3. Grünen Wasserstoff mittel- bis langfristig marktfähig machen
Um einen zügigen Aufbau einer grünen, globalen Wasserstoffwirtschaft zu gewährleisten, sollten alle innovativen Verfahren zur Wasserstoffherstellung genutzt werden, um den aktuell hauptsächlich verwendeten grauen Wasserstoff schnell zu ersetzen. Bei Anwendung der Nachhaltigkeitsstandards gilt auch zukünftig der Grundsatz der Technologieoffenheit. Die Umwandlungsverluste bei der Erzeugung von klimafreundlichem Wasserstoff dürfen nicht dazu führen, dass die Gesamtklimabilanz des Energiesystems schlechter wird.
Auch ist zu diskutieren, inwieweit auf lokale Lösungen zur Wasserstofferzeugung und bestehende Wasserstoffinselnetze zurückgegriffen werden kann, die über Umwidmung der bestehenden Gasinfrastruktur erweiterbar sind. Nachfrageorientiert können auch neue Wasserstoffleitungen gebaut werden, insbesondere zur Unterstützung des Ausbaus dezentraler Infrastrukturen im Industrie- und Wärmesektor. Wissenschaftliche Studien und Demonstrationsprojekte sollten dabei unter wirtschaftlicher wie sozialökologischer Bewertung verlässliche Grundlagen bieten.
Die Kosten von grünem Wasserstoff entscheiden sich abseits der Rahmenbedingungen ganz wesentlich daran, ob es gelingt, durch technologische Innovationen und gesteigerte Nachfrage Skalierungs- und Effizienzeffekte zu erreichen. Dies sollte sowohl im Interesse der Klimaschutzziele als auch im Interesse von Industrie- und Technologieproduktion und -export das Ziel sein. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Nachhaltigkeitsrat, den von der Bundesregierung avisierten Ausbau der Elektrolyseleistung von bis zu 5 Gigawatt in Deutschland bis 2030 auf 10 Gigawatt zu erhöhen und diesen auch darüber hinaus ohne Deckelung bedarfsorientiert und wettbewerbsfähig zu entwickeln.
4. Chancen von Wasserstoff effizient nutzen, industriellen Hochlauf zügig sichern
Der in der Markthochlaufphase produzierte Wasserstoff sollte insbesondere dort eingesetzt werden, wo das Treibhausgas-Minderungspotenzial am größten ist, um Effizienzeinbußen möglichst gering zu halten, oder wo auch langfristig keine oder nur begrenzte Alternativen zur Erreichung von Klimaneutralität erwartet werden. Der Nachhaltigkeitsrat empfiehlt, dass Wasserstoff deshalb an erster Stelle im Industrie- und Energiesektor zum Einsatz kommt. Wenn die Stromerzeugung in Deutschland 2040 klimaneutral sein soll, muss Wasserstoff auch als Brennstoff für die thermischen Kraftwerke zur Verfügung stehen, die dann als „Backup“ für die erneuerbaren Energien weiterhin eingesetzt werden. An zweiter Stelle kann Wasserstoff und seine Folgeprodukte (Power-to-X) als alternativer Energieträger im Mobilitäts- und Transportsektor eingesetzt werden, insbesondere im Bereich des See- und Luftverkehrs sowie beim Schwerlasttransport.
Mittel- und langfristig können grüne Wasserstofftechnologien auch Lösungen im Wärmebereich liefern. Insbesondere der Gebäudebestand bietet ein enormes Dekarbonisierungspotenzial, vor allem durch energetische Sanierung. Eine besondere Chance bietet Wasserstoff als Partner für erneuerbare Energien auch in der Speicherung von Wind- oder Sonnenstrom. Energiedichte, vorhandene und ausbaufähige Speicherpunkte und Transportnetze machen Wasserstoff zu einem wichtigen Garanten der Versorgungssicherheit. Wasserstoff und seine Folgeprodukte können zudem als wesentliche Elemente der Sektor-Kopplung dabei unterstützen, die Energieversorgung sicher zu steuern und zu flexibilisieren.
Um mit einer sektorengekoppelten Wasserstoffwirtschaft in Deutschland Treibhausgas-Minderungspotenziale in allen Sektoren zu heben, muss Bewegung in die angestoßenen Großprojekte und die regulatorischen Rahmenbedingungen kommen. Hierzu zählt sowohl der zeitnahe Ausbau einer Wasserstoff-fähigen Netzinfrastruktur als auch der Aufbau einer separaten Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland. Dies ermöglicht die Realisierung des maximalen CO2-Einsparpotenzials von Wasserstoff durch einen effizienten Einsatz – stofflich wie energetisch. Eine Beimischung von Wasserstoff eignet sich vor allem auf der Verteilnetzebene. Gasnetzbetreiber sollten langfristig in der Lage sein, größere Beimischungen erneuerbarer Gase (synthetisches Erdgas) zum Erdgas vornehmen zu können. Bestehende Erdgasinfrastruktur, die Umwidmung von Erdgas-Leitungen – dabei kann sowohl auf der Transportnetzebene als auch auf der Verteilnetzebene auf vorhandene Kapazitäten (L-Gas-Netz) zurückgegriffen werden – oder der Bau reiner Wasserstoffnetze sind wichtige Bausteine einer integrierten Infrastruktur. Der Ausbau ist jetzt anzugehen und langfristig und verbindlich zu planen. Vor einem Ausbau der Gasnetzinfrastruktur ist zu prüfen, inwieweit diese kompatibel mit den Stromausbau- und Klimaschutzzielen auf europäischer Ebene ist. Eine gesamteuropäische Koordination ist unerlässlich.
Weil eine grüne, globale Wasserstoffstrategie branchenübergreifend im Chemie-, Energie-, Transport- und Wärmesektor sowie der Grundstoffwirtschaft vor allem industriell geprägt ist, schlägt der RNE vor, im Dialog zwischen Bundesregierung und den vorrangig beteiligten und betroffenen Industrien sowie unter Beteiligung von gesellschaftlichen Akteuren und dem Nationalen Wasserstoffrat einen Wasserstoffpakt zu schließen. Ziel einer solchen kooperativen und partnerschaftlichen Vorgehensweise ist es, einen in wechselseitiger Verantwortung und Verpflichtung abgestimmten und verlässlichen Rahmen für einen zügigen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu schaffen.
Mit Blick auf eine erfolgversprechende Energiewende begrüßt der Nachhaltigkeitsrat den Einstieg in eine grüne, globale Wasserstoffwirtschaft als wichtigen Teil des nachhaltigen Konjunkturprogramms nach der Corona-Pandemie. Krisenbewältigung und nachhaltige Zukunftsgestaltung werden so miteinander verwoben.
->Folgt: 5. Forschung und Entwicklung von Wasserstofftechnologien fördern