Erdgas nicht klimafreundlicher als Kohle
„Der Anfang Juli 2020 vom Bundestag beschlossene Kohleausstieg könnte eine größere Rolle für Erdgas im deutschen Energiesystem bedeuten“, schrieben Claudia Kemfert und Franziska Holz, ihre Vertreterin in der Leitung der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin am 15.07.2020. „Doch tatsächlich ist Erdgas nicht klimafreundlicher als Kohle“. Vor allem aber drohe Europa zum Spielfeld des Konflikts zwischen Russland und den USA zu werden.
Eine Spirale aus Sanktionen und Gegensanktionen habe sich bereits rund um den Bau der Ostseepipeline Nordstream 2 in Gang gesetzt. Die USA machen mit Flüssiggas den russischen Erdgaslieferungen in Europa Konkurrenz. Während die deutsche und die europäische Politik nunmehr angemessene Reaktionen auf die sich zuspitzende US-Sanktionspolitik diskutieren, stellt sich die Frage, welche Rolle US-Flüssiggas überhaupt im europäischen Erdgasmarkt spielen kann.
Modellrechnungen des DIW Berlin liefern darauf erste Antworten. Darüber hinaus muss die Debatte um die kurzfristige Versorgung mit Erdgasimporten in den langfristigen Zusammenhang der Energiewende eingebettet werden, die mit einem Ausstieg aus fossilem Erdgas in den nächsten Jahrzehnten wird einhergehen müssen. Erdgas ist gerade zur Wärmeerzeugung in den vergangenen Jahrzehnten als Alternative und Konkurrent zu Erdöl und Kohle aufgestiegen. Doch haben fossile Energieträger angesichts der Klimaschutzziele langfristig ausgedient. Trotzdem soll Erdgas laut dem gerade beschlossenen Kohleausstieg in Deutschland weiter gefördert werden1. Deutschland, aber auch andere europäische Länder unterstützen zudem den Ausbau der Gasinfrastruktur, sowohl für Pipelines als auch für Flüssiggasterminals. Grund sind häufig politisch-strategische Erwägungen, die jedoch den klimapolitischen Zielsetzungen entgegenstehen.
Deckung der Gasimporte vor allem über Pipelines aus Russland
Derzeit deckt die Europäische Union ihren Erdgasbedarf, der immerhin rund 400 Milliarden Kubikmeter (bcm) pro Jahr beträgt, zu 85 Prozent aus nicht-einheimischen Quellen2. Rund die Hälfte bezieht die EU aus Russland, ein knappes Drittel aus Norwegen und rund zehn Prozent aus Algerien. Auch für Deutschland, das pro Jahr rund 80 bis 90 bcm verbraucht, sind seit dem starken Rückgang der niederländischen Erdgasförderung Russland und Norwegen mit Abstand die wichtigsten Erdgaslieferanten. Europa bezieht seine Importe überwiegend aus Pipelines (ca. 85 Prozent) und nur zu knapp 15 Prozent als Flüssiggas.
Der latente Konflikt mit der Ukraine hat Russland schon vor der Krim-Besetzung dazu bewogen, trotz ausreichend verfügbarer Pipelinekapazität über Osteuropa im Jahr 2011 die erste Ostsee-Pipeline Nordstream in Betrieb zu nehmen. Mit der Pipeline Nordstream 2 (geplante Kapazität: 55 bcm pro Jahr) sowie der gleichzeitig errichteten TurkStream-Pipeline durch das Schwarze Meer in die Türkei und nach Südosteuropa (geplante Kapazität: 31,5 bcm) wird Russland den Ukraine-Transit komplett vermeiden können.
Doch ist fraglich, ob Europa dieses Erdgas und die Pipelines braucht. Bleibt die Erdgasnachfrage in Europa ungefähr auf aktuellem Niveau stabil, verändern sich in den kommenden zehn bis 15 Jahren die Anteile Russlands und Norwegens an den europäischen und deutschen Importen nur geringfügig. Dies ergeben Berechnungen mit dem Global Gas Model, mit dem regelmäßig Szenarien für die langfristige Entwicklung des europäischen Erdgasmarkts erstellt werden3. Die weiter sinkende einheimische Produktion kann durch vermehrte Importe aus Nordafrika und von Flüssiggas ausgeglichen werden. Eine neue Infrastruktur wie Nordstream 2 oder Turkstream ist also eigentlich überflüssig.
