Spannender Beton
Beton ist zwar der meistgenutzte Baustoff weltweit, hat aber eine miserable CO2-Bilanz. Forschende der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) haben jetzt eine Methode entwickelt, mit der man genauso viel bauen kann, aber weniger Beton braucht. Bei Konstruktionen, die sehr stabil sein müssen, spannt man bisher den Beton sozusagen in Stahl ein. Aber Stahl rostet. Deshalb muss der Beton sehr dick aufgetragen werden, der Verbrauch steigt. Deshalb wollte man den Beton lieber in Kunststoffstäbe einspannen. Das war lange instabil und hat deshalb nicht gut funktioniert. Das Empa-Team hat – so eine Mitteilung auf der Empa-Webseite vom 15.07.2020 – jetzt aber eine spezielle Rezeptur entwickelt.
Weltweit werden jährlich über zehn Milliarden Tonnen Beton hergestellt und verbaut. Das ist mehr als alle anderen Baumaterialien zusammen. Zum Vergleich: Bei Stahl und Asphalt – beides ebenfalls sehr häufig genutzte Materialien – liegt die jährliche Produktion bei je rund 1,5 Milliarden Tonnen. Auch wenn die verursachten Emissionen und die benötigte Energie bei der Herstellung einer Tonne Beton stärker sind als bei anderen Baumaterialen, haben die riesigen Mengen einen erheblichen Einfluss auf die globale Umweltbelastung.
Hauptverantwortlich ist dabei Zement, das Bindemittel im Beton. Für die vier Milliarden Tonnen Zement, die jährlich benötigt werden, wird knapp drei Prozent der weltweiten Primärenergie aufgewendet. Außerdem ist die Zementproduktion für bis zu acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Schätzungen zufolge könnte die jährliche Produktion von Beton und Zement aufgrund der wachsenden Nachfrage in Entwicklungsländern bis 2050 sogar noch um weitere 50 Prozent ansteigen. Ein Ersatz für Beton ist dabei nicht absehbar: Dazu bietet der Baustoff schlich zu viele Vorteile. Die Zahlen machen deutlich, dass ein nachhaltiger Umgang mit Beton – von der Produktion über den sparsamen Materialeinsatz bis zum Abbruch und Recycling – einen enormen Einfluss auf unsere Umwelt und unsere Gesellschaft hat.
Patente in Europa und den USA
An der Empa werden Methoden entwickelt, wie Beton-Elemente schlanker, aber dennoch langlebig und stabil gemacht werden können, so dass der Materialverbrauch sinkt. Eine Forschergruppe um Giovanni Terrasi, Pietro Lura und Mateusz Wyrzykowski hat kürzlich ein europäisches und ein US-amerikanisches Patent erhalten für eine selbst-vorspannende Betontechnologie, die das ermöglicht. Vorspannung kommt in der Regel dann zum Einsatz, wenn ein Betonelement sehr große Lasten aufnehmen muss – zum Beispiel bei Balken, Brücken oder auskragenden Bauteilen. In einer Spannbettvorrichtung werden die Bewehrungen beziehungsweise Spannglieder – meist aus Stahl – vor dem Einbringen des Betons auf beiden Seiten des Elements verankert, unter Zug gesetzt und nach dem Aushärten des Betons wieder gelöst. Die in den Spanngliedern erzeugten Kräfte setzen den Beton dann unter Druckspannung: Das Element wird durch die vorgespannte Bewehrung in seinem Innern quasi von beiden Seiten zusammengezogen – und damit deutlich stabiler. Das Problem: Stahl ist rostanfällig. Aus diesem Grund muss die Betonschicht rund um den Spannstahl eine bestimmte Mindestdicke aufweisen.
Carbonfasern statt Stahl
Bereits in den 1990er-Jahren wurde zum ersten Mal carbonfaserverstärkter Kunststoff (CFK) anstelle von Stahlarmierungen verwendet. Weil CFK nicht korrodiert, lassen sich dadurch bereits deutlich schlankere Betonbauteile produzieren – mit gleichwertigen statischen Eigenschaften. „Will man diese CFK-Armierungen ebenfalls vorspannen, um damit noch dünner und stabiler bauen zu können, stösst man aber an Grenzen“, sagt Wyrzykowski. Es sind sehr teure Spannbettvorrichtungen nötig und die Verankerung von CFK-Stäben ist deutlich komplizierter als diejenige von Spannstahl. Deshalb ist vorgespannter CFK-Hochleistungsbeton noch immer nicht sehr weit verbreitet.
Expandierender Beton
Dem Empa-Team ist es nun gelungen, auf die Verankerung auf beiden Seiten des Elements komplett zu verzichten, der Beton macht die Arbeit nämlich selbst: Dank einer speziellen Rezeptur dehnt sich der Beton beim Aushärten aus. Durch diese Expansion setzt der Beton die CFK-Stäbe in seinem Innern unter Zug und spannt sie dadurch automatisch vor. In ihren Laborversuchen konnten die Forschenden nachweisen, dass die selbstvorgespannten CFK-Betonelemente vergleichbare Lasten tragen konnten wie jene, die mit grossem Aufwand konventionell vorgespannt wurden – und zwar rund dreimal mehr als ein nicht vorgespanntes CFK-Betonelement. „Unsere Technologie eröffnet völlig neue Möglichkeiten im Leichtbau“, sagt Wyrzykowski. „Wir können nicht nur stabiler bauen, sondern brauchen dafür auch erheblich weniger Material.“ Der Empa-Forscher sieht auch bereits neue Anwendungsfelder: „Wir können sehr einfach gleichzeitig in mehrere Richtungen vorspannen, etwa für dünne Betondecken oder filigrane gekrümmte Betonschalen“, meint er mit Blick in die Zukunft. Diese neuen Anwendungen werden nun mit Unterstützung des Industriepartners BASF weiterentwickelt.
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