Die Zukunft ist offen: Lasst uns über sie reden!
Grundsätzlich ist es in diesen hochvolatilen Zeiten nicht möglich, sichere Prognosen über die Zukunft abzugeben. Das gilt auch für die sozial-ökologische Transformation, vor der wir als Gesellschaft auch nach der Corona-Krise stehen. Sehr viele Fragen sind offen: Niemand kann sicher wissen, ob die Erfahrung der erzwungenen Suffizienz bei den Menschen in Zukunft eher zu einem Abwerfen von überflüssigem Wohlstandsballast führt oder eher zu einer neuen Welle des Konsumismus, ob die neue Vertrautheit mit der digitalen Welt, die nun immer mehr Menschen im Home Office und auf Videokonferenzen gewinnen, zu weniger Verkehr führt oder zu einer neuen Hypermobilität, ob der in der Corona-Krise reaktivierte Gemeinsinn ein dauerhaftes oder ein vorübergehendes Phänomen sein wird.
Gerade weil so vieles offen ist, braucht es zur Förderung der Nachhaltigkeit nicht nur eine handlungswillige Politik und eine transformationsbereite Wirtschaft, sondern auch und gerade eine wache Zivilgesellschaft. Benötigt werden Diskursräume und Reallabore in Schulen und Hochschulen, Unternehmen und Behörden, Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen, in denen gemeinsam Formate einer zukunftsfähigen und gerechten Gesellschaftsgestaltung entwickelt und vor allem eingeübt werden.
Es gilt, in Zukunft wieder verstärkt nach „Dritten Wegen“ jenseits von Staat und Markt Ausschau zu halten. Denn so sehr es den neoliberalen Zeitgeist einer allumfassenden Ökonomisierung zurückzudrängen gilt, so wenig angemessen wäre es, nun alles auf die Karte „starker Staat“ zu setzen. Auch dieser hat, das lehrt die Geschichte, einen Hang zur Übergriffigkeit, wofür das aktuelle Niederreißen von Schranken beim Datenschutz beispielhaft steht.
Wenn die Corona-Krise mit ihren zwingenden Herausforderungen überwunden ist, sollten weder blinder Marktglaube noch übertriebener Steuerungsoptimismus zum Hauptwesenszug der sozial-ökologischen Transformation werden, sondern die Fähigkeit zur reflektierten, verantwortungsbewussten und gemeinsamen Gesellschaftsgestaltung. Wir müssen reden!
Reinhard Loske ist Präsident der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Bernkastel-Kues und dort Professor für Nachhaltigkeit sowie Senior Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin und im Vorstand der entwicklungs- und umwelt-NGO Germanwatch in Bonn.
Der langjährige grüne Bundestagsabgeordnete und bremische Senator für Umwelt und Europa hat zahlreiche Bücher zur Nachhaltigkeitsfrage vorgelegt. Sein jüngstes Buch Politik der Zukunftsfähigkeit (S. Fischer, 2016) ist von der Deutschen Umweltstiftung 2016 zum „Umweltbuch des Jahres“ gewählt worden. Zur Homepage des Autors.
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