3. Integrierte Krisenlösung – ein Zukunftsinvestitionsprogramm ankündige
Wie der Club of Rome in seinem offenen Brief an die „Global Leaders“, so appellieren in Deutschland zahllose Experten und Institute eindringlich an die Bundesregierung: „Langfristige Zukunftsgestaltung im Blick behalten“ (vgl. Fischedick/Schneidewind 2020). Dabei geht es auch bereits in der akuten ersten Phase um eine integrierte wirtschaftliche Krisenbewältigungsstrategie. Die Chancen und Risiken, der durch die Pandemie ausgelösten kulturellen, verhaltensbedingten und politischen Veränderungen und deren Relevanz für eine sozial-ökologische Transformation müssen darüber hinaus gesondert betrachtet werden (siehe unten).
Angesichts der Programmbreite, des enormen finanziellen Umfangs, der vielfältigen Zielgruppen und der Eilbedürftigkeit müssen klimaschützende Programmelemente in möglichst alle Rettungsmaßnahmen gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie schon jetzt einbezogen werden. Das wird bei einigen rechtlichen Programmbausteinen (z.B. Kündigungsschutz von Mietern, Zahlungsaufschub bei Verbrauchern/Kleinunternehmen, Maßnahmen im Insolvenzrecht, Handlungsfähigkeit für Beschlussfassung) oder bei Kurzarbeitergeld und Hilfen für Solounternehmen nur begrenzt möglich sein; dennoch könnten z.B. Zeiten des Stillstandes für zukunftsorientierte Weiterbildungsprogramme genutzt werden oder auch eine staatliche Kommunikationskampagne für eine solidarische Krisenbekämpfung und für das „Gemeinschaftswerk Klimaschutz und Energiewende“ werben.
Von entscheidender Bedeutung ist aber, den Klimaschutz in den ökonomischen Gesamtrahmen der Corona-Krisenbekämpfung einzubeziehen. Das „Corona-Notprogramm“ (Tagesschau 2020) basiert auf einem Nachtragshaushalt in Höhe von 156,3 Milliarden Euro, den die Tagesschau so zusammenfasste:
„Das Finanzministerium rechnet mit Kosten für die Hilfsprogramme von 122,8 Milliarden Euro allein 2020. Zugleich kommen wohl 33,5 Milliarden Euro weniger Steuern rein. Deshalb plant Minister Olaf Scholz (SPD) eine Neuverschuldung von 156,3 Milliarden Euro. Das sind ungefähr 100 Milliarden mehr als die Schuldenbremse im Grundgesetz erlaubt. Diese soll deshalb erstmal außer Kraft gesetzt werden. Das geht über eine Notfallregel.“ (Ebenda)
Die Bundesregierung plant darüber hinaus einen Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) mit mehreren 100 Mrd. Euro. Die Tagesschau:
„Dazu gehören Staatsgarantien für Verbindlichkeiten von bis zu 400 Milliarden Euro. Zudem soll ein unbegrenztes Kreditprogramm über die staatliche Förderbank KfW bereitstehen. Große Unternehmen wie etwa die Lufthansa sollen notfalls auch durch Verstaatlichungen gerettet werden. Die Bundesregierung will ihnen milliardenschwere Garantien geben und Schuldtitel übernehmen.“ (Ebenda)
Zusammengefasst heißt dies, dass die Bundesregierung, wie auch die EU, die USA und viele andere Länder Geldschöpfung in Billionenhöhe betreiben und – in der Regel bedingungslos – riesige Geldsummen in die Wirtschaft pumpen und an Unternehmen nur zur Liquiditätssicherung vergeben. Die Frage ist zu stellen: Warum können diese milliardenschweren Geld- und Kreditprogramme nicht an besondere Anreize und Auflagen geknüpft werden, damit – neben der zweifellos wichtigen Liquiditätssicherung – bei der Mittelverwendung auch auf Maßnahmen zum Klimaschutz und nachhaltiges Investment geachtet wird?
Noch entscheidender und auch direkter steuerbar sind die voraussichtlich notwendigen Programme für die zweite Phase der Krisenbewältigung: Bereits heute sollte von der Bundesregierung ein Zukunftsinvestitionsprogramm für Innovation, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung angekündigt werden (vgl. auch Greenpeace/FÖS 2020). Denn solche auf technische und soziale Innovationen, nachhaltige Investitionsbereiche (z.B. klimaneutrale Gebäude) und grüne Geschäftsfelder (z.B. nachhaltige Mobilität) fokussierten Maßnahmenprogramme bereiten der sozial-ökologischen Transformation den Weg und schaffen gleichzeitig bei frühzeitiger Ankündigung und ausreichendem Volumen Vertrauen in die Entschiedenheit und Richtungssicherheit der Politik. Auch wenn sich dafür der irreführende Begriff „Konjunkturprogramm“ eingebürgert hat, geht es um wesentlich mehr: Notwendig ist eine langfristige Richtungsentscheidung in Richtung Nachhaltigkeit. DIW-Chef Fratzscher sagt in einem Interview für t-online zurecht:
„Jetzt ist die Frage: Werden wir bei der Klima-Frage um fünf oder um zehn Jahre zurückgeworfen? Oder ist die Corona-Krise auch eine Chance – weil wir sehen, dass die großen wichtigen Herausforderungen unserer Zeit Anstrengungen brauchen? Ich selbst bin Optimist und hoffe auf letzteres“ (t-online 2020)
Manifestiert sich dieser Optimismus nicht in eindeutigen Entscheidungen über nachhaltige Programmprioritäten und auch über ein sozialverträgliches Entschuldungskonzept (vgl. Sondermemorandum 2020), dann steht die Bundesregierung in der Post-Corona-Zeit vor einem Schuldenberg, dessen Nutzen im günstigen Fall der Aufrechterhaltung des Status-quo und nicht dem sozial-ökologischen Strukturwandel zugute kommt. Schlimmer noch: Finanzierungsprogramme wie z.B. kürzlich für den Kohleausstieg (Der Tagesspiegel 2020) – 40 Mrd. Euro bis 2038 für die betroffenen Regionen, 4,35 Mrd. Euro Entschädigung für die Kraftwerksbetreiber – werden dann als völlig überhöhte Luxusprogramme der Vergangenheit erscheinen. Obwohl sie zukünftig z.B. beim ökologischen Umbau der Automobilwirtschaft und ihrer Zulieferer oder generell bei der Dekarbonisierung der energieintensiven Industrien dringend gebraucht werden – von einem umfassenden Zukunftsinvestitionsprogramm in Richtung einer Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 80% bis 2050 ganz zu schweigen.
Folgt: Mit der Ökologie aus der Krise: Ansatzpunkte integrierter Krisenbewältigung