Fraunhofer IEE sucht Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft
In Kassel entsteht ein neues Kompetenzzentrum für Kognitive Energiesysteme. Das Forschungsprojekt zur künstlichen Intelligenz im Energiesystem sucht Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft und sieht für den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland gute Voraussetzungen, in diesem Thema eine globale Innovationsführerschaft zu erreichen. Das Land Hessen fördert den Aufbau des vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE getragenen neuen Kompetenzzentrums.
„Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsseltechnologie für die weitere Entwicklung der Energiewende: Die Abkehr von der zentral organisierten und auf fossilen Energieträgern basierenden Kraftwerkswirtschaft hin zu einem Energiesystem, das auf erneuerbaren Quellen beruht, ist ein sehr komplexer Prozess, der sich nur durch intelligente Steuerung beherrschen lässt“, so Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn. „Das Kompetenzzentrum für Kognitive Energiesysteme gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Raum für neue Ideen und Forschungsansätze zu Innovationen in der Energiewirtschaft. Ich freue mich, dass wir den Aufbau unterstützen. Nun kommt es darauf an, die Expertise von Forscherinnen und Forschern mit starken Partnern aus der Wirtschaft zu verbinden.“
Künstliche Intelligenz kommt in der Energiewirtschaft bisher vor allem bei Monitoring- oder Prognoseaufgaben zum Einsatz. Mit steigendem Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien wird aber deutlich, dass Künstliche Intelligenz (KI) künftig auch in großem Maßstab die Prozesse des Energiesystems steuern wird. Diese Einsatzfelder von KI erforscht das neue Kompetenzzentrum Kognitive Energiesysteme in Kassel, dessen Aufbau von der Hessischen Landesregierung in den Jahren 2020 bis 2022 mit insgesamt 5,8 Mio. Euro gefördert wird.
„Stromerzeugung aus Solar- und Windenergieanlagen macht das Versorgungsystem deutlich kleinteiliger und wetterabhängiger als der Betrieb von konventionellen Kraftwerken. Zudem muss sich der Verbrauch stärker nach dem Stromangebot richten. Die dazu nötige Flexibilität lässt sich mit der bisherigen Infrastruktur noch nicht bewältigen. Ein dezentrales System kann nur über digitale Prozesse in Echtzeit und automatisierte Entscheidungen funktionieren“, erläutert Prof. Dr. Clemens Hoffmann, Leiter des Fraunhofer IEE, die Motivation des Forschungsvorhabens. Hoffmann sieht in der Digitalisierung die Basis für die nächsten Schritte der Energiewende: „Die Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse einer dezentralen erneuerbaren Energieversorgung sind äußerst komplex. Erst durch Künstliche Intelligenz wird es möglich, unterschiedliche Systeme wie Strom- und Wärmeversorgung sowie die Mobilität über automatisierte Entscheidungen im großen Maßstab zu verbinden. Mit dem Aufbau eines Ökosystems für Kognitive Energiesysteme bringen wir die Anwendungen von KI im Energiesektor voran.“
Ein dezentrales Energiesystem braucht KI
Konkreten Bedarf für KI gibt es bereits in unterschiedlichen Bereichen der Energiewirtschaft. So geht es im automatischen Energiehandel um Systeme, die selbständig Handelsstrategien identifizieren und Käufe oder Verkäufe auslösen. Photovoltaik- und Windkraftanlagen sowie Ladestationen oder auch Elektrolyseure können mit KI ihren Betrieb optimieren und dadurch Wartungen vermeiden und die Lebensdauer erhöhen. Im Netzbereich wird die Technologie genutzt, eine Vielzahl von Informationen auszuwerten, kritische Situationen zu erkennen und deren Lösung zu unterstützen.
Das Fraunhofer IEE beschäftigt sich bereits seit 15 Jahren mit Künstlicher Intelligenz zur Vorhersage wetterabhängiger Stromerzeugung aus Sonnen-, Wind- und Bioenergie. Auch ein automatisches Handelssystem für die Strombörse EPEX Spot ist in Kassel in der Entwicklung.
Kassel wird zum Forschungsstandort für KI in der Energiewirtschaft
Das Kompetenzzentrum Kognitive Energiesysteme (K-ES) betrachtet die Aufgaben im Energiesystem aus der KI-Perspektive und entwickelt sie in den drei Bereichen Kognitive Energiewirtschaft, Kognitive Energienetze und Kognitive Energiesystemtechnik weiter. „Ein kognitives Energiesystem bestimmt seinen Zustand anhand verfügbarer Information selbstständig und lernt, vorgegebene Ziele zu erreichen. Künstliche Intelligenz steht der menschlichen Intelligenz nicht gegenüber, sondern mit ihr in einem ständigen Austausch und unterstützt sie. Mit der Weiterentwicklung der Technologie werden sich beide Seiten verändern“, erläutert IEE-Projektleiter André Baier.
