Die Klima-Schmutz-Lobby hält zusammen
Eigentlich müsste die Kanzlerin im Herbst 2019 mit ihren Ministern Tag und Nacht zusammensitzen, um einen Schlachtplan für den deutschen Klimaschutz zu entwerfen. Doch gerade mal zwölf Stunden nahm sich die Kanzlerin im September 2019, um mit ihren Ministern das Klimapaket zu besprechen – inszeniert als dramatische Nachtsitzung.
Dabei wären jetzt wirksame Gesetze nötig, etwa für weniger Fleisch in Kantinen, kostenlose Nahverkehrskarten, Kerosinbesteuerung oder den Abbau umweltschädlicher Subventionen für Kohlekraftwerke. Der Autoverkehr muss verringert werden, die Wärme erneuerbar und die Landwirtschaft CO2-freundlich gemacht werden. Doch in Wirklichkeit findet nichts davon statt. Obwohl wir seit 30 Jahren über Klimaschutz reden, hängt die deutsche Wirtschaft immer noch am Kohle-, Öl- oder Gas-Tropf. Immer noch funktionieren rund 85 Prozent der deutschen Gesellschaft nur dank fossiler Brennstoffe – lediglich 15 Prozent unserer Energie zum Autofahren, Heizen, Laternenanknipsen und Kochen sind klimafreundlich. So steht es auf den Seiten des Bundeswirtschaftsministeriums. Nur noch auf Platz 23 von 57 Industrie- und Schwellenländern liegt Deutschland laut dem Klimaschutz-Index 2019, weit abgeschlagen hinter Ländern wie Schweden und Marokko. Auch in vielen anderen Ländern Europas sieht es nicht besser aus: Die großen europäischen Klimasünder in der Energiewirtschaft, in Verkehr und Landwirtschaft befeuern seit Jahrzehnten ungebremst den Klimawandel. Und nicht nur in Europa, auch in anderen Teilen der Welt werden die gefährlichen Folgen der Erderwärmung ignoriert. Trotz eines stark erhöhten Risikos für Katastrophen wie Flächenbrände, die in Australien zuletzt den Lebensraum von mindestens 500 Millionen Tieren und Tausenden Menschen bedrohten, hält der australische Premier Scott Morrison an seiner fatalen Klimapolitik fest. Er werde seine Pläne für weitere Kohlekraftwerke nicht ändern, sagte der Konservative.
Wie kann das sein? Wir wollten verstehen, warum sich seit drei Jahrzehnten nichts tut. Wir wollten wissen, warum heute nahezu alle Politiker und Wirtschaftslenker Klimaschutz predigen, aber doch Gesetze verabschieden, die diesen verhindern. Warum sie Millionen Klimabewegten auf der Straße applaudieren und am nächsten Tag Subventionen für Gaspipelines, Kohlekonzerne und Fleischfabriken verlängern. Wir haben uns deshalb auf die Suche gemacht: nach den Klima-Schmutz-Lobbys – also jenen Verbänden, Thinktanks, Unternehmen und Schlüsselfiguren in Politik und Wirtschaft, die wirksamen Klimaschutz ausbremsen und verhindern.