Hinzu kommt, dass das Pariser Klimaschutzabkommen eine stabile Erdgasnachfrage in den kommenden Jahrzehnten in Frage stellt4. Die Klimaschutzziele können nur erreicht werden, wenn ganz Europa klimaneutral wird. Dies bedeutet den Verzicht auf fossile Energieträger wie Erdgas5. Der „Gas Exit“ wird neue Pipelines zusätzlich überflüssig machen6.
Diversifizierung der europäischen Erdgasimporte durch Flüssiggas (LNG)
Neben dem russischen Erdgas drängt zunehmend auch Flüssiggas in den europäischen Markt. Europas Importkapazitäten (Wiederverdampfungsanlagen, Regasification Terminals) entsprechen mit rund 165 bcm pro Jahr etwas mehr als einem Drittel des jährlichen Verbrauchs in der EU (inklusive Großbritannien). Traditionell wird Flüssiggas nach Südeuropa importiert (seit 1968), jüngst auch nach Osteuropa (Polen seit 2016, Litauen seit 2014), das sich von den russischen Importen unabhängiger machen will.
LNG trägt erheblich zur Diversifizierung des Erdgasangebots in Europa bei. Die Anzahl der LNG-Anbieter auf dem europäischen Markt ist doppelt so hoch wie die Anzahl der Pipeline-Anbieter.[7] Europa bezieht LNG insbesondere aus dem Nahen Osten (Qatar), Afrika (Nigeria) und dem amerikanischen Kontinent (aus Trinidad & Tobago, seit Kurzem aus den USA). Auch die großen Pipeline-Anbieter im europäischen Markt liefern kleinere Mengen LNG nach Europa (Algerien seit 1964, Norwegen seit 2007, Russland seit 2016).
Die europäischen Regasifizierungskapazitäten sind viele Jahre nur zu einem Bruchteil ausgelastet gewesen: im Durchschnitt zu weniger als 25 Prozent zwischen 2012 und Anfang 2019.[8] Ursächlich waren dafür zum einen die fehlenden (grenzüberschreitenden) Pipeline-Kapazitäten zum Weitertransport in andere Märkte mit höherer Nachfrage, da der Erdgasverbrauch in den Ländern mit LNG-Anlagen niedriger als erwartet war. Zum anderen liegen die Preise für LNG traditionell über dem Niveau der Preise für Pipeline-Importe, so dass LNG nur dann importiert wurde, wenn kein adäquates Pipeline-Angebot zur Verfügung stand.
Die seit 2015 erfolgenden Flüssiggasexporte aus den USA haben die Situation auf dem globalen und europäischen Erdgasmarkt verändert. Die umfangreiche Förderung von Schiefergas mittels Fracking – und dessen laxe Umweltregulierung – bietet US-LNG-Anbietern die Möglichkeit, Erdgas sehr günstig einzukaufen.
US-LNG-Exporte unterscheiden sich strukturell vom sonstigen Angebot im globalen LNG-Markt, das üblicherweise über Langfristverträge oder innerhalb von Unternehmens-Wertschöpfungsketten erfolgt. US-LNG-Anbieter erwerben das Erdgas auf dem US-Großhandelsmarkt) zum Marktpreis, tragen die Kosten der Verflüssigung und bieten es dann entweder in längeren, aber flexiblen Verträgen (beispielsweise mit niedriger Mindestabnahmemenge) oder sogar „spot“ (im Kurzfristmarkt) für den sofortigen Kauf an denjenigen Käufer an, der den höchsten Preis bietet.
