„CO2 drastisch senken, dann abwarten – und abwarten, bis Temperaturen sinken“

Erfolge beim Klimaschutz dauern wegen „Klima-Trägheit“ sehr lange

Selbst wenn die Menschheit ab sofort Jahr für Jahr fünf Prozent weniger Kohlendioxid emittieren würde, wäre der Erfolg erst nach rund einem Vierteljahrhundert messbar, wie Roland Knauer am 08.07.2020 im Berliner Tagesspiegel Background berichtet. Und E&E News-Autorin Chelsea Harvey am 09.07.2020 in Scientific American: „Wegen der ‚Trägheit des Klimas‘ wird es Jahrzehnte dauern, bis sich das heutige Klimageschehen in globalen Temperaturen manifestiert“.

Bildmontage © Solarify

Knauer sieht zwei Welten mit unterschiedlichen Zeitrechnungen aufeinander treffen: „Während wichtige Entscheidungen in demokratischen Systemen normalerweise bei der nächsten Wahl in wenigen Jahren auf dem Prüfstand stehen, können Wissenschaftler erst nach Jahrzehnten messen, ob Maßnahmen zum Klimaschutz die globale Erwärmung bremsen.“ Er und Chelsea Harvey beziehen sich auf eine aktuelle Untersuchung: Bjørn Samset und seine Kollegen vom Cicero-Zentrum für Internationale Klimaforschung in Oslo berichten in „Nature Communications“ über etwas, das unserem kurzfristigen Denken neu erscheint, es eigentlich aber gar nicht ist. Auch wenn Projektionen mit einem stark vereinfachten Klimamodell berechnet worden seien, zeige das in vielen Durchgängen bestätigte Ergebnis, dass Klimaschutz einen langen Atem braucht. Denn in Ländern der demokratischen Welt werden Klimaschutzentscheidungen „einige Male auf den Prüfstand ‚Wahlen‘ gestellt“, ohne dass die Entscheidungsträger (Politiker) schon Anfangserfolge in Form eines gebremsten Temperaturanstiegs vorweisen könnten.

Träges System

„Das ist also eine schlechte Nachricht“, zitiert Knauer den Hamburger Max-Planck-Meteorologen Jochem Marotzke, koordinierender Leitautor eines Kapitels des nächsten IPCC-Weltklimaberichts zum Ergebnis seiner Osloer Kollegen. Unerwartet komme sie indes nicht. Denn Marotzke selbst habe erst 2019 eine ähnliche Rechnung veröffentlicht. Schaffe es ambitionierter Klimaschutz, 2100 „den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf die vom Pariser Klima-Abkommen anvisierten 1,5° C zu begrenzen, dürfte sich der messbare Erfolg im Vergleich zu einer Welt ohne Klimaschutz erst nach Jahrzehnten in der Temperaturkurve zeigen,“ so Knauer. Deshalb sei „erhebliches Durchhaltevermögen notwendig, um den Klimawandel zu bremsen und später umzukehren“.

„Wenn die globalen Kohlendioxidemissionen morgen beginnen würden, jedes Jahr um mindestens 5% zu sinken, würde sich die Geschwindigkeit, mit der sich die Erde erwärmt, erst nach dem Jahr 2040 oder so ändern – zumindest in einer erkennbaren Weise“, veranschaulicht Chelsea Harvey die Arbeit Samsets. Gegenwärtig steigen die weltweiten Emissionen noch immer an.

„Die Tatsache, dass sich der Klimawandel über Jahrzehnte und Jahrhunderte entwickelt, aber die Aufmerksamkeitsspanne medialer Öffentlichkeiten zum Teil nicht über ein paar Tage hinausreicht, ist der Kern des Kommunikationsproblems Klimawandel“, sagte Michael Brüggemann von der Universität Hamburg dem Science Media Center Germany.

Wegen der „Klima-Trägheit“ dauert es Jahrzehnte, bis sich aktuelles Klimageschehen in Temperaturen manifestiert

Die Situation ähnelt in gewisser Weise einem „sehr großen Schiff, das mit hoher Geschwindigkeit unterwegs ist“, sagte , eine der Koautoren der Studie. „Wenn man die Richtung ändern will, stellt man den Motor auf Rückwärtsgang und dreht das Steuer voll auf, aber es dauert immer noch so lange, bis man sieht, wie sich das große Tankschiff wirklich ändert oder wendet“, sagte sie in einem Interview. „Das ist wie CO2.“

Das liegt zum Teil daran, dass das Klimasystem selbst nur langsam auf Veränderungen von Faktoren wie der Treibhausgaskonzentration reagiert. Es ist ein Phänomen, das als „Klimaträgheit“ bekannt ist – es bedeutet, dass der Kohlenstoff, den die Menschen heute in die Atmosphäre einbringen, das Klima noch Jahrzehnte lang beeinflussen kann.

Das gilt insbesondere für CO2, das jahrzehntelang in der Atmosphäre verbleibt. Selbst wenn der CO2-Ausstoß heute auf Null sinken würde, wäre in den kommenden Jahren bereits eine gewisse Erwärmung im System eingeschlossen.

Selbst bei Gasen mit kürzerer Lebensdauer in der Atmosphäre, wie etwa Methan, führt schnelles Handeln nicht unbedingt zu einer schnellen Amortisation. Das Klimasystem ist von kurzfristiger Variabilität geprägt, d.h. die globalen Temperaturen schwanken von einem Jahr zum nächsten, auch wenn sie langfristig deutlich ansteigen.

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