Permafrostboden in Sibirien erodiert seit Jahren immer stärker

Flussufererosion im Lena-Delta trägt zum Treibhauseffekt bei

Die Arktis erwärmt sich stärker als jede andere Region der Erde. Als Folge geht der viele tausend Jahre alte Permafrostboden durch Erosion verloren. Wie Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) am sibirischen Fluss Lena gemessen haben, ist das Ausmaß der Erosion beängstigend: Dort bricht das Ufer jährlich um gut 15 Meter ab. Hinzu kommt, dass der im Permafrost gespeicherte Kohlenstoff den Treibhauseffekt weiter anheizen kann.

Die über viele Jahrtausende tiefgefrorenen Permafrostböden der arktischen Küsten von Kanada, Russland und Alaska werden heute immer stärker durch Wellenschlag und Flussströmungen abgetragen – vor allem, weil die warme Jahreszeit dort immer länger dauert. Wie Wissenschaftler des AWI herausgefunden haben, hat das Abtauen inzwischen enorme Ausmaße erreicht. Anhand einer detaillierten Auswertung von historischen Satellitenbildern aus Sibirien konnten die Experten um Matthias Fuchs zeigen, dass der Permafrostboden im Delta des Flusses Lena seit den 1960er Jahren immer stärker erodiert. Fraß sich der Fluss Mitte der 1960er Jahre auf einer Breite von etwa 1,7 Kilometern noch um durchschnittlich knapp fünf Meter ins Land, so wurde der Permafrostboden zwischen 2015 und 2018 jährlich um fast 16 Meter abgetragen. Insgesamt habe die Klippe – an manchen Stellen mehr, an anderen weniger – von 1965 bis 2018 zwischen 322 und 679 Metern verloren, so die Forscher.

Bei dem Untersuchungsgebiet der Forscher handelt es sich um das gut eineinhalb Kilometer lange Sobo-Sise-Yedoma-Kliff, an dem der Permafrostboden steil in einen Flussarm der Lena abfällt. An seiner höchsten Stelle ragt es 27 Meter auf – so hoch wie ein mehrstöckiges Haus. „Permafrostboden geht seit vielen Jahren rund um die Arktis in großer Menge verloren“, sagt Matthias Fuchs. „Doch das Sobo-Sise-Yedoma-Kliff können wir zweifellos als einen Brennpunkt bezeichnen. Es sind nur wenige Gebiete bekannt, in denen der Landverlust so groß ist.“ Bedenklich sei, dass sich das Abtauen und die Verluste in den letzten Jahren derart verstärkt hätten.

Matthias Fuchs und seine Kollegen haben nicht nur die Satellitendaten ausgewertet, sondern auch genauer untersucht, wie viel Kohlenstoff und Stickstoff durch das Abtragen in jedem Jahr frei werden. Der Permafrostboden am Sobo-Sise-Kliff ist rund 50.000 Jahre alt und hat sich während der letzten Eiszeit gebildet. Er besteht zu 88 Prozent aus Eis. Der Rest setzt sich vor allem aus Torf, Schluff und Sand zusammen.

Vor allem der Torf, der aus halbzersetzten uralten Moosen und Seggen besteht, enthält viel Kohlenstoff und Stickstoff, die in den Pflanzen gespeichert sind. Die AWI-Experten nahmen vor Ort Bodenproben und analysierten dann im Labor, wie viel Kohlenstoff und Stickstoff darin enthalten ist.

„Es ist erstaunlich, dass die Sobo-Sise-Klippe so viel organisches Material enthält, obwohl sie zum großen Teil aus Eis besteht. Wir finden in einem Kubikmeter durchschnittlich rund 26 Kilogramm Kohlenstoff und zwei Kilogramm Stickstoff.“ Das bedeute, dass allein zwischen 2015 und 2018 rund 15.000 Tonnen Kohlenstoff und immerhin etwa 1000 Tonnen Stickstoff in die Lena gestürzt und von ihr fortgetragen worden seien.

„Kohlenstoff und Stickstoff sind wichtige Nährstoffe für Mikroorganismen“, sagt Matthias Fuchs. „Durch die Erosion und das Abtauen des Permafrostes steht beides den Mikroorganismen wieder zur Verfügung.“ Und das könnte verschiedene Folgen haben. Bauten die Mikroben den Kohlenstoff ab, dann setzten sie Kohlendioxid frei – genau wie der Mensch beim Ausatmen. Der Abbau des Permafrostbodens trage auf diesem Wege also zum Treibhauseffekt bei, indem er schon abgelagerten Kohlenstoff wieder mobilisiere. Zum anderen steiget durch den intensiven Eintrag von Kohlenstoff und Stickstoff in die Lena das Nährstoffangebot im Flusswasser. „Das könnte die natürlichen Nahrungsnetze im Fluss deutlich beeinflussen oder gar verändern“, sagt Matthias Fuchs.

Welche Folgen das genau sind, können die Forscher noch nicht sagen. Dazu müssen in künftigen Studien die Nährstoffflüsse und die Biologie in der Lena genauer untersucht werden. Mit ihrer aktuellen Forschungsarbeit und der Bilanzierung der Permafrosterosion, die jetzt im Fachmagazin Frontiers in Earth Science erschienen ist, haben die AWI-Experten aber wichtige Voraussetzungen für weitere Untersuchungen geliefert.

Originalpublikation

Fuchs, M., Nitze, I., Strauss, J., Günther, G., Wetterich, S., Kizyakov, A., Fritz, M., Opel, T., Grigoriev, M.N., Maximov, G.M., and Grosse, G., 2020. Rapid fluvio-thermal erosion of a yedoma permafrost cliff in the Lena River Delta, Front. Earth Sci. 8:336, doi.org/10.3389/feart.2020.00336

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