US-LNG-Exporte sind also deutlich flexibler als das traditionelle LNG-Angebot und haben nur in begrenztem Umfang die Sicherheit, bereits einen festen Käufer zu haben, der vom Kauf nicht mehr zurücktreten kann. Damit spiegeln sie den wettbewerblichen Charakter des US-Erdgasmarkts wider und tragen zur Schaffung eines stärkeren Wettbewerbs im globalen Erdgasmarkt bei.
Langfristige Aussichten für US-Flüssiggaslieferungen nach Europa
Europa ist nicht die primäre Zieldestination für US-LNG, nur zwölf Prozent der US-LNG-Lieferungen gingen im Jahr 2018 nach Europa. Dieser Anteil stieg zwar im vergangenen und in diesem Jahr, interessanter sind wegen der meist höheren Preise aber weiterhin Asien und – aufgrund der geringen Entfernung niedrigeren Transportkosten – Südamerika.
Auch in der langen Frist ist aufgrund des starken Nachfragewachstums in Asien zu erwarten, dass die dortigen Preise die europäischen Preise grundsätzlich übersteigen werden, so dass Asien der attraktivere Markt für US-LNG-Lieferungen ist. Dies bestätigen auch die Modellrechnungen9. Sie zeigen, dass Europas Anteil an den LNG-Importen aus den von ca. 30 Prozent im Jahr 2020 langfristig abnehmen wird: auf 20 Prozent im Jahr 2030 und zwölf Prozent beziehungsweise zwei Prozent in den Jahren 2040 und 2050 („Base Case“ in Abbildung 4).
Die Hoffnung der US-Regierung, US-Flüssiggas – das gelegentlich schon als „Freedom Gas“ beworben wurde – könnte zum Ersatz für russisches Erdgas werden, wird sich also nicht erfüllen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen, die vom DIW Berlin mit hypothetischen und drastisch formulierten Szenarien, untersucht wurden, fallen die US-LNG-Exporte nach Europa höher aus. Zum einen wäre das der Fall, falls der LNG-Transport von den USA nach Europa subventioniert werden würde (Szenarien „LNG-Subsidy“)10. Eine Subventionierung von 25 Prozent der Transportkosten könnte zu einer Verdopplung der US-LNG-Exporte nach Europa führen. Bei einer kompletten Subventionierung der Transportkosten könnten sich die US-LNG-Lieferungen gar bis zu verfünffachen.
Zum anderen würden US-LNG-Exporte nach Europa deutlich höher ausfallen, wenn große Mengen Erdgas auf dem europäischen Markt fehlen würden. Wir haben dies beispielhaft für einen hypothetischen Komplettausfall der russischen Lieferungen modelliert (Szenario „RUS-Boycott“). In diesem Fall würde drei bis vier Mal so viel US-LNG wie im Standardszenario dabei helfen, einen großen Teil des Ausfalls zu kompensieren.
Zusammen mit anderen Anbietern, auch diese zumeist von Flüssiggas, würden die USA somit dazu beitragen, die Wirkung des Ausfalls auf höchstens zehn Prozent Konsumrückgang und entsprechend geringe Preiserhöhungen zu reduzieren. US-LNG führt also nicht nur zu einer höheren Diversifizierung des Erdgasangebots in Europa, sondern kann mit seinem flexiblen und preissensitiven Angebot auch als „Ausfallversicherung“ dienen.
Allerdings würden auch im drastischen Ausfallszenario die bestehenden LNG-Importkapazitäten in Europa ausreichen. Die Pläne einiger europäischer Länder, darunter auch Deutschland, zusätzliche LNG-Terminals zu bauen, wären also genauso überflüssig, wie neue Pipelines zu bauen.
Hohe US-LNG-Importe 2019 und 2020 waren eine Ausnahme
Die oben beschriebenen strukturellen Zusammenhänge weisen bereits auf die hohe Flexibilität von Flüssiggas-Lieferungen aus den USA und aus anderen Quellen hin, die sich im vergangenen und laufenden deutlich manifestiert hat. Beides waren und sind aber Ausnahmejahre, die direkt ineinander übergingen: 2019 wegen des drohenden Endes des Ukraine-Transits, 2020 wegen der Corona-Krise, die die Energienachfrage weltweit reduziert hat.
