Deutsche Solarbranche droht zu implodieren – Lösungen durch interne Machtkämpfe und Debatten um Abstandsregeln blockiert
Der Deckel kommt immer näher. Die deutsche Solarbranche gerät in Panik, sammelt Unterschriften und schreibt Brandbriefe an die Politik, den Solardeckel endlich abzuschaffen und damit tausende Jobs zu retten. Die Stimmung in der Solarbranche sei, gelinde gesagt, mies, wie Florence Schulz am 08.05.2020 für EURACTIV.de schrieb. Laut den jüngsten Umfragewerten des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) habe sich der Geschäftserwartungsindex der Branche innerhalb von nur drei Monaten halbiert – und das liege nicht einmal am Coronavirus, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des BSW. „Eine vergleichbare Eintrübung in so kurzer Zeit haben wir nie zuvor beobachten können. Immer mehr Solarunternehmen geraten in Existenzangst“.
Neueste Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen, wie dünn die Luft unter dem Solardeckel inzwischen geworden ist. Derzeit sind in Deutschland Solaranlagen mit einer Kapazität von 50,09 Gigawatt installiert. Wird die Schwelle von 52 GW erreicht – voraussichtlich schon im Sommer – schnappt der Deckel zu. Kleinere Anlagen bis zu 750 Kilowatt, welche den Großteil der neu gebauten Anlagen ausmachen, haben dann kein Anrecht mehr auf Förderung aus dem EEG. Der Solardeckel war 2012 von der schwarz-gelben Koalition eingeführt worden, um die Kosten des Solarenergie-Zubaus zu begrenzen. Diese Lösung war ein Kompromiss mit den Bundesländern, die weitgehende Kürzungen der EEG-Förderung befürchteten. Sein Ziel hat das gedeckelte EEG längst erreicht, Solarenergie ist inzwischen die günstigste Art der Stromerzeugung in Deutschland und der Deckel damit nicht mehr nötig.
Vertagt, gestrichen und ignoriert
Dass der Solardeckel trotz aller Versprechungen der großen Koalition seit vergangenem Jahr nicht schon längst abgeschafft ist, hat keine technischen Gründe. Der Gesetzestext ist längst ausgearbeitet und liegt im Energieausschuss des Bundestages, gleich neben einem Entwurf des Bundesrates, der sich im Oktober dafür aussprach, den Solardeckel abzuschaffen. Aber noch steigt kein weißer Rauch aus dem Paul-Löbe-Haus in Berlin, denn interne Widerstände blockieren die Freigabe des Gesetzes ins Plenum.
Schon ein dringend erwartetes Treffen der Ministerpräsidenten der Länder am 12. März hatte zu keiner Einigung geführt, die daraufhin geplante Arbeitsgruppe aus Ministerpräsidenten und Bundesregierung ist bislang noch nicht einmal zusammengekommen, denn kurz darauf legte der Coronavirus das öffentliche Leben lahm. Seitdem ist wenig passiert.
„Die Regierung gefährdet mit ihrer Blockadepolitik gegen die Erneuerbaren Energien Klimaschutz und Investitionssicherheit gleichermaßen. Das ist in Zeiten Corona-bedingter Unsicherheit für die Wirtschaft noch unverantwortlicher als ohnehin schon“, so Julia Verlinden, energiepolitische Sprecherin der Grünen und Mitglied im Wirtschaftsausschuss.
Bei den letzten beiden Gelegenheiten kam es ebenfalls zu keinem Ergebnis. Vergangene Woche verabschiedete das Bundeskabinett eine „Mini-Novelle“ des EEG, um die Energiebranche gegen die Pandemie zu wappnen – dazu gehören längere Realisierungsfristen für Solarparks – blendete das Thema „Solardeckel“ dabei aber aus. Auch bei einer Videokonferenz der Energieminister am 04.05.2020 hatte man sich nicht mit dem Thema befasst.
Wirtschaftssprecher hüllt sich in Schweigen
Wo genau hakt es also? Absurderweise ist das Problem nicht der Solardeckel an sich, denn es herrscht weitgehend Einigung, dass er weg muss. Einer Umfrage von YouGov zufolge sprechen sich mehr als 80 Prozent der Wähler aller Parteien, bis auf die AfD, für die Abschaffung des Deckels aus. Die Debatte hängt seit Monaten an den umstrittenen Abstandsregeln für Windräder fest, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf Pauschal 1000 Meter zu Siedlungen festlegen wollte, um die zahllosen Bürgerklagen gegen Windräder zu reduzieren. Zahlreiche Bundesländer sprechen sich allerdings offen dagegen aus und Studien zeigen, dass damit die potentielle Zubaufläche für Windräder um 20-50 Prozent reduziert würde. Inzwischen hat Altmaier seinen Vorschlag aufgeweicht und eine „Opt-In“ Lösung für die Länder vorgeschlagen. Eine Einigung gibt es trotzdem noch nicht.
Die Abstands-Debatte ist längst dazu einem Machtspiel beider Parteien geworden. Vor allem der wirtschaftspolitische Flügel der Union besteht darauf, den Solardeckel nur gemeinsam mit dem Kohleausstiegsgesetz und einer Lösung für die Windenergie zu verabschieden und blockiert damit ein zügiges Vorankommen.
Auf wiederholte Anfrage war der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer (CDU), nicht zu dem Thema zu sprechen. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er aber: „Die Aufhebung des Solardeckels ist Teil eines energiepolitischen Gesamtpakets. Zu dem Paket gehören auch ein Kohleausstiegsgesetz, das die Empfehlungen der Kohlekommission 1:1 umsetzt, die Strompreisentlastungen der Industrie und die Wind-Abstandregelungen“.
Furcht vor klimapolitischem Super-GAU
Deutschland verliert mit den Streitereien um Abstandsregeln wertvolle Zeit, die für den Ausbau der Erneuerbaren Energien dringend nötig wäre. Denn noch gibt es keinen klaren Ausbaupfad für Erneuerbare Energien, keine Anschlusslösungen für Windparks, die bald aus der 20-jährigen Förderperiode des EEG-fallen werden – und an den nötigen Stromtrassen hapert es sowieso.
Selbst ohne Streit wäre Deutschland längst im Verzug. Wenn bis 2030 tatsächlich ein Anteil von 65 Prozent erneuerbaren am Strommix erreicht werden soll, müssten nach Berechnungen des Fraunhofer ISE jährlich 5-10 GW Solaranlagen erbaut werden. In ihrem Klimaschutzprogramm vom Oktober hatte die Bundesregierung durchschnittlich 4,5 GW angepeilt, de facto wurden im vergangenen Jahr nicht ganz 4GW installiert. Der BSW-Chef Carsten Körnig drängt die Politik, den Solardeckel noch im Mai abzuschaffen. Sonst, droht er, käme es zu einem „klimapolitischen Super-GAU“.
Solarify zitiert den Energiexperten und Ex-Grünen-Umweltsenator Reinhard Loske, der meint, dass „die Zaghaftigkeit von klimapolitischem Regierungshandeln vor allem das Ergebnis von allzu viel Rücksichtnahme auf mächtige und nicht-nachhaltige Gegenwartsinteressen war und ist, vor allem auf Industrieinteressen“.