Trotz Aufhebung des Solardeckels, setzt Bundesregierung noch immer Rahmenbedingungen, die hohe bürokratische und wirtschaftliche Hürden für Mieterstrom und Co. bedeuten
Riesige Windkraftanlagen in den urbanen Raum zu pflanzen ist schwierig. Riesig hingegen ist das Potenzial der Solarenergie. Doch gemessen an ihren Möglichkeiten fristet die Photovoltaik in Städten noch immer ein Nischendasein. 2.400 Hektar an Dachflächen wären bspw. in Berlin – laut Berechnungen des Senats – für die Installation von Solaranlagen geeignet. Doch bislang realisiert ist nur ein Bruchteil dieses Potenzials – gerade einmal 2,4 Prozent, wie eine Analyse der Agentur für Erneuerbare Energien zeigt. Berlin könnte mindestens ein Viertel seiner Strom- und Wärmeversorgung mit Solarenergie abdecken, Fassaden- und Freiflächenanlagen nicht einmal mitgerechnet. Eine Bestandsaufnahme von Manuel Först auf energiezukunft.
Masterplan Solarcity
Berlin hat inzwischen einen Masterplan Solarcity vorgelegt, der mehr Förderung und Beratungsangebote sowie Leuchtturmprojekte vorsieht. Diskutiert wird auch über die Einführung einer Solarpflicht bei Neubauten und Sanierungen. Vor allem Grüne und Linke, die gemeinsam mit der SPD in Regierungsverantwortung sind, treiben das Projekt im Berliner Senat voran.
„Solarpflicht für Neubauten ist der richtige Weg, damit wir nicht über jedes Gebäude neu diskutieren müssen“, sagte die Berliner Senatorin für Wirtschaft und Energie, Ramona Pop, im August vergangenen Jahres. Die Berliner Grünenfraktion, hatte zuvor den Willen für eine Solarpflicht gefasst. Die Linksfraktion geht noch weiter und fordert auch eine Solarpflicht für Bestandsbauten.
Erhebliches Potenzial bei einer Beschränkung auf Neubauten würde verschenkt
„Neubauten stellen im Vergleich zu Bestandsgebäuden nur einen kleinen Anteil dar. Daher würde ein erhebliches Potenzial bei einer Beschränkung auf Neubauten verschenkt“, so Michael Efler, Sprecher für Energie- und Klimapolitik bei der Linksfraktion. Dass ein Eingriff in Bestandsgebäude juristisch schwierig ist, dessen ist sich Efler bewusst. Eine Solarpflicht bei bestehenden Gebäuden könnte dann zum Tragen kommen, wenn Investitionen in ein Haus getätigt werden, etwa bei einer Dachsanierung.
Solar wird Pflicht
Grüne und SPD im Hamburger Senat haben 2019 bereits eine Änderung des Klimaschutzgesetzes vorgelegt, das eine Solarpflicht im Neubau ab 2023 und bei Dachsanierungen ab 2025 vorsieht. Im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel will die Bezirksfraktion aus CDU und Grünen den Ausbau von Photovoltaikanlagen noch früher vorantreiben. Dort gilt seit kurzem für Neubauten eine Prüfpflicht zum Einbau von Solaranlagen. Auch Bremen kündigte bereits eine Photovoltaik-Pflicht für Neubauten und Erweiterung auf Bestandsgebäude an.
Vorbilder sind Waiblingen und Tübingen in Baden-Württemberg. Waiblingen setzt seit 2006 auf eine Solarpflicht, auch wenn die nie im Gemeinderat verabschiedet wurde. Ist die Stadt Eigentümer von Grundstücken, auf denen eine Bebauung vorgesehen ist, sind die Erbauer der Häuser vertraglich verpflichtet Solaranlagen auf die Dächer zu setzen.
Obwohl die Vorschrift nicht rechtssicher sei, habe es bisher keine Klagen gegeben, teilt die Stadt mit. Für Investoren rechne sich die Photovoltaik. Neben Anlagen für Sonnenstrom kann auch mit Solarthermie die Vorgabe erfüllt werden. Das gilt seit 2018 auch in Tübingen, die als zweite deutsche Stadt eine Solarpflicht verfügte – vom Gemeinderat verabschiedet und damit rechtssicher.
Baden-Württemberg will nun im ganzen Bundesland den Ausbau der Photovoltaik vorantreiben. Mitte Mai haben sich die Koalitionspartner Grüne und CDU geeinigt: Ab 2022 ist eine Solarpflicht für Neubauten im Nicht-Wohnbereich gesetzlich vorgeschrieben. Im Nichtwohnbereich, also zum Beispiel auf Lager- und Produktionshallen oder Parkhäusern gebe es ein enormes Flächenpotenzial, sagte Baden-Württembergs Energieminister Franz Untersteller von den Grünen.
