Was gestern noch fern schien, kann morgen schon hier sein: Globale Verantwortung in der Post-Corona-Weltordnung
Aus einer Nachhaltigkeits- und Gerechtigkeitsperspektive verbietet es sich zugleich, aus der Zunahme globaler Probleme wie Pandemien und Klimaextremen dauerhafte Abschottungsstrategien herzuleiten. Die gegenwärtige Renaissance des Nationalen, die zur Bekämpfung der Corona-Krise vielleicht temporär ihren Sinn haben mag, sollte nicht zum neuen Standard werden. Im Gegenteil, die Staatenwelt brauch mehr Kooperation und bessere internationale Verträge.
Abgesehen davon, dass die Bearbeitung globaler Probleme multilaterale Kooperation nachgerade erzwingt, wäre es besonders für die Länder der Südhemisphäre eine düstere Perspektive, würden die Industriestaaten nun auf Abschottung, Autarkie und Ausgrenzung setzen. In den sogenannten Entwicklungsländern ist der Anteil derer, die gegenüber Klimawandel, Pandemien und anderen Katastrophen besonders sensibel sind, sehr hoch. Die Armen leiden am stärksten.
Die Probleme der Welt, die die Industriestaaten zu einem guten Teil über kolonialistische Spätfolgen, ungerechte Weltwirtschaftsbeziehungen oder geopolitischen Egoismus mitverursacht haben, können sie sich nicht durch hohe Grenzzäune vom Leibe halten, jedenfalls nicht auf Dauer. Die momentan im medialen Windschatten liegende Flüchtlingskrise an der EU-Außengrenze in Griechenland zeigt das sehr deutlich. Sie wird durch Wegschauen nicht einfach verschwinden.
So ökologisch sinnvoll es also ist, die an vielen Stellen übertriebene Vertiefung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung zurückzuschrauben, so notwendig ist es zugleich, am Ziel einer Schaffung fairer und nachhaltiger Welthandelsstrukturen festzuhalten. Auch hier hat die Politik nach hoffentlich baldiger Überwindung der Corona-Krise ein übervolles Aufgabenheft, von einem wirksamen Lieferkettengesetz bis zum „Marshallplan mit Afrika“, von fairen Handelsverträgen bis zum Schutz nachhaltiger Binnenwirtschaften vor billigen Importprodukten, die auf Ökodumping fußen.
Eine wichtige Krisenlehre für die Nachhaltigkeit: Sorgearbeit und Erwerbsstreben gut ausbalancieren!
Als größte Quelle für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung könnten sich aber die unmittelbaren Krisenerfahrungen selbst erweisen, die Menschen weltweit momentan machen, negative wie positive. Dazu gehört sicher die Erfahrung von Angst um die Lieben und das eigene Leben, um den Arbeitsplatz oder den eigenen Betrieb, denn Angst ist bekanntlich ein sehr starker Antrieb. Dazu gehören aber auch und vielleicht sogar vor allem das Erleben von Zusammengehörigkeit, Gemeinsinn und Zuwendung sowie die unfreiwillige Erfahrung von plötzlichem Zeitreichtum sowie Konsum- und Reichweitenbeschränkungen.
Es gehört zu den positiven Seiten der letzten Tage und Wochen, wie sehr die Wertschätzung für diejenigen gewachsen ist, die durch ihre Arbeit die Gesellschaft am Laufen halten, ob in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Supermärkten, im öffentlichen Nahverkehr, im Wasserwerk oder bei der Müllabfuhr. Wurde ihre Tätigkeit bis vor kurzem kaum wahrgenommen, so ist nun allerorten von „Helden des Alltags“ die Rede. Vor allem die Rolle der überwiegend von Frauen geleisteten Sorgearbeit rückt nun in den Mittelpunkt. Man kann nur hoffen, dass sich die warmen Worte bald auch in den Gehältern der „Heldinnen“ niederschlagen und im Gegenzug die Bezüge in den Managementetagen auf ein gesundes Maß schrumpfen.
Offenkundig wird in der Corona-Krise zugleich, dass Eigenarbeit, Familienarbeit und ehrenamtliches Engagement von vielen als positiv erlebt werden, weil sie der Entfremdung der Einzelnen von sich selbst und von ihrer Mitwelt entgegenwirken und soziale Resonanzbeziehungen stärken. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass manche mit gewonnener Zeit, erzwungener Sesshaftigkeit und unfreiwilligem Konsumverzicht so ihre Probleme haben, worauf die Zunahme von häuslicher Gewalt auf traurige Weise hindeutet.
Insgesamt lässt sich aber mit hoher Plausibilität sagen, dass beide Formen der Sorgearbeit, die entgeltliche und die finanziell nicht entgoltene, in hohem Maße auch für Strategien der Nachhaltigkeit von Bedeutung sind. Vor allem nehmen sie kommerziellen Wachstumsdruck aus dem Wirtschaftssystem. Verkürzte Erwerbsarbeitszeiten und Grundeinkommenselemente können helfen, die Zeitsouveränität der Bevölkerung zu erhöhen und so die Voraussetzungen für eine gesunde Ausbalancierung von Erwerbszeiten und Eigenzeiten zu schaffen. Gut erkennbar wird in der Krise auch: Sinnstiftende und befriedigende Arbeit kann Kräfte freisetzen, wenn es darauf ankommt.