Klage gegen energiewirtschaftliche Notwendigkeit von Garzweiler
Es ist der einzige Tagebau für den die Bundesregierung im inzwischen in Kraft getretenen Kohleausstiegsgesetz eine energiewirtschaftliche Notwendigkeit festschreibt. Für Garzweiler II gilt damit „der vordringliche Bedarf zur Gewährleistung einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung“ in den Grenzen der Leitentscheidung der NRW-Landesregierung von 2016. Demnach dürfte der Tagebaubetreiber RWE bis 2038 ca. 645 Millionen Tonnen Braunkohle aus Garzweiler fördern und dafür fünf weitere Dörfer abreißen. Dagegen wehren sich die Initiative Menschenrecht und Bergrecht sowie weitere Anwohner des Tagebaus nun juristisch und legten Verfassungsbeschwerde ein, wie sie am 09.09.2020 auf einer Pressekonferenz in Berlin verkündeten. Näheres dazu von Manuel Först in energiezukunft.
Eine der Klägerinnen ist Birgit Cichy. Sie lebt in Wanlo. Ein Ort der zwar nicht vom Abriss bedroht ist, der aber nach den Plänen RWEs einmal 100 Meter an den Tagebau heranreichen wird. „Für unsere Gemeinschaft ist heute ein großer Tag, weil wir uns endlich juristisch gegen den Kohleabbau wehren können“, sagte Cichy. Auf sie wirke die Festschreibung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit von Garzweiler II so als habe man im Vorneherein Angst vor juristischen Verfahren gehabt. Nun könnte sich die Bundesregierung trotzdem vor Gericht verantworten.
Garzweiler-Paragraph könnte vor Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben
Vertreten wird die Gemeinschaft von Rechtsanwalt Dirk Teßmer, Spezialist für Bergrecht, der bereits erfolgreich mehrere Verfahren gegen den Kohleabbau in Deutschland führte. „Ich gehe davon aus, dass der Garzweiler-Paragraph vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hat, denn er stellt einen einzelnen Tagebau ohne jegliche Begründung als energiewirtschaftlich notwendig dar“, so Teßmer.
Auch die Wissenschaft stellt die RWE-Pläne für den Tagebau Garzweiler in Frage. Pao-Yu Oei vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht nach seinen Analysen davon aus, dass RWE in Garzweiler und den anderen rheinischen Tagebauen noch 600 bis 700 Millionen Tonnen Braunkohle abbauen müsste, um seinen Bedarf bis 2038 zu decken. „RWE kann sogar bis zu 800 Millionen Tonnen Braunkohle abbauen, ohne weitere Dörfer abzureißen“, sagte Oei bei der Pressekonferenz. Doch RWE rechnet mit weitaus höheren Verbräuchen von etwa 950 Millionen Tonnen bis 2038. Hintergrund sei, so Oei, dass RWE für die kommenden Jahre die Auslastung seiner Kraftwerke mit 80 Prozent beziffere. Doch das sei viel zu hoch gegriffen. „Wir gehen eher von einer Auslastung von 50 bis 60 Prozent aus“, sagte Oei. Bereits jetzt sind einige Kraftwerke lediglich in Sicherheitsbereitschaft. Darüber hinaus wurden in den letzten zwei Jahren Kohlekraftwerke wiederholt abgeschaltet, weil der Betrieb wirtschaftlich keinen Sinn ergab. Auf der ganzen Welt werden Kohlekraftwerke zunehmend unrentabel. Ohne Entschädigungszahlungen der Bundesregierung würde RWE seine Kraftwerke voraussichtlich viel früher schließen als im Kohleausstiegsgesetz festgeschrieben.
Ein weiterer Präzedenzfall steht im Raum
Laut DIW könnten derweil im Tagebau Garzweiler II noch mindestens 338,3 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden, ohne weitere Dörfer zu vernichten. Dies würde den Bewohnern der Orte Zeit geben rechtliche Fragen zu klären. Neben der nun eingereichten Verfassungsbeschwerde versucht die Initiative Menschenrecht vor Bergrecht seit letztem Jahr einen Präzedenzfall zu schaffen. Dafür kauften sie gemeinsam ein Grundstück in unmittelbarer Nähe des Tagebaus, wo RWE ab 2023 Kohle abbauen will. Ein Verkauf des Grundstücks steht laut der Initiative nicht zur Debatte. Vielmehr müsste RWE ein Enteignungsverfahren einleiten.
Das geltende Bundesberggesetz sieht Enteignungen zur Fortführung von Braunkohletagebauen zwar vor, doch diese müssen laut Verfassung im Allgemeinwohlinteresse liegen. Rechtsanwalt Dirk Teßmer, der die Gemeinschaft auch in diesem Fall rechtlich vertritt, sieht diesen Tatbestand nicht mehr gegeben. „Das eigene Wohnhaus und den Heimatort aufgeben zu müssen, ist ein gravierender Eingriff in die Grundrechte der Menschen“, so Teßmer. In Zeiten des Klimawandels und Kohleausstiegs sei dies nicht mehr mit der Verfassung vereinbar. Wohl um ein juristisches Verfahren zu vermeiden, hat RWE bislang kein Enteignungsverfahren eingeleitet.
Statt auf eine Verfassungsbeschwerde im Zuge des Enteignungsverfahren zu warten, gibt das Kohleausstiegsgesetz den Bewohnern der bedrohten Dörfer nun die Möglichkeit juristisch aktiv zu werden und vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Dirk Teßmer hofft im Zuge der Dringlichkeit auf ein schnelles Verfahren, denn die Kohlebagger stehen bereits kurz vor Keyenberg, dem Dorf, das nach den Plänen von RWE als nächstes abgerissen werden soll. mf
->Quelle: energiezukunft.eu/politik/tagebaubetroffene-ziehen-vors-verfassungsgericht