Vorschläge für Klimaschutz und Wirtschaftskraft können „keinen wirksamen Klimaschutz bringen“ – 12 Gegenvorschläge
Dass der Energieexperte Hans-Josef Fell kritisch mit Altmaiers jüngsten Vorschlägen ins Gericht gehen würde, war zu erwarten. Am 28.09.2020 hat er dann (gemeinsam mit David Wortmann) seine Analyse publiziert: Bis jetzt sei kein einziges Parteiprogramm ambitioniert genug, besonders die aktuelle Regierung werde „ihrer Verantwortung nicht gerecht“. Trotz angeblich weitreichender Klimaschutzmaßnahmen steuere die deutsche Klimapolitik statt auf 1,5 auf 3 – 5° C zu, und „an diesem katastrophalen Temperaturanstieg werden auch Wirtschaftsminister Altmaiers zu kurz gegriffene ’20 Vorschläge für Klimaschutz und Wirtschaftskraft‘ [siehe: solarify.eu/2020/09/11] so gut wie nichts ändern können“. Solarify dokumentiert.
Gastbeiträge geben die Meinungen und Informationen der Autoren, nicht in jedem Fall die von Solarify wieder.
„In der langen Regierungszeit Angela Merkels war Peter Altmaier stets im Zentrum der Macht. Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bundesumweltminister, Chef des Bundeskanzleramts und nun auch Bundeswirtschaftsminister. Er war immer in Schlüsselpositionen und hätte seit 2005 genügend Gelegenheiten gehabt, wirksame Klimaschutzmaßnahmen nicht nur vorzuschlagen, sondern auch umzusetzen – 15 verlorene Jahre für den Klimaschutz, die Peter Altmaier mit zu verantworten hat. Dass es offensichtlich erhebliche Versäumnisse in den letzten Jahren gegeben hat, sieht er nun selber ein. Lieber spät, als nie. Und legt jetzt – ein Jahr vor Ende der aktuellen Legislaturperiode – 20 Vorschläge für einen „historischen Kompromiss“ zwischen „Rettung des Klimas“ und dem „Erhalt unserer Wirtschaftskraft“ vor.
Diese „Charta für Klimaneutralität und Wirtschaftskraft“ (Vorschlag 1) ist so formuliert, als ob es nach wie vor einen Gegensatz zwischen Klimaschutz und Wirtschaft gäbe. Inzwischen wissen jedoch auch die meisten in der Wirtschaft, dass „Ökologie“ eigentlich „Langfrist-Ökonomie“ ist. Ohne wirksamen Klima- und Umweltschutz wird es langfristig auch keinen Wohlstand für die Menschen geben und auch keine funktionierende Wirtschaft. Klimaschutz ist sogar schon kurzfristig eine Chance für die Wirtschaft – z.B. für Investitionen in saubere Technologien oder als positiver Standortfaktor, da die Energiekosten durch Erneuerbare Energien weiter gesenkt werden können. Mittel- und langfristige Wirtschaftskraft ist nur mit Klimaschutz machbar.
Altmaiers Vorschläge lassen sich grob in folgende Kategorien einteilen:
- Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen,
- Überprüfung der Reduktionsziele,
- Finanzierung und Marktmechanismen für Treibhausgasreduktionen und
- Kommunikation und Bildung/Forschung.
Hier unsere Analyse dazu.
1. Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen
- Altmaiers zentrales Anliegen ist die „Klimaneutralität“ Deutschlands bis 2050. Das klingt erst einmal gut. Aber das bloße Ziel Klimaneutralität ist untauglich, da es weiterhin fossile Klimagasemissionen (Vorschlag 2) zulässt und jährliche Ausstoßmengen weiter legitimiert, die durch Kohlenstoffsenken lediglich bilanziell kompensiert werden sollen – auch nach 2050. Die Atmosphäre ist aber bereits heute mit einem Anteil von 413 ppm Kohlendioxid überlastet. Schon diese hohe Konzentration birgt wegen des Eintretens der unkalkulierbaren Kipppunkte selbst bei einem sofortigen Stopp aller weltweiten Treibhausgasemissionen die Gefahr eines Umkippens der Erdatmosphäre mit irreversiblen Folgen.
Die Menschheit hat es seit dem Pariser Klimaschutzabkommen 2015 noch nicht geschafft, die weltweiten jährlichen Emissionen schnell zu senken. Im Gegenteil, 2019 war wieder ein Rekordjahr, und nach aktuellen Analysen von NASA und World Meterological Organization (WMO) ist es zunehmend wahrscheinlicher, dass der Planet Erde das für 2050 angestrebte Nichtüberschreiten von 1,5° C schon um 2030 überschreitet. Bei der Vorstellung des jüngst veröffentlichten Sonderberichts „United in Science“ erstellt durch einen Großteil der wichtigsten klimawissenschaftlichen Organisationen – u.a. WMO, NASA, UN-Umweltprogramm (UNEP) und Weltklimarat (IPCC) – verdeutlichte UN-Generalsekretär Guterres diese Warnung erneut. - Auch Deutschland ist in Paris die völkerrechtliche Verpflichtung eingegangen, 1,5°C Erderwärmung möglichst nicht zu überschreiten. Mit dem von Altmaier angestrebten Ziel der Klimaneutralität bis 2050 steuern wir aber nach aktuellem Stand eher auf eine Überhitzung der Erde auf 3° C zu. Dies hätte katastrophale Folgen für die Menschheit. Eine menschliche Zivilisation, wie wir sie heute kennen, wäre dann nicht mehr möglich. Wer das nicht glaubt, möge nach Kalifornien schauen, wo die kalifornische Gesellschaft bei der heutigen Erdüberhitzung von nur 1,2° C gerade mit unbeherrschbaren Waldbränden zu kämpfen hat.
- Statt Klimaneutralität bis 2050 braucht es also eine Nullemissionswirtschaft spätestens ab 2030, weil ansonsten die Weltgemeinschaft schnell auf dem Pfad zu einer 3°- oder gar 4° C-Welt sein wird, bedingt durch eine stetig steigende Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre und der damit verbundenen sich steigernden jährlichen Temperaturerhöhung
- Eine „Garantie auf Klimaschutz“ kann es laut Altmaier nur gegeben, wenn diese mit einer „Garantie zum Erhalt der Wirtschaftskraft“ einhergeht, indem „Belastungen“ für die Wirtschaft ausgeglichen werden müssen (Vorschlag 3). Wieder dieser Gegensatz zwischen Klimaschutz und Wirtschaftskraft. Nach dieser Logik müssten die Belastungen und nötigen Kompensationen bei maximal notwendigem Klimaschutz für die Wirtschaft prohibitiv hoch sein. In Wahrheit brauchen wir doch eine „andere“ Wirtschaft, die auf saubere Technologien und Produktionsweisen setzt und vom Klimaschutz profitiert. „Belastungen“ für die Wirtschaft entstehen dann erst gar nicht und müssen demzufolge nicht ausgeglichen werden.
- Geradezu vorbildlich klingt es dann, wenn Altmaier vorschlägt, dass die öffentlichen Einrichtungen das Ziel der Klimaneutralität bereits 2035 erreichen sollen (Vorschlag 5). Es ist aber bereits gesetzlich (im Klimaschutzgesetz 2019) verankert, dass die Bundesverwaltung klimaneutral werden soll (§15). Und zwar bis zum Jahr 2030.
2. Überprüfung der Reduktionsziele
- Treibhausgasreduktionsziele sind nur so gut, wie sie tatsächlich auch regelmäßig überprüft werden können. Altmaier schlägt dazu vor, dass sich Einrichtungen, Unternehmen, Organisationen etc. hinsichtlich ihres bereits erlangten Grades an Klimaneutralität über ein marktwirtschaftliches System zertifizieren lassen (Vorschlag 7) und dies öffentlich über ein „Scoreboard“ zur Schau stellen können (Vorschlag 6). Das sind gute Vorschläge – vorausgesetzt die Zertifizierung ist nicht auf freiwilliger Basis, sondern verpflichtend und erfasst tatsächlich alle Treibhausgasemissionen, einschließlich des gesamten Lebenszyklus eines Produktes inklusive aller vor- und nachgeschalteten Lieferketten. Heute gibt es schon privatwirtschaftliche Anbieter wie Planetly, die dazu Angebote aufbauen.
- Unklar hingegen sind die Vorschläge, eine bundesweite Stiftung „Klima & Wirtschaft“ (Vorschlag 16) und einen „Klima- und Wirtschaftsrat“ (Vorschlag 19) beim Bundeswirtschaftsministerium einzurichten. Diese sollen sicherstellen, dass die „hohe Priorität der vorgesehenen Maßnahmen“ nicht gefährdet wird bzw. bei der Erarbeitung weiterer Vorschläge beratend zur Seite stehen. Wären dies nicht die ureigenen Aufgaben der zuständigen Ministerien und Minister? Und gibt es nicht bereits eine ganze Reihe nachgelagerter Behörden wie das Bundesumweltamt (UBA), die deutsche Energie-Agentur (dena) oder bundeseigene Stiftungen wie die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), denen solch unterstützende Aufgaben übertragen werden könnten? Auch der Sachverständigenrat für Umweltschutz (SRU) oder der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltänderungen (WGBU) machen seit Jahren gute Vorschläge für Klima- und Umweltschutz, die bisher von der Bundesregierung weitgehend unberücksichtigt blieben.
3. Finanzierung und Marktmechanismen für Treibhausgasreduktionen
- Ein Vorschlag in die richtige Richtung ist, einen Prozentsatz des Bruttoinlandproduktes (BIP) festzulegen zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen und Wirtschaftsförderung (Vorschlag 4). Dieser Prozentsatz sollte allerdings wirkungsvoll und auf Jahre festgeschrieben sein, damit er nicht jedes Jahr oder durch neue Regierungen immer wieder neu verhandelt werden muss oder kann, um langfristig Unsicherheiten zu vermeiden. Budgets für die Wirtschaftsförderung sollten allein zur Entwicklung von Standorten, Technologien und Geschäftsmodellen eingesetzt werden, die tatsächlich zum Klimaschutz beitragen und keinen Ausgleich für Unternehmen darstellen, die auf Aktivitäten setzen, in deren Folge noch Treibhausgase emittiert werden. Denkbar ist es, aus solch einem Budgettopf Grenzausgleichmechanismen (Vorschlag 14) für Produkte zu finanzieren, deren Kostennachteile gegenüber importierten Produkten aus einem vermiedenen Treibhausgasemissions-Fußabdruck resultieren. Gleichzeitig kann man mit diesem Geld die EEG-Umlage weiter absenken (Vorschlag 13). Ein richtig tolles Ziel wäre allerdings, wenn sich das BIP in Zukunft nur aus Wirtschaftsleistungen zusammensetzt, die klimaschutzfördernd oder zumindest nicht nachteilig auf Klima- und Umweltschutz auswirken.
- Für einen wirksamen Klimaschutz hingegen nicht ausreichend sind die unterschiedlichen Marktinstrumente, um Treibhausgasen einen Preis zu geben: „Carbon Contract for Differences“ (Vorschlag 8), Reformierung des europäischen Emissionshandels und nationale CO2-Bepreisungen (Vorschlag 10), Carbon-Auktionen (Vorschlag 11). Diese Instrumente zielen allein auf eine Reduktion und nicht auf die komplette Vermeidung von Treibhausgasen ab – und das, wie die Vergangenheit zeigt, weitest gehend wirkungslos. Denn die Bepreisungen sind selten hoch genug und werden zu oft nicht auf die gesamte Wertschöpfungskette sowie alle relevanten Treibhausgase angewandt. Entscheidend ist jedoch, dass von vorneherein auf Treibhausgasemissionen verzichtet wird, so wie beim konsequenten Einsatz Erneuerbarer Energien.
- Auffällig ist, dass genau zum notwendigen Ausbau der Erneuerbaren Energien am wenigsten in Altmaiers Papier zu finden ist: hier wird ein „Matching Mechanism“ (Vorschlag 9) vorgeschlagen zwischen Angebot und Nachfrage Erneuerbarer Energien, dessen Sinnhaftigkeit nicht deutlich wird, da gerade hier der Markt und nicht der Staat entscheiden sollte, wie viele und welche Erneuerbare Energien wo benötigt werden. Ferner möchte Altmaier das EEG zu einem europäischen Instrument ausbauen (Vorschlag 12), obwohl ihm eigentlich klar sein sollte, dass ein europäisches EEG aufgrund der komplexen Gemengelage kaum umsetzbar ist und dabei wertvolle Zeit für nationales Handeln verloren gehen würde.
- Dabei ist der schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energien der Kern des Klimaschutzes. Denn die Erneuerbaren müssen nicht nur Kohle- und Erdgaskraftwerke ersetzen, sondern auch Benzin und Diesel in der Mobilität, Erdöl und Erdgas in den Heizungen und in der Industrieproduktion. Es ist verwunderlich, dass Peter Altmaier so gut wie keine Vorschläge zum schnellen Ausbau vorgelegt hat, es wäre Voraussetzung für eine vollständige Energieversorgung aus Erneuerbaren Energien und eine wirkungsvolle Klimaschutzstrategie bis 2030.
4. Kommunikation und Bildung/Forschung
- Absatzfördernd könnte sicherlich auch ein neues Produktlabel „Clean Products Made in Germany“ (Vorschlag 15) sein, was allerdings glaubhaft zertifiziert sein muss (Vorschlag 7).