Die Vereinten Nationen definieren Lobbyismus als den Versuch, direkten Einfluss auf Gesetze zu nehmen. Lobbyismus ist weder strafbar noch illegal, sondern Teil unserer Demokratie. Grundsätzlich gilt: Wo sich Interessengruppen formieren, gibt es auch Menschen, die diese Interessen voranbringen wollen. Alle politischen Gruppierungen, Unternehmen und Vereine betreiben Lobbyismus – egal, wo sie im politischen Spektrum verordnet sind. Doch der Unterschied ist: Einige haben viel, andere wenig Einfluss. Viele Akteure der alten fossilen Weltordnung haben enormes Gewicht in unseren Gesellschaften. Sie lobbyieren schon seit Jahrzehnten für ihre Interessen, bauen sich Netzwerke auf und strecken ihre Fühler nach Entscheidungsträgern in der Politik aus. Ihr Lobbyismus gegen Klimaschutz kommt uns alle teuer zu stehen: Der jährliche UNO-Report zu den Gesundheitskosten des Klimawandels muss seine Zahlen in jedem neuen Bericht nach oben korrigieren: Aktuell kosten uns diese Folgen 300 Milliarden Dollar – pro Jahr. Und das sind nur Zahlen für Infektionen und Hitzetote. Wer wirksame Klimagesetze verschleppt, bedroht uns alle. Dieses Buch gibt dieser gefährlichen Klima-Schmutz-Lobby Namen und Gesichter. Es ist naheliegend, dass auch „grüne“ Konzerne und Politiker ihre Interessen durchsetzen wollen – und diese zielen nicht immer nur auf die „Weltrettung“ ab. Korruption und Interessenkonflikte finden sich überall, wo Menschen versuchen, Einfluss zu üben. Dieses Buch widmet sich aber ausschließlich jenen Wirtschaftsnetzwerken, Thinktanks und Zirkeln, die seit Jahrzehnten dazu beitragen, Europas Klimaschutz zu bremsen. Dabei zeigen wir, wie neoliberales Denken, rechtspopulistische Parteien, Klimawandel-Leugner, passive Entscheidungsträger und eingefahrene Strukturen den Stillstand organisieren. Die Schlüsselfiguren der Klima-Schmutz-Lobby müssen endlich benannt, ihre Netzwerke offengelegt und ihre Motivationen kritisch hinterfragt werden.
Bremser, Leugner und Populisten – die Akteure der Klima-Schmutz-Lobby
Wir haben in unserer Recherche verschiedene Gruppen gefunden, die Klimaschutz seit Jahrzehnten verschleppen: Es sind diejenigen, die den menschengemachten Klimawandel grundsätzlich bestreiten, die sogenannten Klimawandel-Leugner. Der harte Kern der Leugner ist eine zahlenmäßig eher kleine Gruppe, sie liefert aber Argumente für andere Klimaschutz-Verhinderer, beispielsweise Rechtspopulisten. Auch die einflussreichere Gruppe der Klimaschutz-Bremser profitiert von der Unsicherheit und dem Zweifel, den Skeptiker und Leugner säen. Die Klimaschutz-Bremser verzögern ehrgeizige Ziele und Klimaschutzgesetze, aber die meisten von ihnen grenzen sich zumindest in Europa stark von den Skeptikern ab, weil eine Anti-Klimaschutz-Rhetorik schlecht fürs Image ist. Zu den Bremsern gehören Politiker und Wirtschaftsvertreter, die mit ganz unterschiedlichen Methoden versuchen, Klimaschutz zu sabotieren. Dabei geht es nie um Fakten. Die Warnungen der Klimawissenschaft sind lange bekannt. Das Ziel dieser Klimaschutz-Bremser ist es, die profitablen Geschäfte mit fossilen Energien so lange wie möglich am Laufen zu halten. Diese Akteure haben bisher auf die Verzögerungstaktik gesetzt und halten sich bewusst mit öffentlichen Polemiken gegen Klimaschutz zurück. Sie sind im System des 20. Jahrhunderts verhaftet, das ihnen mit viel Kohle, Öl und Autos eine Menge Wohlstand brachte. Klimaschutz gefährdet dieses System. Diese Verteidiger des vorigen Jahrhunderts sind die unsichtbaren Klimaschutz-Bremser, und sie sind gefährlicher als die einfachen Verschwörungstheoretiker. Denn sie sitzen seit Jahrzehnten an der Macht.