Eine allgemeine PV-Pflicht für Neubauten muss in den nächsten Jahren kommen
„Diese Dachflächen sind wie geschaffen für große Anlagen“, so Untersteller weiter. Gerne hätten er und seine Partei auch Wohngebäude in die allgemeine PV-Pflicht aufgenommen. Die einstweilige Beschränkung auf Nichtwohngebäude war lediglich ein politischer Kompromiss zwischen den Koalitionspartnern. Eine allgemeine PV-Pflicht für Neubauten müsse in den nächsten Jahren kommen. „Nicht nur in Baden-Württemberg“, so Untersteller.
Hürden und Hoffnung
Die Bundesregierung hat zwar beschlossen, dass der Solardeckel fällt, doch von perfekten Rahmenbedingungen für eine Solaroffensive im urbanen Raum ist Deutschland noch immer weit entfernt. Mit dem Wegfall des Förderdeckels für den PV-Ausbau über 52 Gigawatt werden weiterhin kleinere Solaranlagen bis 750 GW gefördert. Doch vor allem das in Städten so wichtige Mieterstromgesetz ist mit Mängeln behaftet.
2017 führte die Bundesregierung das Mieterstromgesetz ein, mit dem es Mietern einfacher gemacht werden sollte an der Energiewende zu partizipieren, doch es fehlt die flächendeckende Umsetzung. Das liegt an vielen Hürden, die potenzielle Mieter abschreckt. So können Solaranlagen auf Dächern zum Verlust der Gewerbesteuerbefreiung führen. Eine Änderung des Gewerbesteuergesetzes könnte helfen, die der Bundesrat bereits beantragt hat. Die Bundesregierung lässt noch auf sich warten.
Auch fehlen eindeutige räumliche Bezüge. Ein ganzes Quartier etwa sollte in Kombination mit weiteren Erzeugungs- und Speicheranlagen mit Mieterstrom versorgt werden dürfen, ohne dass dadurch die Förderwürdigkeit von Mieterstrom entfällt. Das ist bislang nicht der Fall. Auch müssen Nutzer von Mieterstrom die volle EEG-Umlage zahlen. Zwar wird gleichzeitig der Verbrauch von Mieterstrom gefördert, jedoch in zu geringem Maße. Gerade einmal 17 Megawatt Leistung in Mieterstromprojekten wurden in zweieinhalb Jahren realisiert.
Angesichts des schleppenden Ausbaus rumort es gewaltig in der Regierungskoalition. Timon Gremmels von der SPD-Bundestagsfraktion fordert eine „deutliche Entbürokratisierung“ von Mieterstrom. Auch Klaus Mindrup, ebenfalls SPD-Bundestagsfraktion, macht deutlich: „Unsere ambitionierten Klimaziele lassen sich nicht mit dem Stiefel der Bürokratie im Nacken der Menschen erreichen.“
Hoffnung setzen Gremmels und Mindrup in die Erneuerbaren-Energien-Richtlinie der Europäischen Union – seit Dezember 2018 in Kraft. Neben Mieterstrom schreibt die Richtlinie auch die Förderung von Häusern vor, in denen mehrere Eigentümer wohnen. Wichtigster Punkt ist, dass auf Eigenversorgung keinerlei Abgaben und Umlagen mehr erhoben werden dürfen – und das bis zu einer Grenze von 30 Kilowatt. In Deutschland gilt bislang eine Grenze von 10 Kilowatt, bei deren Überschreitung Abgaben fällig werden.
Darüber hinaus müsste nicht direkt verbrauchter Strom aus dezentralen Anlagen mindestens mit dem Marktwert vergütet werden. Bis spätestens Juni 2021 muss die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt sein. Gremmels befürchtet, dass die Bundesregierung die Frist verpasst. Der Koalitionspartner habe fehlendes Verständnis für diesen stark dezentralen Ansatz der Energiewende. Statt PV auf allen Dächern würde bei der Union mehr auf zentrale Großtechnologie wie Offshore-Wind und Wasserstoff gesetzt.
Die zentralistisch-bürokratische Energiewende ist gescheitert
„Die zentralistisch-bürokratische Energiewende ist gescheitert“, glaubt auch Klaus Mindrup. Dabei gibt es Projekte, die zeigen, dass Mieterstrom funktionieren kann. Bereits 2015, noch vor Inkrafttreten des Mieterstromgesetzes, sorgte der Ökoenergieversorger NATURSTROM auf bestehenden genossenschaftlichen Gebäuden in der Stadt Mosbach in Baden-Württemberg für Solarstrom für mindestens 350 Wohneinheiten.
Das öffentliche Stromnetz wird nicht genutzt. Entsprechende Abgaben fallen weg. Mit jedem Projekt wächst nun die Erfahrung. Genossenschaftlich organisiert fließt auch in Berlin bereits erfolgreich Mieterstrom. Im nachhaltig geplanten Neubauquartier Möckernkiez etwa profitieren 1.000 Menschen von fünf gemeinschaftlich genutzten Solaranlagen. Und die Anlagen lohnen sich – denn die Sonne scheint in der Hauptstadt über 1.600 Stunden im Jahr. Manuel Först