- Fraglich sind jedoch die Vorschläge, ein „Haus der Energiewende“ (Vorschlag 17) und eine internationale Agentur „Climate Global“ (Vorschlag 18) zu schaffen, die jeweils Best-Practice-Beispiele der Energiewende und für Klimaschutzmaßnahmen kommunizieren sollen. Wir haben bereits existierende Organisationen auf nationaler (z.B. Deutsche Energie-Agentur) oder internationaler Ebene (International Renewable Energy Agency – IRENA), die genau das zur Aufgabe haben und einfach mit mehr Budget ausgestattet werden könnten. Neue Institutionen müssen meist erst aufwändig mit viel Zeit aufgebaut werden und enden oftmals als noch eine ungehörte Stimme unter vielen im Flickenteppich der internationalen Organisationen. Wir brauchen nicht mehr Einrichtungen, um zu kommunizieren, dass Klimaschutz notwendig ist, sondern mehr Marktöffnung für Klimaschutztechnologien.
- Natürlich ist es eine nette Idee, eine internationale „Klima-Universität“ (Vorschlag 20) zu schaffen. Aber warum eine einzelne Uni mit begrenzter Wirkung, wenn es eigentlich Aufgabe von allen existierenden Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen sein sollte, Angebote im Bereich Klimaschutz in allen möglichen Fachrichtungen für deutsche und internationale Studierende und Wissenschaftler zu schaffen. Das Geld für die flächendeckende Ausstattung entsprechender Einrichtungen sollte aus dem BIP-Budget entnommen werden.
Altmaiers Vorschläge sind alle sicherlich gut gemeint, kommen aber sehr spät und er wird selbst in den eigenen politischen Reihen die größte Überzeugungsarbeit leisten müssen. Eines ist aber sicher: Sie greifen viel zu kurz. Sie sind vor allem darauf ausgerichtet, über drei Jahrzehnte Stück für Stück, Jahr um Jahr, Treibhausgase geringfügig zu reduzieren. Das Ende aller Treibhausgasemissionen und die gleichzeitige Schaffung großflächiger, natürlicher Kohlenstoffsenken muss aber möglichst bis 2030 gelingen.
Der mit Abstand größte Teil aller Klimagasemissionen – 60% – kommt aus dem Verbrauch fossiler Rohstoffe, also Erdöl, Erdgas und Kohle; 55% sind auf deren energetische Verfeuerung zurückzuführen und die übrigen fünf Prozent auf die nichtenergetische Nutzung, z.B. für Kunststoffproduktion. Erdgas hat in der Vorkette hohe Methanemissionen, weshalb Erdgas ähnlich klimaschädlich wie Kohle und Erdöl ist1. Die anderen großen Emissionsposten nach den fossilen Energien sind der ganze Komplex Land- und Forstwirtschaft mit 21%, Landnutzungsänderung mit 5%, sowie Klärschlamm und Müll mit 8%2. Das Ziel einer „Nullemissionswirtschaft“ muss also vor allem
- in unserem Energiesystem, inklusive dem Verkehrs- und Gebäudesektor,
- in der industriell und stofflichen Wirtschaft und
- in der Landwirtschaft erreicht werden.
Die Atomenergie ist dabei wegen der hohen Kosten, der zu langsamen Skalierbarkeit, der geringen Flexibilität, den hohen Gefahren, der massiven Proliferation und den Radioaktivitätsemissionen (Atommüll) keine Klimaschutzoption.
Dies bedeutet, 100% Erneuerbare Energien ist die alles entscheidende, dominante Klimaschutzmaßnahme, ohne die alle anderen – ohne Zweifel wichtigen Maßnahmen – letztendlich ohne ausreichende Wirkung sind. In einem 100% Erneuerbaren Energiesystem wird 90% der gesamten zukünftigen Energieversorgung (Strom, Wärme, Kühlung, Transport, Industrie) elektrisch sein3.
In der Industrie und stofflichen Wirtschaft müssen über Forschung und Entwicklung sowie Markteinführungsunterstützung neue emissionsfreie und Kohlenstoff senkende Techniken entwickelt und produziert werden, so z.B. in der Kunststoffchemie, die auf selbst verrottende Biokunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe bis 2030 umgebaut werden muss. Die Stahlherstellung kann auf Nullemissionen mit grünem Wasserstoff oder Biokohle umgestellt werden. Die Bauindustrie sollte auf Textilbeton und Holzbauten setzen. Die Materialwirtschaft sollte eine Kreislaufwirtschaft mit Nullemissionen und Abfallfreiheit werden. Im Zentrum dazu steht das Ende der Müll- und Klärschlammverbrennung und die Umwandlung aller organischen Reststoffe (Biotonne, Klärschlamm, organische industrielle Reststoffe, Abfallprodukte der Lebensmittelindustrie) in Wertstoffe. Dabei kann die Entwicklung der Biokohle eine zentrale Rolle spielen.
Abseits der Sektoren Energie und Industrie geht es vor allem um die Umstellung der Landwirtschaft auf 100% Biolandwirtschaft und 100% artgerechte Tierhaltung. Beide Maßnahmen überführen die Landwirtschaft von einem heute stark Treibhausgase emittierenden Sektor in einen kohlenstoffsenkenden Sektor. Die Forstwirtschaft muss z.B. mit einem starken Aufforstungsprogramm seine kohlenstoffsenkende Wirkung erheblich verstärken, genauso wie der Naturschutz, z.B. Moorschutz. Im Zentrum muss eine Landwirtschaft stehen, die auf allen Acker- und Weideflächen einen starken Humusaufbau bewirkt.
Hier sind unsere 12 wichtigsten Gegenvorschläge, die nicht den Anspruch auf Vollständigkeit haben, aber von der aktuellen und kommenden Regierung bis spätestens 2022 umgesetzt sein sollten, damit das Ziel einer Nullemissions- und kohlenstoffsenkenden Wirtschaft bis 2030 eine Chance hat:
- Klimaschutz in die Verfassung aufnehmen
Bisher haben Gerichte keine Grundlage, um Gesetze und Handlungen zurückzuweisen, die sich gegen den Klimaschutz richten. Andere Staatsziele haben bisher Vorrang vor dem Klimaschutz. - Klimaschutzgesetz
Ein neues Klimaschutzgesetz muss den Rahmen bilden, der alle Maßnahmen und Ziele, die zum Erreichen der „Nullemission“ und natürlichen Kohlenstoffsenken notwendig sind, gesetzlich umfasst und rechtliche Verbindlichkeit schafft. - Öffentliche Investitionen nur dort, wo private Investitionen in Erneuerbare Energien und andere Nullemissionstechnologien anfänglich nicht mobilisierbar sind
Das öffentliche Kapital wird niemals ausreichen, um alle notwendigen Investitionen in eine Nullemissionswirtschaft zu tätigen; es sollte vor allem als Hebel eingesetzt werden im Bereich Forschung & Entwicklung, für gezielte Förderprogramme, im öffentlichen Beschaffungswesen und zusätzlich für den Aufbau nachhaltiger Infrastruktur und im Bildungswesen sowie für allgemeine Aufklärungsarbeit zum Klimaschutz. - Aktivierung von privatem Kapital durch Abschaffung der Mengenbegrenzungen für Erneuerbare Energien & Festlegung von Mindestvergütungen für Erneuerbarer Energien
In Deutschland und anderen Ländern wurde in den letzten Jahren ein weitgehender Wechsel von einem dynamischen Marktausbau der Erneuerbaren Energien zu einem staatlich gedeckelten Ausbau durch Ausschreibung begrenzter Mengen vollzogen. Dieser Wechsel ist die Hauptursache für den dramatischen Einbruch der jährlichen Investitionen in die Solarenergie, die Bioenergien und schließlich bei der Windkraft. Zu diesem Thema entsteht derzeit eine umfangreiche Analyse im Auftrag der Energy Watch Group, um zu zeigen, dass Ausschreibungsprozesse das Wachstum von Erneuerbaren Energien behindern und letztendlich höhere Preise für den Endverbraucher zur Folge haben. Darüber hinaus aktivieren Ausschreibungsprozesse Investitionen vor allem von großen, aber wenigen Unternehmen und geben wenig Anreize für Investitionen von kleineren, aber immens vielen Akteuren wie bspw. Energiegenossenschaften, kleinen und mittelständischen Unternehmen oder Privatinvestoren. Deswegen sollten Ausschreibungsprozesse nur für Kapazitäten über einigen zig MW gelten, während für z.B. Genossenschaften und Privatpersonen eine Vergütung über feste Einspeisestarife oder gleitende Marktprämien für alle Projekte mit einer installierten Leistung unter mehreren zig MW zur Verfügung stehen muss. Kernelemente für ein novelliertes und wieder entbürokratisiertes Erneuerbare-Energien-Gesetz sollten sein:
• Privilegierter Netzzugang für Erneuerbare Energiequellen
• Der Einspeisetarif muss mit Rücksicht auf Größe und Technologie für den wirtschaftlichen Betrieb geeignet sein und so ausgelegt sein, dass Banken auch für Kleinanlagen und Privatinvestoren die entsprechende Kreditfinanzierung zur Verfügung stellen.
• Finanzierung der Einspeisevergütung über den Strompreis, nicht über Steuergelder
• Keine Obergrenze für das Einspeisen Erneuerbarer Energien
• Absenkung der Einspeisetarife entsprechend der erreichten Kostensenkungen der Erneuerbaren Technologien
• Garantierte Vergütungsdauer mit Blick auf ausreichende Banken-Finanzierung
Seit den EEG-Novellen 2010 sind viele Hemmnisse für den Ausbau der Erneuerbaren Energien aufgenommen werden, die nun wieder bis 2022 abgeschafft werden müssen, insbesondere alle Ausbaudeckel und – entsprechend der EU-Richtlinie – alle finanziellen und administrativen Belastungen für Bürgerenergien. Ebenso muss bereits bis Ende 2020 eine gesetzliche Anschlussregelung verabschiedet werden, die den Betrieb aller EEG-Anlagen sichert, deren Einspeisevergütung nach 20 Jahren Betriebsdauer wegfällt. Hierfür ist eine Arbeitsgruppe unverzichtbar, die unnötige Bürokratie im EEG und EnWG identifiziert und Vorschläge zu deren Abbau erarbeitet. - Netzintegration und Sektorenkopplung durch Kombikraftwerksvergütung:
Lange bevor 100% Erneuerbare Energien erreicht sind, müssen und können Erneuerbare Energien Verantwortung für die Systemsicherheit des Stromnetzes übernehmen. Eine Kombikraftwerks-Vergütung, die ausschließlich für netzdienliche Investitionen gewährt wird, sollte mit einem neuen Gesetz für Sektorenkopplung und Innovation der Erneuerbare Energien (SIG-EE) eingeführt werden. Diese Vergütung kann mit einem einheitlichen Vergütungssatz von 8 Cent/kWh für alle Netzeinspeisungen gewährt werden, die aus einem Mix aus Erneuerbaren Energien eine viertelstundengenaue ganzjährige Bedarfsdeckung des Lastprofiles abdecken. Dies ist nur möglich mit entsprechenden Investitionen in Strom- und Wärmespeicher, sowie in die Sektorenkopplung. Damit werden die Digitalisierung des Energiesektors und Speicher-Investitionen genauso befördert, wie die Integration der Erneuerbaren Energien in den Verkehrssektor (E-Mobile, Wasserstoff), wie auch im Gebäude- und Produktionssektor. Die EWG hat bereits im April dieses Jahres Eckpunkte für ein entsprechendes Sektorenkopplungs- und Innovationsgesetz für Erneuerbare Energien (SIG-EE) vorgelegt4. - EEG-ähnliche Gesetze für Wärme, Kälte und grünes Gas
Feste Einspeisevergütungen sollten auch gewährt werden für die Einspeisung von erneuerbarer Wärme und Kühlung in vorhandene Wärme- und Kältenetze sowie für grünes Gas in Erdgasnetze. - Beendigung der staatlichen Subventionen und anderer Unterstützungen für Treibhausgasemissionen und Radioaktivität
Die Beschleunigung des Klimaschutzes verlangt die Abschaffung aller finanziellen sowie administrativen Unterstützung atomarer, fossiler Energie- und Chemieanwendungen und intensiver Landwirtschaftsmethoden von staatlicher Seite sowie das das Einstellen staatlicher Förderung für Forschungsprojekte in diesen Bereichen. Neue Untersuchungen zeigen auf, dass die jährlichen Subventionen für fossile Brennstoffe aus dem Bundeshaushalt mindestens 37 Milliarden Euro betragen, allein auf den Energiebereich entfallen laut einer Studie der Friedrich Ebert Stiftung mehr als 17 Milliarden Euro. Eine gigantische Summe, die angesichts der immensen Aufgaben im Klimaschutz und auch aus Gründen der hohen neuen Staatsverschuldung infolge der Coronakrise nicht zu verantworten ist. Die Abschaffung aller noch bestehenden ökologisch schädlichen Subventionen ist über alle Sektoren hinweg erforderlich, vom Energiesektor (Subventionen für Kohlekraft, Erdgaskraftwerke, Pipelines und Heizungen, fossile Verbrennungsmotoren, Steuerbefreiung Flugkerosin, Firmenwagen-Privileg, landwirtschaftliche Subventionen, wie Agrardieselbefreiung u.a.), über Sektoren Chemie, Landwirtschaft, Bau und Verkehr bis zur Industrie. Die Abschaffung aller klimaschädlichen Subventionen ist noch wirksamer als eine CO2-Steuer, da sie direkt den klimaschädlichen emittierenden Geschäftsmodellen die staatliche Finanzierung entzieht, ohne die sie meist nicht wirtschaftlich rentabel arbeiten können. Zudem wird der Staatshaushalt erheblich entlastet und die frei gewordenen Mittel können in Klimaschutzmaßnahmen und die Stärkung einer Klimaschutzwirtschaft gesteckt werden. - Steuererleichterungen für Investitionen in Erneuerbare Energien und Materialien
Während Steuerbefreiungen für fossil-atomare Energie und Wertstoffe wegfallen müssen, sollten Steuererleichterungen für Erneuerbare Energieträger und Wertstoffe eingeführt werden, z.B.: Steuererleichterungen für Ökostrom von der Stromsteuer, Befreiungen von der Mineralölsteuer für nachhaltig angebaute reine Biokraftstoffe, synthetische Kraftstoffe, selbstverrottende Biokunststoffe sowie für Biolebensmittel. Auch ein erleichterter MwSt.-Satz kann den Absatz von Nullemissionstechniken ankurbeln, so z.B. ökostrombetriebene E-Autos, Biolebensmittel, Fleisch aus artgerechter Tierhaltung. Investitionsfördernd wirken auch steuerliche Abschreibungen, wie zum Beispiel für ökologisch-energetische Haussanierungen zum Nullemissionshaus. - Schadstoffbelastungssteuer /Umweltsteuer (CO2, Methan, Luftschadstoffe und Radioaktivität) statt Emissionshandel
Das Emissionshandel-System hat sich bislang nicht als wirksames wirtschaftliches Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels erwiesen. Handelszertifikate werden zu umfangreich ausgegeben, vorgeschaltete Wertschöpfungsketten werden nicht ausreichend erfasst, Preise sind zu gering und geben nicht die notwendigen Verknappungssignale. Viel wirksamer sind stetig steigende Schadstoffbelastungssteuern, die Unternehmen, öffentliche Hand und Privatleute für die Nutzung klima- und umweltschädlicher fossil-atomarer Energie belasten, um einen Beitrag zur Bezahlung der durch sie verursachten externen Schadenskosten zu schaffen. Eine solche Steuer – die nicht nur CO2, sondern alle Treibhausgase wie z.B. Methan aus Erdgas erfasst, kann nur dann Erneuerbare Energie und Materialien fördern, wenn die Preise für fossile Energie/Kernenergie und fossile Materialien zuzüglich der Steuer den Durchschnittspreis im Vergleich zu den Preisen für Erneuerbare Energie übersteigen. Eine Umweltsteuer sollte daher so angepasst werden, dass sie aufgrund schwankender Energiepreise ihre Anreizwirkung nicht verliert. - Förderung von Forschung und Bildung, öffentliche Aufklärungskampagnen im Bereich Erneuerbare Energien und Nullemissionstechnologien
Staatliche Förderung von Forschung und Wissenschaft bezüglich Erneuerbaren Energien und sauberen Technologien ist von entscheidender Bedeutung. Die Staatshaushalte für Forschung und Bildung für den Klimaschutzbereich müssen signifikant erhöht werden, Forschungsförderung für klimaschädliche Techniken und Wirtschaftsweisen sollten nicht nur beendet, sondern umgeleitet werden in nachhaltige Forschungsprojekte. Die finanzielle Unterstützung für die Entwicklung und den Einsatz von Klimaschutztechnologien sollten die technische Entwicklung, die Analyse der wirtschaftlichen Möglichkeiten, die Auswirkungen Erneuerbarer Technologien, soziale und kulturelle Konsequenzen sowie deren Auswirkungen auf Gender und Akzeptanz umfassen. Bildung und berufliche Weiterbildung in allen Bildungsebenen (Kindergarten, Schulen, Universitäten, Fortbildung) muss nachhaltig ausgebaut werden. Dies gilt es nicht nur hinsichtlich des technischen Bereichs umzusetzen, sondern auch für ökonomische Herausforderungen und begleitende Rahmenprogramme. Auf die Aufklärung der Bevölkerung über die verheerenden Gefahren des Klimawandels sowie die Rolle der Erneuerbaren Energien muss Hauptaugenmerk gelegt werden. Eine Regierungskampagne, ähnlich wie sie z.B. zur Aidsbekämpfung erfolgreich war, sollte auch für den Klimaschutz aufgelegt werden: Inhalte sollten eine Aufklärung über die Folgen des Klimawandels und Motivationen für klimafreundliches Verhalten sein. - Erleichterung der Genehmigungen
Behörden und Gesetzgeber müssen Genehmigungen für Bauvorhaben und Investitionen im Erneuerbaren-Energiebereich unterstützen. Das bedeutet auch, für die nötige Infrastruktur, bspw. Speicher- und Einspeisemöglichkeiten, Ladestationen, Bahn- und Radverkehr zu sorgen. Die massiven Genehmigungshürden und Klageverfahren gegen Windkraft, Solarfreiflächen, Dachflächen im Denkmalschutzbereich und Wasserkraft sind abzubauen. Die gesetzlichen Regelungen müssen die Einwohner vor gesundheitsschädlichen Gefahren (Lärm, Luftschadstoffe, Pestizide u.a.) schützen und gleichzeitig ökologischen und sozialen Standards entsprechen. Abfallentsorgung, Emissionsminderung, technische Normen und lokaler Umweltschutz sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Der Schutz der Landschaft, der örtlichen Fisch- und Vogelbestände kann und muss durch technische Lösungen erreicht werden und darf Investitionen in Erneuerbare Energien nicht behindern. - Neue natürliche Kohlenstoffsenken erschließen
Kohlenstoffsenken müssen immer stärker in die Wirtschaftskreisläufe integriert werden. Beispiele sind Bauen mit Holz oder Textilbeton. Umwandlung aller organischen Abfälle in Wertstoffe, z.B. Biokohle aus Klärschlamm und Biotonne (Stopp von Klärschlamm- und Müllverbrennung). Diese Biokohle sollte landwirtschaftlich genutzt werden, um großflächig Kohlenstoffsenken zu ermöglichen unter gleichzeitiger Fruchtbarkeitserhöhung der Böden, was höhere landwirtschaftliche Erträge ohne intensive Landwirtschaft ermöglicht. Biokohle sollte auch als chemischer Grundstoff in der organischen Chemie genutzt werden, um Erdöl und Erdgas in der Chemie zu ersetzen. Direct Air Capture (DAC) sollte befördert werden, damit sich der Weg für synthetische CO2-neutrale Kraftstoffe erschließt. Alle natürlichen Methoden für den Humusaufbau (Biolandwirtschaft, Mischfrucht, pfluglose Bodenbearbeitung, Agroforstsysteme u.a.) sind schnell als Regellandwirtschaft einzuführen.
Diese Nennung von Klimaschutzmaßnahmen ist nicht volständig. Viele weitere Maßnahmen sind sinnvoll und erforderlich. Die genannten Maßnahmen sollten aber im Mittelpunkt einer wirkungsvollen Klimaschutzstrategie stehen. Hauptziel der Maßnahmen ist es, private Investitionen und Konsumverhalten so zu beeinflussen, dass sie den Weg zu einer Nullemissionswirtschaft (100% Erneuerbare Energien), Kreislaufwirtschaft und Kohlenstoffsenken ermöglichen.
Das ist natürlich nicht nur eine deutsche, sondern eine globale Aufgabe. Aber Deutschland als eine der größten Exportnationen kann einen entscheidenden Klimaschutzbeitrag leisten und andere Länder und Regionen – die heute schon teilweise weiter sind – motivieren sowie über seine Exportgröße den Klimaschutz auch in anderen Ländern maßgeblich befördern und somit helfen das Weltklima auf einem menschen- und zivilisationsverträglichen Niveau zu stabilisieren.
Anmerkungen
1 Fell H.-J., Traber T. Sektorale Treibhausgasemissionen weltweit. Kurzanalyse. Berlin. August 2019. Online abrufbar: http://energy
watchgroup.org/wp-content/uploads/EWG-Kurzanalyse-THG_2019.pdf
2 Fell H.-J., Traber T. Eckpunkte für eine Gesetzesinitiative zur Systemintegration Erneuerbarer Energien. Sektorenkopplungs- und Innovationsgesetz für Erneuerbare Energien (SIG-EE). Berlin. April 2020. Online abrufbar: http://energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_
Eckpunkte-für-eine-Gesetzesinitiative-zur-Systemintegration-Erneuerbarer-Energien.pdf
3 Traber T., Fell H.-J. Erdgas leistet keinen Beitrag zum Klimaschutz. Erdgasstudie. Berlin. September 2019. Online abrufbar: http://energywatch
group.org/wp-content/uploads/EWG_Natural_Gas_Study_September_2019.pdf
4 Ram M., Fell H.-J., Breyer C. et al. Global Energy System Based on 100% Renewables. Power, Heat, Transport and Desalination Sectors. Study by LUT University & Energy Watch Group. Lappeenranta. Berlin. April 2019. Online abrufbar: http://energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_LUT_100RE_All_Sectors_Global_Report_2019.pdf