In diesem Buch fassen wir diese unterschiedlichen Gruppen unter dem Begriff „Klima-Schmutz-Lobby“ zusammen – denn sie eint dasselbe Ziel: Sie wollen effektiven Klimaschutz verhindern, um ihre wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Interessen nicht zu gefährden. Viele Marktgläubige, Kohlelobbyisten und Öl- oder Gasunternehmer haben nämlich handfeste Gründe, den Wandel in den Ländern zu verlangsamen oder gar zu verhindern. Ihnen widerstrebt die Idee einer Ordnungspolitik, die ein effizienter Klima- und Umweltschutz benötigt. Für ein klimafreundliches Wirtschaften braucht es neue Regeln – die Industrie aber will das Spiel dem Markt überlassen und ihre finanzielle Stellung sichern. Paradoxerweise hat genau diese Industrie steuerliche Vergünstigungen oder Subventionen u. a. für fossile Kraftstoffe und für Energieträger wie Braun- und Steinkohle akzeptiert und nur durch diese überlebt. Natürlich haben Unternehmen kein Interesse daran, dass diese Vergünstigungen, Zuschüsse und Steuerausnahmen wegfallen oder sie sogar steuerlich schlechtergestellt werden. Dass die erdrückende Mehrzahl der fossilen Unternehmen den Klimawandel nicht ernst nimmt, zeigt nicht nur ihr jahrzehntelanger Lobbyismus, sondern zeigen auch die Zahlen: Keiner der großen Öl- und Gaskonzerne orientiert sich an den Pariser Klimazielen. Während die Welt auf UN-Gipfeln ihre Fortschritte feiert, gaben Exxon, Shell und andere Firmen im vergangenen Jahr 21 Milliarden Dollar aus, um klimaschädliche Ressourcen zu fördern. Die Geschäfte laufen bestens. Innerhalb von etwas mehr als zwölf Monaten sind laut einer 2019 publizierten Studie von Carbon Tracker Projekte mit einem Wert von 50 Milliarden US-Dollar genehmigt worden. Allein ExxonMobil steckte 2,6 Milliarden in ein neues Projekt zur Förderung von kanadischen Teersanden, die als besonders klimaschädlich gelten. Es ist also auch nicht verwunderlich, dass diese Unternehmen Gesetze zum Klimaschutz zumindest aufhalten wollen. Dafür nutzen sie – je nach Land und Branche – unterschiedliche Wege, um sich Gehör zu verschaffen. Ihre Lobbyarbeit ist also wenig überraschend – zunächst ist es aber erstaunlich, wie erfolgreich sie über Jahrzehnte damit waren, ihre Einzelinteressen als maßgeblich für das Wohl aller Bürgerinnen und Bürger darzustellen. Ein Grund für ihren Erfolg ist die Intransparenz: Lobbyisten müssen nur wenig von ihrer Aktivität offenlegen. Um diese Blackbox aufzuhellen, haben wir drei Jahre lang intensiv recherchiert, auf portugiesischen Klimawandel-Leugner-Konferenzen, in der französischen Nationalversammlung, in polnischen Kohleregionen, in Berliner Ministerien und in Brüsseler Ausschüssen. Wir haben Lobbyregister gefilzt und Informanten getroffen, Trump-Berater in New Orleans interviewt, einen Londoner Lord besucht. Klimawandel-Leugner haben uns aus einem Münchner Hotel rausschmeißen und mit einer Unterlassungsklage einen Bericht verhindern wollen. Vor dem größten Kohlekraftwerk Europas in Polen schützte uns auch der Presseausweis nicht davor, von der Security ins Kreuzverhör genommen zu werden. Führungen und Interviews wurden uns verweigert. Als Journalistinnen sind wir an Menschen gewöhnt, die Recherchen behindern wollen, weil viele von ihnen lieber im Verborgenen agieren wollen. Dennoch waren wir perplex angesichts der Aggressivität und Gereiztheit vieler Protagonisten. Nicht nur von Klimawandel-Leugnern, sondern auch von Wirtschaftsverbänden und einigen Professoren erhielten wir sehr unhöfliche und abfällige Antworten auf unsere Fragen. Manche schickten uns noch mal in den „Biologieunterricht der 10. Klasse“, andere wollen in ihrer „Restlebenszeit“ nichts mehr mit uns zu tun haben. Einige Akteure, die wir mit unseren Recherchen konfrontierten, lehnten es ab, auf sachliche Nachfragen zu antworten, darunter auch ein hochrangiger Abteilungsleiter eines Ministeriums. Das gab uns zu denken: Klimaschutz ist zu einem höchst emotionalen Thema geworden. Dabei geht es um wissenschaftliche Fakten, die von Klimaforschern seit Jahren benannt werden.