür, dass viele politische Entscheidungen der Energiewende nicht den Präferenzen der Menschen entsprechen. Hier liegt wohl auch ein wichtiger Grund für die große Unzufriedenheit der Menschen mit der Energiewendepolitik der Bundesregierung. Wenn mehr als 80 Prozent der Menschen einen Ausbau von Solardachanlagen wünschen, die Große Koalition aber aufgrund von parteipolitischen Erwägungen die Sonnenenergie weiter begrenzt, dann ist die herbe Kritik der Menschen absolut nachvollziehbar“, kommentiert René Mono, Vorstand der 100 prozent erneuerbar stiftung.
Insgesamt zeigten die Ergebnisse, dass die Menschen in Deutschland einen differenzierten Blick auf Energiewende haben. Ingo Wolf, Autor der Studie und Senior wissenschaftlicher Mitarbeiter am IASS, fasst zusammen: „Sie sind mehrheitlich bereit Mehrkosten zu tragen und Maßnahmen zu akzeptieren, die einen effektiven Beitrag zur Emissionsminderung und einem nachhaltigen Klimaschutz leisten. Gleichzeitig erwarten sie von den politischen Akteuren ein rasches, zielgerichtetes und sozial gerechtes Vorgehen sowie bessere Möglichkeiten der Mitsprache und Teilhabe an energiepolitischen Entscheidungen. Diese Erwartungen werden jedoch bislang noch nicht ausreichend erfüllt und tragen wesentlich zur aktuellen Unzufriedenheit in der Bevölkerung bei.“
Wie sich die unterschiedlichen Umfragewerte „lesen“ lassen, kann sich jeder selbst an seinem PC oder Laptop über ein interaktives Onlinetool anschauen (Deeplink: https://www.iass-potsdam.de/de/barometer/data-explorer/). Wer und in welcher Region Deutschlands hat beispielsweise vor in den nächsten zwei Jahren entweder alleine oder gemeinsam mit anderen wie etwa Nachbarn, Freunden, einer Genossenschaft oder per Investitionsfonds in eine eigene Solar- oder Windanlage zu investieren? Dies kann an einer interaktiven Karte für verschiedene Haushaltsgrößen überprüft werden.