Abfolge der wechselnden Phasen kann besser nachvollzogen werden
Im Laufe der jüngeren Erdgeschichte der letzten 2,6 Millionen Jahre haben sich Eis- und Warmzeiten immer wieder abgewechselt. Dabei gab es wechselnde Phasen, in denen beide entweder regelmäßig oder unregelmäßig aufeinander folgten. Der AWI-Forscher Peter Köhler hat jetzt herausgefunden, dass unregelmäßige Wechsel offenbar häufiger auftraten, als bislang vermutet. Seine Arbeit trägt dazu bei, die grundlegenden Klimaänderungen der Erde besser zu verstehen.
Wer die Rolle des Menschen bei der Entwicklung des heutigen Klimas verstehen wolle, sagt Peter Köhler, müsse weit zurückblicken, denn Klimawandel habe es schon immer gegeben – allerdings auf ganz anderen Zeiträumen als der vom Menschen verursachte Klimawandel, der vor allem auf dem Verbrauch fossiler Brennstoffe in den letzten 200 Jahren beruhe. Ohne den Menschen wechselten sich Eis- und Warmzeiten seit Millionen von Jahren über zigtausende von Jahren ab, vor allem durch die schräg stehende Erdachse. Deren Winkel verändere sich regelmäßig mit einer Periodizität von 41.000 Jahren um wenige Grad.
Dadurch verändere sich auch der Winkel, in dem die Sonnenstrahlen auf die Erde treffen – und somit die Energie, die insbesondere im Sommer in den hohen Breiten auf den Globus treffe. Allerdings gebe es starke Hinweise darauf, dass im Laufe der letzten 2,6 Millionen Jahre immer wieder einmal Warmzeiten übersprungen worden seien. Die Nordhalbkugel – insbesondere Nordamerika – sei länger vereist geblieben, obwohl sich der Winkel der Erdachse derart geändert habe, dass wieder mehr Sonnenenergie im Sommer die Erde erreicht habe und die Landeismassen haben schmelzen müssen. Die Schrägstellung der Erdachse könne also nicht der alleinige Grund für den Wechsel von Eis- und Warmzeiten sein, resümiert der Wissenschaftler die Ergebnisse seiner Untersuchungen.
Um das Rätsel zu lösen, wollen Klimaforscher genauer klären, wann in der Erdgeschichte Unregelmäßigkeiten auftraten. Zusammen mit Kollegen von der Universität Utrecht hat der Physiker Peter Köhler vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) jetzt einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Abfolge von Eis- und Warmzeiten während der vergangenen 2,6 Millionen Jahre besser nachvollziehen zu können. Bisher ging die Fachwelt davon aus, dass vor allem während der letzten 1,0 Millionen Jahre Eis- und Warmzeiten vom typischen 41.000-Jahre-Rhythmus abwichen, Warmzeiten übersprungen wurden und die Eiszeiten daher 80.000 oder gar 120.000 Jahre dauerten.
„Für den Zeitraum zwischen 2,6 und 1,0 Millionen Jahren ging man eher von einer regelmäßigen Abfolge im Rhythmus von rund 41.000-Jahren aus“, sagt Peter Köhler. Wie seine Arbeit zeigt, die jetzt im Fachjournal Nature Communications erschienen ist, traten aber auch zwischen 2,6 und 1,0 Millionen Jahren immer wieder Unregelmäßigkeiten auf.
Die Arbeit von Peter Köhler ist deshalb so interessant, weil er dafür einen altbekannten Datensatz neu ausgewertet hat, mit dem Wissenschaftler schon seit vielen Jahren arbeiten – dem LR04-Klimadatensatz. Doch Köhler kommt jetzt zu ganz anderen Ergebnissen. Bei diesem Datensatz handle es sich um eine weltweite Auswertung von Bohrkernen aus Millionen Jahre alten Tiefseesedimenten. Der Datensatz enthalte Messwerte aus den uralten Hartschalen mikroskopisch kleiner, einzelliger Meeresbewohner – den Foraminiferen, die sich am Meeresboden abgelagert hätten, heißt es im AWI-Pressetext vom 26.10.2020. Foraminiferen bauten in ihren Kalkschalen Sauerstoff aus dem Meerwasser ein. Im Meerwasser aber schwanke im Laufe von Jahrtausenden der Gehalt bestimmter Sauerstoff-Isotope – von Sauerstoffatomen, die sich in der Zahl ihrer Neutronen und damit ihrem Gewicht unterschieden, heißt es weiter.
Der Datensatz LR04 enthält Messwerte des Verhältnisses des schweren Sauerstoff-Isotops 18O zum leichteren 16O. Die Einlagerung dieses 18O/16O Verhältnisses in den Foraminiferen ist von der Wassertemperatur abhängig. Doch gibt es noch einen zweiten Effekt, der dazu führt, dass man in den Schalen der Foraminiferen während Eiszeiten relativ viel 18O findet: Wenn im Laufe einer Eiszeit Unmengen von Schnee auf Land herabschneien und damit dicke Landeisschilde wachsen, sinkt der Meeresspiegel – im untersuchten Zeitraum während der Eiszeiten um bis zu 120 m. Da 18O schwerer als 16O ist, verdunsten Wassermoleküle mit diesen schweren Isotopen weniger stark als Moleküle, die das leichtere Sauerstoff-Isotop enthalten. Somit bleibt verhältnismäßig mehr 18O im Meer zurück und der 18O-Gehalt in den Hartschalen der Foraminiferen steigt automatisch an. „Wenn man den LR04-Datensatz direkt nutzt, vermischt man folglich zwei Effekte – den Einfluss der Meerestemperatur und den Einfluss des Landeises beziehungsweise des sinkenden Meeresspiegels“, sagt Peter Köhler. „Aussagen über den Verlauf der Eiszeiten werden damit unsicher.“ Und noch etwas komme hinzu: Den Verlauf von Eiszeiten machen Klimaforscher vor allem an der Vereisung der Nordhalbkugel fest. Anhand des 18O-Werts aber kann man nicht unterscheiden, ob eine prähistorische Vereisung auf der Nordhalbkugel oder eher in der Antarktis stattgefunden hat.
Computermodell trennt die Einflussgrößen
Deshalb hat das Team um Peter Köhler den LR04-Datensatz jetzt ganz anders ausgewertet. Die LR04-Daten wurden in ein Computermodell eingegeben, das das Wachsen und Abschmelzen der großen Eisschilde auf den Kontinenten berechnen kann. Das Interessante daran: Das Modell ist in der Lage, den Einfluss der Temperatur und des sinkenden Meeresspiegels auf die 18O-Konzentration voneinander zu trennen. Außerdem kann es sehr genau analysieren, wann und wo Schnee fällt und die Landeisschilde wachsen – eher auf der Nordhalbkugel oder in der Antarktis.
„Eine solche Trennung von Einflussgrößen nennen Mathematiker Dekonvolution oder auch Entfaltung“, sagt Peter Köhler. „Unser Modell ist dazu in der Lage.“ Im Ergebnis zeige es, dass die Abfolge von Eis- und Warmzeiten bereits im Zeitraum von 2,6 bis 1,0 Millionen Jahren unregelmäßig war; eine Erkenntnis, die in den kommenden Jahren sehr wichtig werden könnte. Denn in dem laufenden großen EU-Projekt „BE-OIC Beyond EPICA Oldest Ice Core“ wollten Wissenschaftler jetzt tiefer denn je in das Eis der Antarktis bohren. Mit der bislang ältesten zurückreichenden Bohrung „EPICA“ seien sie nur rund 800.000 Jahre in die Vergangenheit gereist, erklärt Köhler. Das uralte Eis gebe unter anderem darüber Aufschluss, wie viel Kohlendioxid die Erdatmosphäre damals enthalten habe.
Mit „Beyond EPICA“ solle es nun rund 1,5 Millionen Jahre in die Vergangenheit gehen. Kombiniere man dann die Kohlendioxid-Messwerte mit den Analysen von Peter Köhler, könne man Hinweise darauf gewinnen, wie beides zusammenhänge – die Schwankungen in der Abfolge der Eiszeiten und der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre. Und das sei wichtig, um zu verstehen, wie Treibhausgase und eiszeitliche Klimaänderungen grundlegend zusammenhingen.
Originalpublikation
Die Studie ist jetzt im Fachjournal Nature Communications erschienen
Köhler, P., van de Wal, R.S.W., Interglacials of the Quaternary defined by northern hemispheric land ice distribution outside of Greenland. Nat Commun 11, 5124 (2020). DOI:10.1038/s41467-020-18897-5