Wiener Motorensymposium 2020
Jedes Jahr folgen mehr als 1.000 Experten dem Ruf des Internationalen Wiener Motorensymposiums in der Wiener Hofburg als hochkarätigem Gipfeltreffen von Antriebs- und Fahrzeugspezialisten aus aller Welt. 2020 war die 41. Ausgabe für 22. bis 24. April geplant. Die Corona-Pandemie zwang jedoch den ÖVK, den Österreichischen Verein für Kraftfahrzeugtechnik, als Organisator die reale Veranstaltung in eine virtuelle umzuwandeln. ÖVK-Vorsitzender Prof. Bernhard Geringer teilte als Verantwortlicher mit, rund die Hälfte der ursprünglich mehr als 60 Vortragenden habe sich bereit erklärt, ihren Vortrag als Videopräsentation zur Verfügung zu stellen. Die Themen reichen von neuen Verbrennermotoren über Elektro-Hochleistungs-SUV, Brennstoffzellen-Antrieben, automatisiertem Fahren bis zum Wasserstoff.
Es zeigt sich, so Geringer, „dass sich in den letzten Jahren der Hauptentwicklungsfokus von Leistung, Kraftstoffverbrauch sowie Komfort und Emotionen deutlich hin zu Klimaschutz, Emissionen und Treibhausgasausstoß verlagert hat. Heuer entfallen erstmals zwei Drittel der Vorträge auf die Elektrifizierung von Antrieben.“ Einen Schwerpunkt bilden denn auch neben „Zero Emission“-Fahrzeugen „Zero Impact“-Lösungen – kostengünstige Alternative zur vollen Elektrifizierung, da mit CO2-neutralen Kraftstoffen – synthetische Kraftstoffe oder E-Fuels – zu erreichen. Die meisten Vortragenden gingen davon aus, dass es weltweit je nach Region auch 2050 noch unterschiedliche Antriebslösungen geben werde. Geringer: „Die nächsten Jahre wird das Antriebsportfolio breiter, ohne dass aus derzeitiger Einschätzung Antriebsformen wegfallen. Wir brauchen alle!“
„Die Elektrifizierung ist der wichtigste technologische Wegbereiter für eine saubere, lokal emissionsfreie und hochgradig effiziente Mobilität“, erklärte Andreas Wolf, CEO von Vitesco Technologies, früher Continental Powertrain Division, in seinem Eröffnungsvortrag. „Der Wandel wird zur Konstante.“ Dafür wolle die Autoindustrie bis 2030 weltweit laut Studien rund 280 Milliarden Euro investieren. Eine Herausforderung der Elektrifizierung liege darin, „dass sie in verschiedenen Formen gleichzeitig benötigt wird“. Die weltweiten Verbrauchs- und Schadstoffgrenzwerte seien zu erfüllen, aber auch den Kundenwünschen müsse entsprochen werden.
Vom 48-Volt-Volkshybrid bis zum Elektro-Hochleistungs-SUV
Für den europäischen Markt bis 2025 sah Wolf eine stark wachsende Nachfrage nach kostengünstigen 48-Volt-Hybrid-Fahrzeugen für den Massenmarkt („Volkshybrid“) und rein batterieelektrische Modelle. Der Markt für Voll- und Plug-in-Hybride werde eher moderat wachsen. Nach 2025 kämen auch Brennstoffzellenantriebe für Pkw. Der Anteil von Verbrennungsmotoren ohne Elektrifizierung werde schrumpfen. In den USA dürfte die Wachstumskurve für elektrifizierte Antriebe flach bleiben. Mit den meisten abgasfreien Fahrzeugen rechnet Wolf 2025 in China. Laut Gesetz müssen dort bis 2025 rund 25 Prozent aller Neufahrzeuge über einen batterieelektrischen, Plug-in-Hybrid- oder Brennstoffzellenantrieb verfügen. Daneben sah Wolf auch für den 48-Volt-Hybridantrieb in China sehr gute Marktchancen. Vitesco Technologies gelang es, mit dieser kostengünstigsten Hybrid-Technologie einen Vollhybrid darzustellen, was bisher als unmöglich galt. Dieser 48-V-HighPower-Antrieb senkt den CO2-Ausstoß im WLTC-Normzyklus um 20 Prozent und erlaubt elektrisches Fahren bis zu 80 km/h sowohl in Klein- wie Kompaktautos (B- und C-Segment). In einem weiteren Vortrag stellte Vitesco Technologies sein neues 800-V-Achssystem mit integrierter Leistungselektronik vor, die Weiterentwicklung der dritten Generation des integrierten Achssystems, das bereits in Großserie genutzt wird, etwa für PSA-Hybridmodelle. Bereits die dritte Generation senkt die Kosten gegenüber bisherigen Systemen um 40 Prozent, sie ist um 20 Prozent leichter und doppelt so leistungsstark. Die vierte Generation wird diese Vorteile weiter ausbauen.
Toyota: Vollhybrid bleibt wichtigster Beitrag zur Schadstoff- und CO2-Reduktion
Toyota präsentierte eine neue Version des bekannten Hybridantriebs für den Yaris. Hier gibt es eine Doppelpremiere: Erstmals wird dafür ein Dreizylinder-Benziner eingesetzt, erstmals handelt es sich um eine eigene Hybridversion, die konstant auf mindestens 1000 Touren gehalten wird und so besonders effizient und vibrationsarm ist. Der Motor leistet 68 kW und braucht keine Ausgleichswelle. Kombiniert wird er mit einer Lithium-Ionen- statt der bisherigen Nickelmetallhydrid-Batterie und dem traditionellen Hybrid-Stufenlosgetriebe von Toyota, das optimiert wurde. Insgesamt wird damit laut Toyota die Systemleistung um 15 Prozent erhöht, während die 0 auf 100 km/h um 15 Prozent schneller erreicht werden. Den genauen Verbrauchsvorteil nennt Toyota nicht.
Audi: Erste Doppel-Elektro-Antriebsachse in einem Großserienfahrzeug
Mit dem e-tron Top-Modell bringt Audi als erster Großserienhersteller ein batterieelektrisches Fahrzeug mit einem 3-Motor-Layout und aktivem elektrischen Torque Vectoring (e-TV) in Großserie. Es ist die konsequente Übertragung des quattro Sportdifferenzials auf den E-Antrieb. Der technische Höhepunkt ist die neue elektrische „Twinkoax-Hinterachse“, die das e-tron-Topmodell zum sportlichsten elektrischen SUV im Wettbewerb macht. Es ist der erste Doppel-E-Antrieb in einem Großserienfahrzeug. Gebaut wird er wie die anderen E-Antriebe im ungarischen Audi-Motorenwerk in Györ. Die sehr gut wiederholbare Spitzensystemleistung (60 Sekunden) des Topmodells beträgt 320 kW, zweimal je 102 kW an der Hinterachse und einmal 129 kW an der Vorderachse. Bei den Batterien werden zwei Varianten mit 71 bzw. 95 kWh angeboten.
VW: Erste Allradversion auf Basis des Elektro-Baukastens
Mit der Serienversion der Studie ID.CROZZ setzt VW seine Elektro-Offensive nach dem Start des ID.3 konsequent fort und plant bis 2022 insgesamt 27 Modelle auf dem Elektro-Baukasten MEB bis Ende 2022 geplant. Der ID.CROZZ wird das erste Allradmodell sein, dafür erhält er neben dem Hauptantrieb an der Hinterachse mit 150 kW eine 75 kW E-Maschine an der Vorderachse. Zusätzlich zur Allradfunktion bietet der Vorderachsantrieb auch hervorragende Boostmöglichkeiten. Die Systemleistung gibt VW mit 225 kW an. Die Reichweite beträgt je nach Batteriegröße bis zu 550 km.
Verbesserte Batterien
Mehrere Vorträge zeigten, dass europäische Hersteller und Zulieferer intensiv daran arbeiten, eigenes Know-how rund um Batterien für die Elektrifizierung aufzubauen. Mercedes will mehr als eine Milliarde Euro in eine eigene weltweite Batterieproduktion in neun Werken auf drei Kontinenten investieren. Das Wissen über den richtigen Aufbau der Batterie gilt als entscheidend für die Kundenakzeptanz von elektrifizierten Antrieben, aber auch für Kosteneffizienz und Sicherheit. Bis 2022 will Mercedes für jede Baureihe verschiedene elektrifizierte Versionen anbieten, von 48-Volt-Modellen über Diesel- bzw. Benzin-Plug-in-Hybride bis zu rein batterieelektrischen Versionen.
Von enormer Bedeutung für Lebensdauer, Reichweite und Ladedauer von Batterien ist die Kühlung. Rund fünf Prozent der Batterieleistung fallen derzeit beim Laden und Entladen als Wärme an, bei Premiumfahrzeugen kann das 5 kW ausmachen. Der oberösterreichische Zulieferer Miba stellt einen neu entwickelten flexiblen Wärmetauscher vor. Dieser ist für verschiedenste Zellgeometrien einsetzbar. Seine Vorteile: Er braucht weniger Platz, damit lassen sich in einer Batterie mehr Zellen unterbringen, was die Reichweite erhöht. Zudem spart er bis zu 10 kg Gewicht und er ist obendrein deutlich leichter zu reparieren oder am Lebensende zu entsorgen als aktuelle Kühlsysteme.
Die größten Herausforderungen für Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe
Eine Mobilität mit null Emissionen durch einen elektrischen Antrieb ist mit Batterien oder mit Brennstoffzellen und Wasserstoff möglich. Gegenüber dem batterieelektrischen hat der Brennstoffzellenantrieb den Vorteil der höheren Energiedichte sowie dass die Tankzeiten für Wasserstoff kurz sind, so die Grazer AVL List (Anstalt für Verbrennungskraftmaschinen List) in ihrem Beitrag. Das macht die Brennstoffzelle nicht nur für Pkw, sondern auch für Nutzfahrzeuge, Schifffahrt und Eisenbahn interessant. Je nach Einsatzbereich gelten unterschiedliche Zielvorgaben: Sind für Pkw eine hohe Leistungsdichte (4kW/l), aber eine geringere Lebensdauer (5000 Betriebsstunden) gefragt, so lauten die Vorgaben der Bahn 2 kW/l und 30.000 Stunden. Diese Lebensdauer wird auch für Lkw erwartet.
In den vergangenen Jahren hat sich, so die , „der Schwerpunkt der Entwicklung von Brennstoffzellen-Antriebssystemen von der Pkw- hin zur Nutzfahrzeug-Anwendung verschoben.“ Ein Grund dafür sind neue Verbrauchsvorgaben: Lkw müssen wie Busse in der EU bis 2025 den CO2-Ausstoß um durchschnittlich 15 Prozent gegenüber 2019 senken, ab 2030 um 30 Prozent. Überschreitungen werden pro Gramm CO2 je Tonnenkilometer (tkm) mit hohen Strafzahlungen von mehreren tausend Euro geahndet. Das macht alternative Lösungen zum vorherrschenden Dieselantrieb unabdingbar.
Je nach gewünschter Reichweite hat der Brennstoffzellenantrieb für Lkw große Vorteile gegenüber einem batterieelektrischen: Er ist etwa nicht schwerer als ein aktueller Dieselantrieb. Das heißt, dass die Nutzlast voll erhalten bleibt, was für Lkw meist sehr wichtig ist. Der Brennstoffzellenantrieb hat laut AVL List sogar das Potenzial, bei den Total-Cost of Ownership (TCO, Gesamtbetriebskosten) mit dem Dieselantrieb gleichzuziehen, wenn ein Wasserstoffpreis von rund 4 bis 5 Euro/kg erzielt wird. Große Verbesserungen sind noch bei den Brennstoffzellen sowie der Kühlung nötig. Die AVL entwickelt derzeit im Projekt HYTRUCK ein auf Lkw optimiertes Brennstoffzellensystem, das auch den systemimmanenten Zielkonflikt zwischen hoher Leistungsdichte und Lebensdauer entschärfen soll.
Hyundai hat bereits mehrere Generationen von Pkw mit Brennstoffzellenantrieb in Serie. Neben Bussen wurden inzwischen auch Lkw mit diesem Antrieb zur Marktreife gebracht. Die Brennstoffzellenleistung der Schwerlastfahrzeuge beträgt 190 kW, das entspricht der doppelten Leistung des Hyundai-Pkw Nexo mit diesem Antrieb. In Südkorea sind Busse und Lkw mit Brennstoffzellenantrieb bereits auf der Straße. Bis 2025 will Hyundai 1600 Brennstoffzellen-Lkw in die Schweiz liefern.
Wasserstoff im Verbrennungsmotor
Aus mehreren Gründen könnte Wasserstoff im Verbrennungsmotor eine Renaissance erleben, gerade für Nutzfahrzeuge, wo die Kosten im Vordergrund stehen:
- Wasserstoff im Verbrennungsmotor ist deutlich schneller und kostengünstiger einsetzbar als im Brennstoffzellenantrieb. Dies gilt vor allem in Ländern, wo es bereits eine gute Wasserstoff-Infrastruktur gibt wie Japan, Korea und China.
- Der Wasserstoffmotor kann den gleichen Tank verwenden wie ein Brennstoffzellenantrieb, das senkt die Kosten beträchtlich.
- Im Verbrennungsmotor muss Wasserstoff nicht den extrem hohen Reinheitsgrad aufweisen wie für Brennstoffzellen. Dies ist besonders bei der Herstellung des Wasserstoffs aus biogenen Quellen („grünem Wasserstoff“) interessant.
Zwei Vorträge auf dem Symposium widmen sich diesem Thema:
- Ein Projekt wird von Bosch und dem Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik der Technischen Universität Graz vorgestellt. Im Fokus steht ein Wasserstoffantrieb für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.
- Der zweite Vortrag stammt von Keyou. Das deutsche Unternehmen konzentriert sich auf den Wasserstoffantrieb für Nutzfahrzeuge. Die Entwicklung wird durch eine EU-Regelung unterstützt: Sie definiert ein schweres Nutzfahrzeug dann als emissionsfrei, wenn es mit oder ohne Verbrennungsmotor weniger als 1 Gramm CO2/kWh emittiert. Thomas Korn von Keyou: „Von allen bestehenden Verbrennungskonzepten werden Wasserstoff-Verbrennungsmotoren die einzigen sein, die diese Grenzwerte einhalten können.“
Einig sind sich alle, dass bis 2050 der Wasserstoff CO2-neutral („grüner Wasserstoff“) erzeugt werden muss, um die Klimaziele zu erfüllen. Heute wird Wasserstoff noch zum Großteil aus Erdgas („grauer Wasserstoff“) gewonnen. In der EU fehlt bislang laut Shell eine spezifische Wasserstoffstrategie.
Schlögl: Synthetische Kraftstoffe: Größte Herausforderung ist der Aufbau einer Produktion im Gigatonnenbereich
Mehr Offenheit wünscht sich Prof. Robert Schlögl vom Max Planck Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr bei der Betrachtung der Energieträger für die künftige Mobilität. Die aktuelle Konzentration auf die batterieelektrische Mobilität übersehe mehrere Fakten:
- Die weltweite Verfügbarkeit von Strom. Sogar in Zentraleuropa würden die Kraftwerkskapazitäten unter Berücksichtigung realistischer wirtschaftlicher Bedingungen und sozialer Akzeptanz nicht fähig sein, auch nur den Selbstbedarf an fossiler Energie durch Strom zu ersetzen.
- Allein in der EU-28 übertraf 2017 der Erdölbedarf des Transportbereichs den gesamten Strombedarf. Gleichzeitig ist das Stromangebot seit zehn Jahren ebenso konstant wie der Verbrauch, nur die Energiequellen haben sich geändert. Es gibt vor allem mehr Windstrom.
- Weltweit werden derzeit jede Sekunde zwei Autos erzeugt, insgesamt rund 80 Millionen pro Jahr. Der Gesamtfahrzeugbestand weltweit beträgt rund zwei Milliarden. Diese auf eine neue Technologie standardmäßig umzustellen, brauche Zeit.
Hier können synthetische Kraftstoffe den Ansatz des elektrischen Antriebs ergänzen. Sie eignen sich außerdem sehr gut als dringend nötiger Speicher für erneuerbaren Strom. Schlögl ist überzeugt, dass dieser künftig zumindest in der Höhe des aktuellen Imports fossiler Energie importiert werden muss. Auch Shell ist überzeugt, dass das lokale Produktionspotenzial für erneuerbaren Strom in Europa nicht reichen wird. Außerdem könnte dieser Strom in dafür besser geeigneten Regionen deutlich günstiger hergestellt werden. Wasserstoff ist der erste Kraftstoff, der in der Herstellungskette von synthetischen Kraftstoffen entsteht. Ein Energiesystem ausschließlich auf Wasserstoff aufzubauen, hält Schlögl aber für unrealistisch. Synthetische Kraftstoffe, die aus Wasserstoff und CO2 synthetisiert und auch E-Fuels genannt werden, seien als Energieträger billiger, weniger gefährlich und sozial akzeptierter.
Synthetische Kraftstoffe haben einen weiteren großen Vorteil, erklärte Emissionsexperte Jacob. Sie seien flüssig und könnten in vorhandenen Motoren eingesetzt werden. Diese E-Fuels der 2. Generation ermöglichen eine signifikante Reduktion der Systemkomplexität des Motors und der Abgasnachbehandlung. Auch als Beimengung zu fossilen Kraftstoffen sind bereits spürbare Emissions- und CO2-Rückgänge festzustellen. Zwar ist der Gesamtwirkungsgrad synthetischer Kraftstoffe gegenüber einer direkten Elektrifizierung deutlich schlechter, allerdings sind sie in vorhandener Infrastruktur verwendbar und ihr Potenzial ist deutlich höher als der Weltenergiebedarf. China setzt aus Gründen der Energieautarkie für Mobilität nicht mehr allein auf Elektroantriebe, sondern langfristig auf Methanol aus Kohle und Wasserstoff als Energieträger. Jacob: „Die größte Herausforderung ist hierbei, den Aufbau von Produktionsanlagen im Gigatonnenmaßstab zu realisieren.“
->Quellen: