…und „warum Friedrich Merz irrt“, aber dennoch Recht haben könnte
Die Wirtschaftswoche hält nichts von synthetischen Kraftstoffen. In einem Kommentar nahm Stefan Hajek am 07.10.2020 die Argumentation des Unions-Vorsitz-Kandidaten Friedrich Merz pro alternative Treibstoffe auseinander. Merz hatte am 05.10.2020 auf eine Frage dreier Handelsblatt-Redakteure gesagt, es sei falsch, Verbrennungsmotoren zu verbieten. Statt dessen sei „Technologieoffenheit nötig – und kein Enddatum für Antriebe“.
Die Handelsblatt-Befrager hatten unter Hinweis auf Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder, der bis 2035 das Aus für Verbrennungsmotoren gefordert hatte, gefragt, ob man dadurch die Transformation beschleunigen könne. Merz antwortete: „Ich habe Markus Söder anders verstanden. Er will aus den fossilen Brennstoffen raus. Aber wenn wir den Grünen folgen würden, die ab 2030 Verbrennungsmotoren ganz verbieten wollen, dann wird sich schon morgen kein Student mehr für diesen Teil des Maschinenbaus an einer Universität einschreiben. Gedanklich und technisch würden wir sofort aussteigen – und wenn in fünf Jahren saubere synthetische Kraftstoffe auf dem Markt kommen, sind wir nicht mehr dabei. Wir brauchen Technologieoffenheit – und das bedeutet, kein Enddatum für Antriebe zu nennen.“
Der WiWo-Kommentator beginnt seine Polemik gegen Merz so: „Es war ein wirtschaftspolitischer Rundumschlag, das Interview, das CDU-Politiker Friedrich Merz dem Handelsblatt am Mittwoch gab. Es ging darin um Corona, die schwarze Null, Steuerpolitik. Und irgendwann dann auch den Verbrennungsmotor…“ Im Merz-Interview vom Montag, dem 05.10.2020 ging es nicht „irgendwann dann auch“ um den Verbrenner, sondern gleich zu Beginn, v o r allem anderen. Merz rühre – so Hajek – an die „Urangst deutscher Wirtschaftspolitiker, Automanager, Gewerkschafter: Wie schon in der Chipindustrie, beim Computer, der Finanzindustrie, droht Deutschland international neuerlich abgehängt zu werden, wenn die Politik jetzt die Weichen nicht richtig stellt. Das jüngste Trauma, das Tesla und andere ausgelöst haben, indem sie bessere E-Autos bauen als die erfolgsverwöhnten heimischen Hersteller, es wiegt schwer.“
E-Auto-Experte Hajek unterstellt Merz, diesem „erscheinen synthetische Kraftstoffe wie der Weiße Ritter in der Not“. Jeder halbwegs in ökonomischen Dingen Bewanderte weiß jedoch, dass „Weißer Ritter“ etwas ganz anderes bedeutet: So wird an den Aktienmärkten ein Unternehmen genannt, das bei einer drohenden feindlichen Übernahme dem Übernahmekandidaten zu Hilfe kommt.
Nun zu den Syn-Fuels: Bei den auch Designer Fuels genannten neuen Treibstoffen gibt es noch zwei (lösbare) Probleme: Die Verfügbarkeit ausreichend grünen Stroms – und der (noch) zu hohe Preis. Hajek räumt zwar ein, dass Autos mit E-Fuels mit Verbrennungsmotor theoretisch klimaneutral fahren“ könnten. Aber eben nur „theoretisch“. Denn „das wirkliche Potenzial ist umstritten“. Aber während die Verbrennungsmotoren mit alternativen Treibstoffen weiter produziert und benutzt und für die Bereitstellung des künstlichen Sprits das existierende Netz weiter verwendet werden könnte, argumentiert Hajek, es sei einfach zu wenig grüner Strom (für die vorausgehende Elektrolyse) da.
„Man muss sich ernsthaft fragen, ob Politikern wie Merz das rudimentäre physikalische Verständnis fehlt, oder ob sie ihren Wählerinnen einen erheblichen Teil der Wahrheit absichtlich verschweigen. Das Problem nämlich ist: Man braucht immense Mengen Grünen Strom, um genügend SynFuels für Millionen von Pkw herzustellen. Grünen Strom, bei dessen Herstellung es schon jetzt an jeder Ecke klemmt, wo sich gegen fast jedes neue Windrad eine Bürgerinitiative formiert.“
In Deutschland würden für alle Bereiche von Haushalten bis Industrie rund 600 TWh Strom jährlich produziert und verbraucht. Die ungefähr 47 Millionen Autos bräuchten laut Hajek rund 40 Milliarden Liter SynFuels im Jahr. Zu deren Produktion bräuchte es zusätzlich rund 1.100 TWh Grünstrom. „Das doppelte des gesamten heutigen Stromverbrauchs, allein für Autos. Wie bitte soll das gehen?“ fragt sich Hajek besorgt. Dazu komme die verheerende Effizienz des Kunstsprits. Elektroautos dagegen bräuchten nur rund 130 TWh Strom, „knapp ein Achtel der gut 1.000, die bei der Verwendung synthetischer Kraftstoffe notwendig wären. Mehr als heute für Industrie, Haushalte, Verkehr insgesamt. Vielleicht sagt Friedrich Merz im nächsten Interview, wie er sich das vorstellt.“
Wohlgemerkt: Im Inland. Aber kein Wissenschaftler argumentiert, deutscher Strom aus Wind, Sonne und Wasser reiche je für die Gesamtnachfrage der Energiewende aus. Es gilt längst als ausgemacht, dass Deutschland, ja Europa alternative Energien – Strom, Wasserstoff oder Ammoniak – importieren muss, um Verkehr, Wärme und Industrieprozesse klimaneutral umzubauen.
Der 2002 im Alter von 102 Jahren gestorbene Philosoph Hans-Georg Gadamer sagte einmal den berühmten Satz: „Der andere könnte Recht haben“ (siehe: sciencev1.orf.at/47430). Merz könnte Recht haben.
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