Übeltäter Agrarsektor
Am 19.10.2020 veröffentlichte die Europäische Umweltagentur (EUA) ihren umfassenden Bericht zum Stand der Natur in Europa. Der Bericht, der vom Ecologic Institut durch das Europäische Themenzentrum für Biologische Vielfalt (ETC-BD) unterstützt wurde, basiert auf den einzelnen Berichterstattungen der EU Mitgliedsstaaten, die im Rahmen der europäischen Naturschutzgesetzgebung alle sechs Jahre eingereicht werden. Der BUND lobt inzwischen die EU-Umweltminister, dass sie den Weg freimachen für mehr Artenschutz.
Verschlechterung des Zustands von Habitaten und Arten
Der aktuelle Bericht zeigt, dass die europäische Artenvielfalt weiterhin dramatisch abnimmt. Nur 15 % aller Habitate, die durch die EU Habitatrichtlinie geschützt sind, weisen einen guten Erhaltungszustand auf, während sich über 80 % in einem schlechten Zustand befinden. Auch wenn die Ergebnisse für Tier- und Pflanzenarten etwas positiver ausfallen, sind auch hier die Arten mehrheitlich (63 %) in einem schlechten Zustand. Analysen zum Trend dieser ungünstigen Erhaltungszustände ergaben außerdem, dass die Mehrzahl entweder in dem gegebenen Zustand stagniert oder sich weiter verschlechtert. Verbesserungen wurden für nur 9 % der Habitate und 6 % der Arten festgestellt. Im Rahmen der EU Vogelschutzrichtlinie wurde eine korrespondierende Analyse separat für heimische Vogelarten durchgeführt. Auch diese Ergebnisse sind weitestgehend ernüchternd: der Anteil an Vögeln mit schlechtem Populationsstatus ist im Vergleich zur letzten Analyse vor sechs Jahren um 6 % gestiegen und liegt nun bei rund 40 %.
Menschlicher Einfluss und Naturschutz
Der Bericht identifiziert auch den Hauptverursacher für den sich verschlechternden Zustand der europäischen Biodiversität: den Agrarsektor. Durch die kontinuierliche Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion und den übermäßigen Einsatz von Dünger und Pestiziden sind nahezu alle Habitate und Arten direkt oder zumindest indirekt betroffen. Die zusätzliche Übernutzung natürlicher Ressourcen an Land und auf dem Meer, der Ausbau urbaner Infrastrukturen, Luft- und Wasserverschmutzung sowie die Forstwirtschaft haben ebenso einen wesentlichen Anteil am Rückgang gesunder Habitate und Population.
Die EU Naturschutzgesetzgebung fordert von den Mitgliedsstaaten, diese Belastungen mittels zielgerichteter Aktivitäten zu reduzieren. Das zentrale Instrument zum Schutz bedrohter Arten und seltener Habitate ist das Natura 2000 Schutzgebietsnetzwerk. Dieses pan-europäische Netzwerk bedeckt zurzeit fast ein Fünftel des europäischen Festlands sowie 10 % der Meeresoberfläche. Laut Analysen des Berichtes werden Heidelandschaften und Pflanzenarten besonders gut durch das Netzwerk abgedeckt, während Wälder, marine Tierarten und Brutvögel vergleichsweise wenig geschützt werden.
Weitere Analysen zeigen, dass sich das Natura 2000 Netzwerk sowie andere Schutzmaßnahmen für viele Habitate und Arten positiv auswirkt. Zurzeit dienen die meisten Aktivitäten eher der Erhaltung als der Wiederherstellung (auch Restaurierung). Laut Bericht ergeben sich allerdings große Bedarfe für die Restaurierung degradierter Habitate: mindestens 226 000 km2 müssten akut aufgewertet werden, um ihren langfristige Erhalt zu gewährleisten.
Verfehlen der EU Biodiversitätsziele 2020
Abschließend bilanziert der Bericht die Erreichung der Ziele 1 und 3 der EU Biodiversitätsstrategie bis 2020. Das Ziel 1 zur vollständigen Umsetzung der EU Naturschutzgesetzgebung und zur Erreichung des guten Erhaltungszustandes für Arten und Habitate wurde nicht erreicht, weder für Vögel (um 20 % verfehlt), noch für Habitate und andere Arten (um 12 % und 2 % verfehlt). Das Ziel 3 diente der Förderung eines positiven land- und forstwirtschaftlichen Beitrags zum Schutz der Biodiversität. Leider wurde hier, insbesondere im Agrarsektor, kein wesentlicher Fortschritt erzielt, sodass auch dieses Ziel nicht erreicht wurde.
Mit dieser großen Bandbreite an neuen Erkenntnissen unterstreicht der Bericht die drängende Notwendigkeit, den anhaltenden Rückgang der Natur in Europa zu stoppen. Zentrale Maßnahmen sind hier, unter anderem, die Reduzierung der Hauptverursacher, die Entwicklung geeigneter Indikatoren zur besseren Bewertung der Effizienz von bestehenden Maßnahmen (insb. Natura 2000) sowie die weitere Verbesserung der Naturschutz- und Monitoringkapazitäten in den Mitgliedsstaaten für die vollständige Umsetzung der Naturschutzgesetzgebung und der aktuellen EU Biodiversitätsstrategie bis 2030.
->Folgt: BUND lobt Umweltminister: „Zukunft für Natur“