7. Investitionsfördernde Maßnahmen umfänglich und zügig umsetzen
Der Markteintritt von Wasserstoff und die Transformation des Energiesystems darf durch gegenläufige Subventionen oder Preissignale nicht behindert werden. Deshalb empfiehlt der Nachhaltigkeitsrat grundsätzlich eine umfassende Reform des Steuer-, Umlagen- und Abgabensystems in Angriff zu nehmen, die transparent, dauerhaft verlässlich und effizient die Erreichung der Klimaschutzziele im Energiesektor wie in den anderen Sektoren steuert und sicherstellt.
Die im Rahmen des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung beschlossene CO2-Bepreisung stellt wichtige Weichen für den Markteintritt von grünem Wasserstoff und ist zeitnah auf den Weg zu bringen, um den im Vermittlungsausschuss beschlossenen höheren Preispfad umzusetzen. Ein konsequentes Setzen auf eine steigende CO2-Bepreisung, beispielgebend Umweltkosten internalisieren – europäisch wie global – und ein möglichst sektorübergreifendes System eines mindestens europaweit ambitionierten Zertifikatehandels erscheint dem RNE die erfolgversprechendste und auch marktwirtschaftlichste Anreizstrategie.
Um Wettbewerbsverzerrungen der heimischen Industrie und eine Verlagerung der Wertschöpfungsketten in Länder außerhalb Europas zu vermeiden, ist auch eine global vergleichbare CO2-Bepreisung anzustreben. Ein Preissignal für den Ausstoß von CO2 darf dabei nicht durch direkte und indirekte Subventionen von fossilen Energieträgern konterkariert werden. Im Gegenteil müssen darüber Anreize für eine effiziente und sparsame Energienutzung und -bereitstellung gesetzt werden.
Eine besondere Investitionsverantwortung liegt bei den Elektrolyseuren, was sich anreizorientiert auch im Steuer- und Umlagensystem niederschlagen sollte. Es ist jedoch auch wichtig, dass im Rahmen des Übergangszeitraums Technologieoffenheit, Versorgungssicherheit und CO2-Minderung als Grundsätze für alle Förderungs- und Entlastungsregelungen gelten. Der gleichberechtigte Zugang von klimaneutralen Herstellungsverfahren, bezogen auf den Lebenszyklus, zu Förderprogrammen und -mitteln sollte deswegen für die Dauer des Übergangszeitraums sichergestellt werden. Zeiträume paralleler Förderung und öffentlich initiierter Investitionen einer langfristig grünen Wasserstoffstrategie sollten dabei auf sicheren Mengengerüsten des Bedarfes, insbesondere im industriellen Bereich, aufbauen.
Klimaneutrale Verfahren zur Wasserstoffherstellung sollten nicht allein als Endverbraucher von erneuerbaren Energien, sondern ebenso als Energiewandler betrachtet und dementsprechend von der EEG-Umlage befreit werden. Darüber hinaus ist ein Ausschreibungssystem für Elektrolyseure in Deutschland zu etablieren, das sich auch an Netzgesichtspunkten orientiert.
Die in der Wasserstoffstrategie vorgeschlagenen staatlichen Förderungen sollten mit Blick auf die zumindest bei Markteinführung noch höheren Kosten durch den Einsatz von Wasserstoff, z. B. in der Stahl- und Chemieindustrie sowie in den Bereichen Strom- und Wärmeerzeugung, weiterentwickelt werden. Zu prüfen ist eine die Klimaschutzziele berücksichtigende Wasserstoff-Quote, um Bedarfe zu initiieren, die den Markthochlauf zum Aufbau einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft unterstützen. Gleichermaßen empfiehlt der Rat, eine 2%-Quote von Power to Liquid (PTL) in der Luftfahrt anzustreben.
Eine Förderung sollte nicht nur für die Herstellung von Wasserstoff, sondern auch für die „Wasserstoff-Readiness“ in allen Anwendungsbereichen und Infrastrukturen frühzeitig Anreize schaffen. Dabei ist zu beachten, dass insbesondere die Infrastrukturen langfristig verlässliche rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen für den Einsatz Wasserstoff-verträglicher Komponenten benötigen. Anstrengungen für Effizienz- und Suffizienzmaßnahmen sollten parallel zur Wasserstoffstrategie verstärkt werden.
8. Strategische Partnerschaften in Europa und international aufbauen und stärken
Während sich die Wasserstofftechnologie in Deutschland noch im Versuchsstadium befindet, gehen eine Reihe von europäischen Staaten voran. Vorreiter mit konkreten Planungen von großen Produktionsanlagen für Wasserstoff mit Elektrolyse-Kapazitäten im dreistelligen Megawatt-Bereich sind u.a. die Niederlande und Belgien. Deutschland darf den Anschluss zur Spitzengruppe der Technologieentwicklung und Produktion nicht verpassen.
Die Wasserstoffstrategie soll deshalb nicht nur national konzipiert, sondern muss eng mit dem Ansatz der Europäischen Kommission für eine europäische Wasserstoffwirtschaft und eine europäische Wasserstoffstrategie im Rahmen des European Green Deals sowie mit dem European Green Deal Recovery Package verknüpft werden.
Der Wiederhochlauf der Wirtschaft nach Abflachen der Corona-Pandemie muss gemeinsam mit den anderen EU-Staaten solidarisch und strategisch angegangen und für den Aufbau einer grünen, globalen Wasserstoffwirtschaft genutzt werden. So sollten z.B. bestehende Leitungsnetze genutzt und miteinander verbunden werden. Auch sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den südeuropäischen Produktionsländern wie Italien, Spanien, Griechenland oder Portugal und den Nutzerländern von Wasserstoff zu stärken. Die EU sollte durch frühzeitige Standard- und Rahmensetzung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung die internationalen Rahmenbedingungen maßgeblich mitgestalten.
Weltweit haben 840 Millionen Menschen keinen stabilen Stromzugang. Neben dieser gravierenden Mangelversorgung leiden selbst Länder mit hervorragenden klimatischen Ausgangsbedingungen an Altstrukturen konventioneller Energieerzeugung oder Importabhängigkeiten mit all den Folgen stark schwankender Preise und mangelnder Entwicklungsmöglichkeiten. Insbesondere vor dem Hintergrund der globalen Nachhaltigkeitsziele, der Sustainable Development Goals, die u.a. einen Zugang zu moderner und bezahlbarer Energie für alle bis 2030 fordern und gleichermaßen den Klimaschutz global adressieren, ist bei den internationalen Energiepartnerschaften darauf zu achten, dass Produktion und Export von Wasserstoff und seinen Folgeprodukten nicht zu Lasten der derzeit häufig noch unzureichenden Energieversorgung von Exportländern und im wechselseitigen Interesse erfolgt. Die Energiearmut von afrikanischen Partnern soll auch mit Hilfe von Wasserstoffkooperationen überwunden werden. Dazu müssen vor Ort Anreize gesetzt werden, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu ermöglichen, um die Kapazitäten für bezahlbare erneuerbare Energien auf- und auszubauen und damit die lokalen Märkte der Exportländer zu stärken. Die Förderung einer grünen, globalen Wasserstoffwirtschaft ist eine große Chance, um nachhaltige Entwicklung, neue Wertschöpfungsketten und damit gesellschaftlichen Wohlstand in den Partnerländern zu ermöglichen. Diese Vorteile für Partnerländer müssen von Anfang an berücksichtigt werden.
Um durch den Import von grünem Wasserstoff die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele in anderen Ländern ebenfalls sicher zu stellen, ist ein aus den SDGs abgeleitetes Safeguards-System8 zu entwickeln, für dessen Inhalte auch auf die Safeguards aus den Emissionshandel und dem REDD+-Konzept zurückgegriffen werden kann. Auch muss grüner Wasserstoff Eingang in Verhandlungen und Abschlüsse internationaler Handelsabkommen finden sowie in den Verträgen zur Entwicklungszusammenarbeit ein Schwerpunkt werden.
Der Nachhaltigkeitsrat empfiehlt der Bundesregierung sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene strategische Allianzen mit den Partner- und Exportländern zu schließen. Dabei sollte die Wertschöpfung durch regenerativen Strom und grünen Wasserstoff in diesen Ländern gesteigert und die Infrastrukturen für die Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff auch vor Ort aufgebaut werden. Deutschland könnte hierdurch einen großen Beitrag zur Umsetzung der SDGs in den Partnerländern leisten.