Im Jahr 2019 schürte das drohende Ende des Ukraine-Transits für russische Erdgaslieferungen, das erst im Dezember 2019 mit einem neuen Transitabkommen für die kommenden fünf Jahre gelöst wurde, lange Zeit Befürchtungen von umfangreichen Lieferausfällen ab Januar 2020. Europa hat zum einen mit eigenen Vorsorgemechanismen reagiert, dafür zum anderen aber auch auf den internationalen Markt und insbesondere US-LNG-Importe zurückgegriffen.
Mit der vermehrten Einspeicherung von Erdgas in Untergrundgasspeicher wurde ein möglicher Ausfall in Europa abgesichert. Da es nach der Verabschiedung des neuen Transitvertrags keinen Ausfall russischer Lieferungen gab, wurden die hohen Speichermengen im Markt nicht benötigt und die Speicherfüllstände haben 2020 neue Höchststände erreicht. Selbst am Ende des Winters (April 2020) ist der europäische Durchschnitt an keinem Tag unter 50 Prozent gesunken11.
Die strukturelle Flexibilität der US-Lieferungen spielt auch 2020 eine große Rolle. Die Corona-Krise hat die Nachfrageschwäche in Asien noch verstärkt und US-LNG-Mengen weitgehend aus diesem Markt gedrängt. Auf der Suche nach Abnehmern bietet sich nur Europa an, wo es nicht nur die Möglichkeit der Nutzung von Speichern, sondern auch verhältnismäßig liquide Gashandelsplätze mit einer großen Anzahl von Käufern gibt.
So lange der Erdgaspreis in Europa die Kosten von US-LNG (bestehend aus dem US-Preis plus Verflüssigungskosten plus transatlantischen Transportkosten) gerade noch decken kann, werden die US-LNG-Anbieter nach Europa liefern. Angesichts der aktuellen Talfahrt der Preise in Europa ist es jedoch fraglich, wie lange die LNG-Kosten noch gedeckt werden können. So erreichte beispielsweise der Spotpreis an der niederländischen Gas-Börse TTF im Mai 2020 mit 4,55 Euro pro MWh im Monatsschnitt nur noch ein Sechstel seines Höchststandes im September 2018 (27,74 Euro).
Trotz weiterer Gasnutzung wird keine neue Erdgasinfrastruktur gebraucht
Im Rahmen der Energiewende und der klimapolitischen Bemühungen um Klimaneutralität in Europa bis 2050 wird immer deutlicher, dass Erdgas in der langen Frist aus dem Energiesystem verdrängt wird. Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Erdgaserzeugung weitaus klimaschädlicher ist als vielfach angenommen12. Sowohl in der Stromerzeugung als auch in anderen Anwendungsbereichen bieten sich erneuerbare Alternativen an, deren Kostensenkung erfolgreich angeschoben wurde.
Im Stromsektor kann Erdgas – ebenso wie Kohle und Atomstrom – durch erneuerbare Energien wie Windkraft und Solarenergie in der Grundlast ersetzt werden, wie es in Deutschland bereits teilweise geschieht. Auch für die wichtige Frage nach den „Flexibilitätslösungen“, also was passiert, wenn Wind und Sonne zeitweise nicht verfügbar sind, haben die Energiewirtschaft und die Forschung bereits Antworten gefunden, die den Verzicht auf Erdgas ermöglichen. Neben Batteriespeichern, Nachfragemanagement und der stärkeren Vernetzung von immer mehr Regionen mit erneuerbaren Energien bei unterschiedlichem Wetter wird auch das sogenannte Power-to-X Teil der Maßnahmen sein13.
