Damit die EU bis 2050 klimaneutral werden kann, muss die Produktion in europäischen Stahl-, Zement- und Chemiefabriken künftig CO2-frei werden
Der Europäischen Kommission fehle bislang ein wirksames Konzept, wie sie die Umstellung der europäischen Grundstoffindustrie auf klimafreundliche Technologien lostreten könne. Um die EU bis 2050 im Sinne des European Green Deal klimaneutral zu machen, müssten die Emissionen aus europäischen Stahl-, Zement- und Chemiefabriken jedoch dauerhaft sinken. „Die Technologien für klimaneutrale Produktionsprozesse stehen bereit“, heißt es in einer Pressemitteilung des Berliner Thinktanks Agora Energiewende vom 29.10.2020.
Die energieintensive Industrie könne in den nächsten fünf Jahren mit den Investitionen beginnen. Allerdings sei der CO2-Preis im Rahmen des europäischen Emissionshandels in den kommenden zehn Jahren zu niedrig, so dass der Umstieg auf CO2-neutrale Produktion für Industriebetriebe unwirtschaftlich sei. Auch mit dem von der Kommission diskutierten CO2-Aufschlag auf importierte Produkte wie Plastik oder Stahl, die im Ausland CO2-intensiv hergestellt würden, entstehe für klimaneutrale Produkte noch kein Geschäftsmodell, heißt es weiter.
Agora Energiewende habe jetzt ein Paket mit Politikinstrumenten für eine erfolgreiche europäische Industriewende vorgelegt. Die darin enthaltenen Maßnahmen schafften die Voraussetzungen für eine klimaneutrale Industrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Von der erforderlichen Infrastruktur über klimaneutrale Produktionstechnologien bis zur Abnahme von CO2-freien Endprodukten und einer verbesserten Recyclingqualität.
„Für die europäische Grundstoffindustrie besteht dringender Handlungsbedarf. Bei zahlreichen europäischen Zement-, Stahl- und Chemieanlagen stehen Reinvestitionen an. Ohne einen wirksamen politischen Rahmen für klimaneutrale Technologien müssen sich die Standorte zwischen Schließung oder der Investition in konventionelle Anlagen entscheiden, die womöglich vorzeitig abgeschaltet werden müssen“, sagt Frank Peter, stellvertretender Direktor bei Agora Energiewende. „Die EU muss jetzt den politischen Rahmen für grüne Investitionen schaffen. Ansonsten stehen zahlreiche Arbeitsplätze auf dem Spiel.“
Peter warnt außerdem davor, die Diskussion auf einen möglichen CO2-Aufschlag für importierte Produkte – sogenannte Carbon Border Adjustments – zu beschränken: „Gegenwärtig konzentriert sich die politische Debatte in Brüssel und vielen Mitgliedsstaaten hauptsächlich auf die Frage nach einer CO2-Grenzsteuer. Es stimmt, dass wir eine gute Regelung brauchen, um faire Wettbewerbsbedingungen für die europäische Industrie zu gewährleisten. Aber das ist nur ein Teil der Lösung. Eine Grenzsteuer allein wird nicht die notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit die Betriebe in klimaneutrale Produktion und Produkte investieren.“
Von der Industrieanlage bis zum Recycling: Ein Gesamtkonzept für Klimaneutralität
Die Stahl-, Zement- und Chemiehersteller seien für 60 Prozent der Treibhausgasemissionen der europäischen Industriebetriebe verantwortlich. Insgesamt stoße die europäische Industrie ein Fünftel der europäischen Emissionen aus. Bei etwa der Hälfte aller europäischen Hochöfen zur Stahlproduktion und Chemieanlagen stünden bis 2030 große Nachrüstungen und Modernisierungen an und bei gut einem Drittel der Zementöfen. Damit bei den anstehenden Investitionen schon jetzt das langfristige Ziel der Klimaneutralität berücksichtigt werde, schlage Agora Energiewende politische Maßnahmen auf drei Ebenen vor, so Frank Peter weiter.
Um auf Produktionsebene den Wettbewerbsnachteil der klimafreundlichen Technologie gegenüber der konventionellen Alternative auszugleichen, schlage Agora Energiewende die Einführung von Förderinstrumenten vor. So könnten etwa Differenzverträge, sogenannte Carbon Contracts for Difference, den Unternehmen Investitionssicherheit geben und sie gegen niedrige und schwankende CO2-Preise absichern. Industrieunternehmen würden so einen Ausgleich für die Mehrkosten der klimafreundlichen Technologie bekommen.
Zweitens sei neben bezahlbarem Strom aus Erneuerbaren Energien auch der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur für eine klimaneutrale Industrie erforderlich. Klimaneutraler Wasserstoff werde künftig ein zentrales Element bei einer Industrie ohne Kohle, Erdgas und Öl sein. Um die Entstehung der klimaneutralen Wasserstoffproduktion in Europa anzustoßen, könne die EU ökonomische Anreize für Stahl- und Chemieunternehmen schaffen, klimaneutralen Wasserstoff zu kaufen.
Und Drittens schlage Agora Energiewende vor, die Abnahme von klimaneutralen Produkten zu fördern. Zum Beispiel mit der Entwicklung grüner Produktstandards und -kennzeichnungen. So könnten öffentliche Bauvorhaben Vorgaben für die Verwendung von grünem Stahl oder klimaneutralem Zement einführen. Solche Maßnahmen förderten außerdem die Entstehung eines Marktes für klimaneutrale Produkte. