Öl, Gas und Kohle könnten weltweit zwei Drittel ihres Wertes verlieren
Das Geschäft mit Öl-, Gas- und Kohle wird zunehmend unrentabel. Die weltweiten fossilen Reserven könnten in den kommenden 50 Jahren rund zwei Drittel ihres Wertes einbüßen und von etwa 39 Billionen auf 14 Billionen US-Dollar einbrechen. Das hat der britische Think Tank Carbon Tracker in einer am 04.06.2020 erschienenen Studie errechnet. Florence Schulz berichtete für Euractiv darüber.
Grund für den starken Wertverlust ist die Überversorgung von Öl und Gas bei sinkender Nachfrage, während der Ausbau erneuerbarer Energien voranschreitet. Für die Analyse hat Carbon Tracker sich auf Berechnungsmodelle der Weltbank gestützt. Allerdings beruhen diese auf der Annahme, dass sich die Nachfrage fossiler Brennstoffe am Pariser Klimaabkommen orientieren wird und jährlich um zwei Prozent abnimmt, was bisher noch nie eingetreten ist.
Obwohl die Gasimporte in die EU im letzten Quartal um acht Prozent zugenommen hatten, das meiste davon in Form von LNG, erwartet die Internationale Energieagentur für dieses Jahr einen deutlichen Einbruch der fossilen Primärenergieträger: Demnach könnte der Bedarf an Öl dieses Jahr um neun Prozent abnehmen, Kohle um acht Prozent und Erdgas um fünf Prozent. Zuletzt hatte die COVID-19 Pandemie die weltweiten Ölmärkte ins Wanken gebracht und im April erstmals zu einem negativen Ölpreis von minus 40 Dollar für die US-Sorte WTI geführt. Seitdem hat sich der Markt langsam erholt.
Dennoch ist Kingsmill Bond, Energiestratege bei Carbon Tracker und Co-Autor der Studie, überzeugt: „Wir erleben derzeit den Niedergang der fossilen Brennstoffe.“ Durch politische Entscheidungen und technische Innovationen werde die Nachfrage in den verschiedenen Sektoren schnell abnehmen, beschleunigt durch die Corona-Pandemie: „Womöglich sehen wir jetzt schon den Höhepunkt der Nachfrage an fossilen Brennstoffen.“
Tausende Kohlekraftwerke werden noch gebaut
Damit könnte eine gewaltige Branche vor dem finanziellen Ruin stehen. Jährlich würden rund fünf Billionen US Dollar in fossile Infrastruktur investiert, gibt der Bericht an. Die weltweite, fossile Lieferkette habe einen Wert von 32 Billionen Dollar, dazu gehöre der Bau von Kraftwerken, Autos, Lastwagen, Flugzeugen und Schiffen sowie die Stahl-, Zement-, Petrochemie- und Aluminium-Industrie.
Dahinter stehen gewaltige Investitionen an den Finanzmärkten: Knapp ein Viertel der weltweit gehaltenen Aktien und 53 Prozent der Anleihen sei in der fossilen Branche verankert, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Der zunehmende Wertverlust fossiler Brennstoffe stelle damit eine reelle Gefahr für die Wirtschaft fossiler Exportnationen wie Saudi Arabien, Russland, Irak oder dem Iran dar.
Dass sich Investitionen in fossile Infrastruktur nicht mehr lohnt, errechnete der Think Tank zuletzt im März. Investoren in Kohlekraftwerke könnten demzufolge Verluste von mehr als 600 Milliarden Dollar einfahren, da die Lebensdauer für ein Kohlekraftwerk mindestens zwei Jahrzehnte beträgt und die Kosten für Kohlenstoffemissionen steigen werden. Weltweit sind laut der Studie noch fast 6700 Kohlekraftwerke im Einsatz, weitere 1046 Kraftwerke sind momentan geplant, vor allem in China und Indien.
Auch in Europa werden noch neue Kohlekraftwerke gebaut. So hat Deutschland erst am 30.05.2020 sein letztes Steinkohlekraftwerk Datteln 4 – trotz beschlossenem Kohleausstieg – ans Netz angeschlossen.
EU zwiegespalten bei fossiler Förderung
Um die Weltwirtschaft zu stabilisieren, müsse nun ein „geregelter Ausstieg aus dem fossilen Kapital organisiert werden“, so der Analyst Bond. Alles andere sei nur ein Versuch, „das Unhaltbare zu erhalten“.
In der EU werden im Rahmen des Green Deals derzeit die Leitlinien für eine Dekarbonisierung gelegt. Im November hatten die Mitgliedstaaten sich darauf geeinigt, in Zukunft keine Gelder mehr über die Europäische Investitionsbank in fossile Projekte mehr geben zu wollen. Auch das vergangene Woche von der EU-Kommission vorgestellte Wiederaufbaupaket von 750 Milliarden soll nur Investitionen fördern, die als nachhaltig gelten und dem „do no harm“ Prinzip folgen.
Gleichzeitig fließen noch immer Milliarden Euro in fossile Infrastruktur: Im Februar hatte das EU-Parlament trotz heftiger interner Debatten die sogenannte PCI-Liste durchgewunken, die knapp ein Drittel an Gasprojekten enthält.
„Wir versuchen, uns so weit wie möglich von Projekten mit fossilen Brennstoffen fernzuhalten“ sagte der für den Green Deal zuständige Vize-Präsident der Kommission, Frans Timmermanns vergangene Woche. Doch vor allem Erdgas werde in den kommenden Jahren wahrscheinlich notwendig sein, um von Kohle auf nachhaltige Energie umzusteigen.“
->Quelle: Euractiv.de/studie-oel-gas-und-kohle-koennten-weltweit-zwei-drittel-ihres-wertes-verlieren