Mit Power-to-X ist die Umwandlung des Stroms in andere Energieträger gemeint, zum Beispiel in Wärme. Ein vieldiskutierter Ansatz ist die Nutzung von Elektrolyse zur Herstellung von Wasserstoff und eventuell die weitere Verarbeitung zu Methan (Methanisierung), dem Hauptbestandteil von Erdgas. Sowohl Wasserstoff als auch Methan können als gasförmige Energieträger in bisherigen Anwendungen von Erdgas eingesetzt werden, zum Beispiel in der Wärmeerzeugung in Industrie und Haushalten, in der Stromerzeugung zum Spitzenlastausgleich oder als Kraftstoffe. Ebenso kann Biogas – also aus Biomasse hergestelltes Methan – Erdgas in seinen Anwendungen ersetzen.
Der Ausstieg aus fossilem Erdgas muss also nicht mit einer vollständigen Umstellung der Anwendungen auf erneuerbaren Strom einhergehen. Vielmehr wird zunehmend Gas auf Basis erneuerbarer Quellen Teil des Energiemix sein. Dieses Gas kann zu einem Großteil dezentral und verbrauchernah hergestellt werden – insbesondere im Vergleich zu den aktuellen Entfernungen von vielen Tausenden Kilometern zwischen Erdgasförderung und -verbrauch. Dies bedeutet, dass die bestehende großzügig dimensionierte Importinfrastruktur für Erdgas in Form von Pipelines und Flüssiggashäfen im klimaneutralen Energiesystem nicht mehr gebraucht wird. Auch in der Übergangsphase ist die bestehende Infrastruktur ausreichend. Allerdings ist fraglich, ob in Europa ausreichend Wasserstoff-Erzeugungskapazitäten aufgebaut werden können, so dass Importe vermutlich als eine Quelle genutzt werden müssen.
Fazit: Flüssiggas zur Versorgungssicherheit im aktuellen Markt, aber nicht im zukünftig klimaneutralen Europa
Die Nordstream 2-Pipeline wäre zur Sicherung der Erdgasversorgung in Europa nicht notwendig gewesen, da Deutschland und andere europäische Länder auf eine bereits großzügig dimensionierte Importinfrastruktur und eine Vielzahl von Bezugsquellen zugreifen können. Dennoch ist die Nordstream2-Pipeline von der deutschen Bundesregierung unterstützt worden. Ebenso hat die deutsche Bundesregierung den Bau von LNG-Terminals versprochen, über die auch US-amerikanisches Erdgas importiert werden kann.
Aktuell werden in Deutschland und der Europäischen Union Gegensanktionen zu den (verschärften) Sanktionen der USA gegen den Bau von Nordstream2 diskutiert. Auf europäischer Ebene ist es jedoch unwahrscheinlich, die Unterstützung der osteuropäischen Länder für Sanktionen gegen US-LNG zu erhalten. Vor allem Polen und Litauen, aber auch Estland planen die Ausweitung des Imports von US-LNG und den Bau von LNG-Terminals, um russische Erdgaslieferungen (zum Teil) zu ersetzen. Zudem kann US-Flüssiggas als „Versicherung“ im Ausfallszenario anderer Gasanbieter dienen, was ebenfalls vor allem für (osteuropäische) Importeure russischen Erdgases ein wichtiges Argument ist. Zahlreiche Länder in der EU sehen den Bau von Nordstream2 ohnehin kritisch, sodass es schwer sein dürfte, eine ausreichende Mehrheit für Maßnahmen gegen die USA zu gewinnen.
Die Diskussionen um die kurzfristige Versorgungssicherheit mit Erdgas sind jedoch in einen langfristigen Kontext einzubetten. Erdgas wird im Zuge der Erfüllung der Klimaziele und der damit notwendigen Emissionsminderung eine abnehmende Rolle spielen14. Überraschenderweise ist im jüngst beschlossenen Kohleausstiegsgesetz aber eine weitere Förderung von Erdgas vorgesehen. Der abnehmende Erdgasbedarf kann jedoch mit der bereits existierenden Infrastruktur gedeckt werden. In diesem Zusammenhang sollten die Planungen neuer LNG-Terminals gestoppt werden.
