Welche Welt wollen wir nach Covid-19?

Gastkommentar in EURACTIV zur Corona-Pandemie von Frans Timmermanns und Bertrand Piccard

Covid-19 hat viel Unsicherheit und Leid verursacht, aber die Nachwirkungen der Krise bieten die Chance, mit alten Gewohnheiten zu brechen und eine gleichermaßen nachhaltige wie wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen, schreiben Frans Timmermans und Bertrand Piccard (Solar Impulse 2, re.). Ein „Weiter so!“ als Rettungspaket kann nicht die Antwort sein. Statt verzweifelt zu versuchen, zum Zustand vor der Coronakrise zurückzukehren, sollte unser Ziel eine andere, bessere Wirtschaft sein.

Frans Timmermans ist Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission und in dieser Rolle für den Green Deal zuständig. Bertrand Piccard ist der Gründer und Vorsitzende der Solar Impulse Foundation. Ihrr Beitrag erschien am 16.04.2020 parallel in vielen nationalen und internationalen Medien.

Frans Timmermanns: „Green Deal kein Luxus“ – Foto © Solarify

Welchen Zustand hatten wir vor der Coronakrise?

Wir hatten die schleppende Entwicklung einer linearen und kohlenstoffintensiven Wirtschaft, die Mühe hatte, die Beschäftigungszahlen und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, die dabei aber gleichzeitig die natürlichen Ressourcen erschöpfte, gefährliche Abfälle und giftige Schadstoffe erzeugte, die Bevölkerung und die Industrie gefährdete, ganz zu schweigen vom Klimawandel. Wollen wir wirklich dahin zurück?

Die Coronavirus-Krise ist noch nicht vorbei. Viele Menschen leiden darunter: diejenigen, die sich angesteckt haben, und ihre Familien; die Beschäftigten im Gesundheitswesen an vorderster Front; Arbeitnehmende, die ihren Arbeitsplatz verloren haben; Selbständige und Kleinunternehmen, die einer ungewissen Zukunft entgegensehen; und auch die Aktienmärkte stürzen ab. Für viele ist dies eine schreckliche Zeit.

Gastbeiträge geben die Meinungen der Autorinnen und Autoren, nicht in jedem Fall die von Solarify wieder.

Im Moment sollten wir uns darauf konzentrieren, das Virus zu bekämpfen und gleichzeitig sicherzustellen, dass wir unsere Wirtschaft und unser Finanzsystem am Leben erhalten. Sobald wir jedoch die unmittelbare Krise überwunden haben, müssen wir unsere Wirtschaft so schnell wie möglich wieder ankurbeln und die Produktionsketten wieder zum Laufen bringen, damit die Menschen wieder arbeiten und ein Einkommen erzielen können. Das stellt uns aber auch vor die Wahl: Wollen wir verzweifelt darum kämpfen, zu dem zurückzukehren, was wir vorher hatten – oder wollen wir versuchen, einen deutlich besseren Zustand zu erreichen?

Was hatten wir vor COVID-19?

Eine träge, lineare und CO2-speiende Wirtschaft, die größte Probleme hat, die Beschäftigungsraten und die Lebensqualität zu erhöhen, während sie gleichzeitig die natürlichen Ressourcen erschöpft, gefährliche Abfälle und giftige Schadstoffe produziert und die Bevölkerung und die Industrie in Gefahr bringt – vom Klimawandel ganz zu schweigen. Wollen wir so etwas wirklich erneut aufbauen?

Es gibt noch einen anderen Weg: das Streben nach qualitativem Wachstum mit einer zirkulären, nachhaltigen und höchst wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Wie kommen wir dorthin? Indem wir alte und umweltverschmutzende Anlagen durch eine moderne, saubere und effiziente Infrastruktur ersetzen, und zwar in allen Sektoren – Wasser, Energie, Bauwesen, Mobilität, Landwirtschaft und Industrieprozesse, um nur einige zu nennen. Das würde viele Arbeitsplätze schaffen und unser BIP viel stärker wachsen lassen als es auf die alte Art und Weise möglich ist.

Green Deal kein Luxus

Deshalb ist es falsch, zu sagen, der Green Deal sei ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Die Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände, der Meeresspiegelanstieg und die Wüstenbildung werden uns hart treffen. Außerdem werden uns der Rückgang der Natur und der schmelzende Permafrost mit noch mehr unbekannten Viren konfrontieren.

Der plötzliche Stillstand der Massenproduktion und des Transports schadet zwar unserer Wirtschaft, gibt uns aber einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie es sein könnte, wenn wir unsere Mobilität elektrifizieren und die fossilen Brennstoffe in unserer Industrie reduzieren würden. Denn anstatt sich saubere Luft im Herzen unserer Städte nur vorzustellen, kann man sie jetzt tatsächlich atmen.

Der Green Deal ist eine Wachstumsstrategie, die gleichzeitig die Umwelt schützt. Erneuerbare Energien und saubere Technologien bieten riesige wirtschaftliche und industrielle Chancen, die bessere Zukunftsaussichten haben als die Rückkehr zu einer auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschaft, die von Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit geprägt ist.

Investitionen in neue Infrastruktur keine Kosten, sondern Investitionen

Warum ist das so? Weil sich saubere Technologien dank der Energie- und Ressourceneinsparungen, die sie bieten, bezahlt machen. Investitionen in diese neue Infrastruktur sind keine Kosten, sondern eben Investitionen: Eine Möglichkeit, den Gewinn für die Industrie zu erhöhen und die Ausgaben für den Einzelnen zu senken.

  • Wir können ein robustes Netz erneuerbarer Energien auf der Grundlage von Sonnenenergie, Geothermie, Biomasse, Meeresenergie und Windkraft aufbauen. Und die Möglichkeiten reichen noch viel weiter.
  • Wir könnten Häfen mit Land-zu-Schiff-Energie elektrifizieren, um die Emissionen des Seeverkehrs zu reduzieren;
  • viel mehr Ladestationen für Elektrofahrzeuge und Wasserstofftankstellen bauen;
  • zusätzliche Effizienzstandards für alle Arten von Geräten festlegen;
  • den Energieverbrauch von Gebäuden durch effiziente Heizung, Lüftung und Klimatisierung, innovative Isoliertechnologien oder intelligente Lösungen für das Fassadenbeschattungsmanagement senken.
  • Wir könnten auch unseren Landwirten bei der Modernisierung helfen, damit sie weniger Pestizide einsetzen, somit unsere Umwelt schonen und gleichzeitig gesündere Produkte herstellen können.

Diese Technologien existieren bereits. Sie stellen nur einige Beispiele der von der Stiftung Solar Impulse ermittelten und ausgewählten Lösungen dar. Die Challenge „#1000Solutions“ soll dies deutlich machen. Was für diese Technologien wichtig und notwendig ist, ist ein leichterer Zugang zu Investitionen, ein öffentliches Beschaffungswesen in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen, und vorteilhafte Umweltvorschriften, die auf dem Markt eine Nachfrage für eben diese Lösungen schaffen.

Eine weitere Verzögerung strengerer Abgasnormen für Autos wird der Autoindustrie nicht helfen, wenn die Städte Verbrennungsmotoren verbieten und die Kunden auf Elektroautos umsteigen. Und der Energieindustrie wird es wirtschaftlich nichts nützen, Kohlekraftwerke am Laufen zu halten, wenn die Preise für erneuerbare Energien weiter sinken. „Mehr vom Alten“ als Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahme? Das kann nicht die Lösung sein.

Anstatt die kommenden Konjunkturpakete zu nutzen, um weiterhin „Business as usual“ zu unterstützen – also veraltete Wirtschaftsmodelle fortzuführen und in Vermögenswerte zu investieren, die bald auf der Strecke bleiben werden – sollten wir in eine neue Wirtschaft investieren, um aus der Krise heraus und in eine bessere Lage zu kommen, als die, die wir gerade hinter uns gelassen haben. Wir müssen fit für die Zukunft sein: nachhaltig, integrativ, wettbewerbsfähig und gut vorbereitet.

So können wir den größten Industriemarkt des Jahrhunderts schaffen. Denn es ist heute deutlich rentabler geworden, die Umwelt zu schützen als sie zu zerstören. Jetzt könnte die beste Gelegenheit sein, dies anzugehen.

->Quellen: