Stimmen zum Kohleausstiegsgesetz: Zu spät, zu teuer

Kohleausstieg ist zu spät und zu teuer – Die nächste Bundesregierung muss nachbessern

Am 03.07.2020 haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung verabschiedet. Nach und  nach – bis spätesten 2038 – sollen Braun– und Steinkohlekraftwerke abgeschaltet werden. Gleichzeitig bekommen die Lausitz, Mitteldeutschland und das rheinische Revier 40 Milliarden Euro Strukturhilfen – Geld für Bahn- und Straßenbau, neue Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungen, Arbeitsplätze bei teils neu angesiedelten Behörden (tagesschau.de/inland/kohleausstieg). Kritik am neuen Gesetz und den Hilfen kommt von Umweltorganisationen wie BUND, DUH und BEE – Greenpeace demonstrierte an Reichstag und CDU-Zentrale.

Braunkohletagebau Welzow Süd – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

BUND: „Kohleausstiegsgesetz eine Farce – Abschied muss viel schneller kommen“

„Ein schlechtes Gesetz zum viel zu langen Abschied“: Das sogenannte Kohleausstiegsgesetz sei „kein Grund zur Freude“, so der Bund Naturschutz Deutschland (BUND) in einer Medienmitteilung. Denn es verdiene seinen Namen nicht. Mit viel zu langen Restlaufzeiten und überhöhten Steuergeschenken an Kohlebetreiber hofiere die Bundesregierung ein sterbendes Energiesystem. Das alles sei „Energiepolitik von gestern“. Der BUND lehnt den Gesetzesentwurf in dieser Form ab: „Wir fordern ein klimapolitisch wirksames Gesetz und ein klares Bekenntnis zum Kohleausstieg bis spätestens 2030. Wir brauchen den schnellen Abschied von der Kohle statt der Verabschiedung eines sogenannten Kohleausstiegsgesetzes“.

Antje von Broock, Geschäftsführerin Politik und Kommunikation beim BUND: „Dieses Gesetz ist eine Farce. Die Bundesregierung führt damit den Versuch einer gesellschaftlichen Befriedung des Kohlekonflikts ad absurdum. Anstatt Umwelt- und Klimaschutz voranzutreiben und die notwendige sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft zu gestalten, werden den Kraftwerksbetreibern Steuer-Milliarden geschenkt. Eins ist klar: Hätte man uns in der Kohlekommission dieses Gesetz als Kompromiss vorgelegt, hätten wir dem niemals zugestimmt. Entweder hat die Bundesregierung die dauerhaften und beeindruckenden Klimaproteste der vergangenen Jahre nicht verstanden oder ignoriert sie stur. Es droht ein Wiederaufflammen des alten gesellschaftlichen Konflikts.“

Knapp die Hälfte der dreckigen Braunkohlekraftwerke sollen dem Entwurf zufolge erst nach 2034 vom Netz gehen, die Grundlage der Entschädigungshöhe ist nicht bekannt. Auch die Steinkohlebetreiber haben sich seit dem ersten Entwurf vom Januar dieses Jahres noch höhere Entschädigungszahlungen ausverhandelt. Dabei sinkt die Kohlestromproduktion marktgetrieben rapide, wegen niedriger Gaspreise und stabiler Preise für CO2-Zertifikate. Nichtsdestotrotz ging Ende Mai, gebilligt von der Bundesregierung, ein weiteres Steinkohlekraftwerk ans Netz.

Dirk Jansen, Geschäftsleiter BUND Nordrhein-Westfalen und Datteln-4-Experte: „Mit der grotesken Entscheidung Datteln 4 ans Netz zu lassen, wogegen sich knapp zwei Drittel der Bevölkerung ausgesprochen haben, nimmt die Bundesregierung noch mehr Schäden an Mensch und Umwelt in Kauf. Sie protegiert damit zudem den Konzern Uniper, der die Niederlande wegen ihres ambitionierten Kohleausstiegs verklagen will. Die gesetzliche Festschreibung der energiepolitischen Notwendigkeit der Auskohlung des Tagebaus Garzweiler ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich und ein Schlag ins Gesicht der Opfer der dadurch provozierten Zwangsumsiedlungen.“

Der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen Bundesregierung und Braunkohlebetreibern, der soeben im Kabinett verabschiedet wurde, stärkt laut ersten juristischen Einschätzungen vor allem die Kohleproduzenten. Zwar kann der Vertrag wohl keine Verschärfung des Ausstiegspfads verhindern, den Ausstieg aber für künftige progressive Regierungen unnötig sehr teuer machen.

Marie-Luisa Wahn aus dem Bundesvorstand der BUNDjugend: „Der vorliegende Gesetzesentwurf ignoriert diesen gesellschaftlichen Willen, die fundierten Einschätzungen der Klimawissenschaft – und letztlich das Recht künftiger Generationen auf eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten. Deswegen fordern wir als BUNDjugend die Abgeordneten auf, diesem Gesetz eine deutliche Absage zu erteilen.“

Greenpeace-Aktive verhüllen CDU-Zentrale und fordern am Reichstag ernsthaften Kohleausstieg

Aus Protest für mehr Klimaschutz beim geplanten Kohleausstiegsgesetz haben 50 Aktivistinnen und Aktivisten von Greenpeace am 01.07.2020 die CDU-Parteizentrale in Berlin verhüllt. Sie ließen vom Dach des Konrad-Adenauer-Hauses rund 3.000 Quadratmeter schwarzen Stoff vor die Fassade fallen. Auf einem Banner war das Portrait von Wirtschaftsministers Peter Altmaier zu sehen und dazu die Forderung: “CDU: Dunkle Geschäfte mit der Kohleindustrie! #KeinGeldFürGestern”. “Minister Altmaier hat mit der Kohleindustrie eine milliardenteure und zu lange Betriebsdauer für ihre besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke ausgehandelt”, sagt Karsten Smid, Klima- und Energieexperte von Greenpeace. ”Das vorliegende Kohlegesetz verhöhnt den Klimaschutz. Es muss komplett überarbeitet werden bevor diesen Freitag darüber im Bundestag abgestimmt werden kann.”

Gesetzentwurf verzögert Kohleausstieg und widerspricht Pariser Klimazielen<

Mit einem 16 mal 3 Meter großen Transparent und den Worten „eine Zukunft ohne Kohlekraft“ haben zehn Aktivistinnen und Aktivisten von Greenpeace am 03.07.2020 die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ am Westportal des Reichstagsgebäudes erweitert.  Sie demonstrieren damit für einen schnelleren Kohleausstieg. „Die  Bundesregierung schiebt dringend notwendige CO2-Einsparungen auf die lange Bank“, sagte Karsten Smid, Klimaexperte von Greenpeace. “Dieses Gesetz ist ein Klimaverbrechen, das der Bundestag so nicht beschließen darf. Ein vollständiger Kohleausstieg bis 2030 ist dringend nötig, damit Deutschland klimapolitisch glaubwürdig wird.”

Gesetz verteuert Beschleunigung des Kohleausstiegs

In seiner jetzigen Form sieht das Gesetz einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 vor. Damit kann Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze, die im UN-Klimaabkommen von Paris völkerrechtlich verbindlich vereinbart wurde, nicht erfüllen. Der derzeit vorgesehene Stilllegungspfad für Braunkohlekraftwerke, bei dem die Hälfte der Netzkapazität erst nach 2030 vom Netz geht, wird nach Berechnungen von Greenpeace zu zusätzlichen 180 bis 200 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß führen, verglichen mit einem kontinuierlichen Abschaltungsplan, wie ihn die Kohlekommission vorgeschlagen hatte.

Ob bis Ende 2020 überhaupt ein Kraftwerksblock vom Netz gehe, sei offen. Sollten der  Kohleausstieg doch noch nachträglich beschleunigt und Kraftwerke vorzeitig stillgelegt werden, könne das die deutschen Steuerzahlenden teuer kommen: Der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen Bundesregierung und Braunkohleunternehmen sichere diesen schon jetzt insgesamt 4,35 Milliarden Euro Entschädigung für Abschaltungen zu. Ein Vorziehen der geplanten Stilllegungen um drei Jahre auf 2035  bleibe zwar frei von weiteren Zahlungsansprüchen. Doch allein die absehbare Verschärfung der europäischen und der deutschen Klimaziele zur Anpassung an das Pariser Klimaabkommen werde einen deutlich früheren Kohleausstieg erfordern. In dem Fall könnte das zu zusätzlichen Forderungen nach Entschädigung aus der Braunkohleindustrie führen. “Das Gesetz und die Verträge knebeln zukünftige Regierungen und gehen zu Lasten kommender Generationen” so Smid.

DUH: „Zu spät“

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), kommentieret: „Das Kohleausstiegsgesetz kommt zu spät, ist zu teuer und legt zukünftigen Regierungen unnötig Fesseln an. Die Bundesregierung und die Große Koalition haben eine goldene Gelegenheit verpasst, den gesellschaftlichen Konflikt um die klimaschädliche Kohleverbrennung zu befrieden. Wir werden die zukünftige Bundesregierung nach der Bundestagswahl 2021 auffordern, dieses unzureichende Gesetz nachzubessern, um den Kohleausstieg bis spätestens 2030 abzuschlie:ßen. Nur so erreicht Deutschland die im Pariser Klimavertrag vereinbarten Ziele zum Schutz vor der gefährlichen Erderhitzung.“

BEE: Verankerung der Erneuerbaren Energien fehlt

Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE): „Es ist dringend notwendig, mit dem Kohleausstieg jetzt sofort den Ausbau der Erneuerbaren Energien gesetzlich verbindlich zu verankern. Nicht nur, dass mit dem Gesetz die Laufzeiten bereits heute unrentabler fossiler Kraftwerke künstlich verlängert und noch dazu unnötig vergoldet wurden, es fehlen auch immer noch Rechtssetzungen für einen mutigen Zubau der Erneuerbaren Energien. Damit werden nicht nur die Klimaziele, sondern auch die Ausbauziele für Erneuerbare Energien konterkariert. Die Bundesregierung muss endlich den gesellschaftlichen Konsens für Klimaschutz und Erneuerbare Energien aktiv umsetzen. Ein Ausstieg ohne einen Einstieg ist nur eine halbe Sache“, so Peter.

„Im Grunde fehlt dem Gesetz eine positive Agenda, mit der sich deutlich machen lässt, wie gut erneuerbare Technologien die Kohleverstromung bereits jetzt kompensieren können und in welchem Umfang die Erneuerbaren Energien in Zukunft erforderlich sind, um energie- und klimapolitische Aufgaben zu erfüllen“. Obwohl der 65 Prozent Anteil der Erneuerbaren Energien bis 2030 bereits beschlossen seien, zeige die Politik bisher keinen konkreten Fahrplan auf. Dafür brauche es jetzt klare Signale seitens der Bundespolitik. Die Aufhebung des Deckels für Photovoltaik dürfe hier nur ein erster Schritt sein, dem weitere folgen müssen, um den im Rahmen der Sektorenkopplung wachsenden Bedarf an Ökostrom mit heimischen Erneuerbaren Energien zu decken.

„Das Wirtschaftsministerium muss hier aktiv werden – mit der angekündigten EEG-Novelle muss glaubwürdig unterstrichen werden, dass der Weg der Energiewende im Stromsektor beschleunigt wird. Ein deutlich größeres Engagement ist von der Bundesregierung aber auch bei der Wärme- und Mobilitätswende zu zeigen. Die entsprechenden erneuerbaren Technologien stehen zur Verfügung“, so Peter abschließend.

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