Dabei kann die Energiewirtschaft auch auf Erkenntnissen anderer Branchen aufbauen. KI verändert bereits nachhaltig die Automobilindustrie, den Einzelhandel, den Versicherungs- und Finanzsektor. Für die Energiewende mit erneuerbaren Energien und Sektorenkopplung sind die wichtigsten Digitalisierungsbereiche intelligente Erzeuger und Verbraucher, virtuelle Kraftwerke, Smart-Grid-Technologien und die Echtzeitenergiewirtschaft.
Konzepte und Anwendungen für die Wirtschaft
Das Konzept für den Aufbau des K-ES wurde vom Fraunhofer IEE entwickelt. Die Initiative geht bereits auf eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag der Hessischen Landesregierung zurück. Nun hat die Aufbauphase begonnen. Dabei geht es primär darum, ein Ökosystem für Innovationen zu schaffen und eine Community von Experten zu bilden. Das neue Kompetenzzentrum wird Teil des gerade in Bau befindlichen Campus des Fraunhofer IEE in Kassel und ergänzt das Forschungsspektrum für die Transformation der Energiesysteme.
Im ersten Schritt werden Räumlichkeiten und die IT-Infrastruktur mit einem Cloudsystem eingerichtet. Im Anschluss entsteht eine digitale Plattform, über die sich Partner aus Wirtschaft und Forschung austauschen können. Der Schwerpunkt der Startphase liegt dabei auf der Rekrutierung von Wissenschaftlern und dem Aufbau von Kompetenzen. „Unser Anliegen ist es, Wissenschaftler zu verbinden, die ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, unabhängig davon, an welchem Ort der Welt die Experten zuhause sind,“ so Baier.
Bis zur geplanten offiziellen Gründung des Kompetenzzentrums steht zudem die Akquise von Partnern und Anwendungsprojekten aus der Wirtschaft im Vordergrund. Denn eine enge Verbindung mit der Energiebranche ist Teil des Konzepts: Zu den Dienstleistungen des K-ES für Energieunternehmen zählen Beratung und Konzeptionsstudien über Prototypen bis hin zu schlüsselfertigen Systemen. „Wir freuen uns über Bewerbungen von Forschern und Unternehmen gleichermaßen, denn so ein Ökosystem lebt von der Vernetzung zwischen Theorie und Praxis,“ betont Hoffmann.
Ziel: Eine Community von internationalem Renommee in Deutschland
In den nächsten zehn Jahren ist geplant, dass sich am K-ES rund 100 Experten mit den Disziplinen Data Science, Advances in Machine Learning, Recommender Systems und Digital Innovation Management beschäftigen. Derzeit sind 15 Mitarbeiter am Fraunhofer IEE in diesen Themenfeldern tätig. Anspruch der neuen Einrichtung ist, eine der führenden Communities für KI in der Energiewirtschaft in Deutschland zu werden.
Um der hohen Internationalität der KI-Forschung Rechnung zu tragen, bietet das Kompetenzzentrum auch Gastwissenschaftlern aus der ganzen Welt die Möglichkeit der Mitwirkung. „Durch die spezielle Trainings-Infrastruktur, eine entsprechende Hard- und Software sowie einen umfassenden Modell- und Datenbestand können wir effizient und standortübergreifend KI-Forschung für das Energiesystem betreiben“, erläutert der wissenschaftliche Leiter des K-ES, Christoph Scholz, die vorhandenen Möglichkeiten.
Weltweit wird intensiv an der Entwicklung von KI gearbeitet. Deutschland hat bisher deutlich weniger für eine entsprechende Forschung ausgegeben als die Wettbewerber USA und China. Im Zuge des Corona-Zukunftspakets der Bundesregierung sollen nun 5 Mrd. Euro bis 2025 in KI investiert werden. „Bei KI im Energiesystem hat Deutschland als Wirtschafts- und Forschungsstandort gute Voraussetzungen, eine globale Innovationsführerschaft zu erreichen. Dazu ist es wichtig, dass alle Stakeholder das Thema gemeinsam voranbringen“, so Hoffmann.