Zu prüfen wäre, ob die geplanten Terminals statt für Flüssiggas auch für Wasserstoff geeignet sind. Die Ausrichtung auf reinen Wasserstoff würde in die Nationale Wasserstoffstrategie der deutschen Bundesregierung passen, die den Import von Wasserstoff beinhaltet15. Deutschland und auch Europa wären gut beraten, die Energiewende weg von jeglichen fossilen Energien (inklusive Erdgas) hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien mit allen Kräften zu unterstützen. Jegliche neue Energieinfrastruktur sollte sich an den Zielen der Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ausrichten.
Fußnoten
1 Vgl. Website des Bundestags zu den einzelnen Bestandteilen des Kohleausstiegsgesetzes (online verfügbar).
2 Vgl. BP Statistical Review of World Energy 2019 (online verfügbar); IEA Natural Gas Information 2019 (online verfügbar).
3 Vgl. Anne Neumann et al. (2018): Erdgasversorgung: Weitere Ostsee-Pipeline ist überflüssig. DIW Wochenbericht Nr. 27, 595, Abbildung 5 (online verfügbar).
4 Vgl. Karlo Hainsch et al. (2020): European Green Deal: Mit ambitionierten Klimaschutzzielen und erneuerbaren Energien aus der Wirtschaftskrise. DIW Wochenbericht Nr. 28 (online verfügbar).
5 Treibhausgas-kompensierende Technologien wie CCS haben die versprochenen und notwendigen Entwicklungsschritte der Kostenreduktion bisher nicht erreicht. Die weiterhin geringe Nutzung dieser Technologie bei gleichzeitiger weiterer Verbreitung und Kostensenkung von erneuerbaren Technologien lässt erwarten, dass CCS in der Zukunft keine nennenswerte Rolle zum Erreichen der Treibhausgasneutralität spielt, zumindest nicht im Energiesektor.
6 Vgl. Ruud Egging et al. (2019): The Role of Natural Gas in an Electrifying Europe. SET-Nav Issue Paper (online verfügbar).
7 IEA Natural Gas Information 2019.
8 Siehe auch: Transparency Platform (online verfügbar) sowie die Auswertung durch Food and Water Europe (2019): The Insanity of European LNG Utilization Rates (online verfügbar).
9 Ruud Egging, Franziska Holz und Victoria Czempinski: Freedom Gas to Europe? Scenario Analyses with the Global Gas Model (im Erscheinen). Vgl. auch frühere Analysen: Franziska Holz, Philipp M. Richter und Ruud Egging (2015): A Global Perspective on the Future of Natural Gas: Resources, Trade, and Climate Constraints. Review of Environmental Economics and Policy, Vol. 9 (1), 85–106, sowie Franziska Holz, Philipp M. Richter und Christian von Hirschhausen (2013): Strukturverschiebung in der globalen Erdgaswirtschaft: Nachfrageboom in Asien, Angebotsschock in den USA. DIW Wochenbericht Nr. 31 (online verfügbar).
10 In diesem Szenario wird eine anteilige Reduktion der LNG-Transportkosten zwischen 25 und 100 Prozent der transatlantischen Schiffskosten angenommen.
11 Vgl. Daten von Gas Infrastructure Europe (online verfügbar).
12 Vgl. Robert W. Howarth (2015): Methane Emissions and Climatic Warming Risk from Hydraulic Fracturing and Shale Gas Development: Implications for Policy. Energy and Emission Control Technologies 3, 45–54 (online verfügbar); Robert W. Howarth (2019): Ideas and Perspectives: Is Shale Gas a Major Driver of Recent Increase in Global Atmospheric Methane? Biogeosciences 16 (15), 3033–46 (online verfügbar).
13 Vgl. Florian Ausfelder und Hanna Ewa Dura (2018): Optionen für ein nachhaltiges Energiesystem mit Power-to-X-Technologien. 1. Roadmap des Kopernikus-Projektes „Power-to-X“: Flexible Nutzung erneuerbarer Ressourcen (P2X). (online verfügbar)
14 Siehe Sachverständigenrat für Umweltfragen (2020): Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa. Umweltgutachten 2020.
15 Vgl. auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Ausführungen zur Wasserstoffstrategie.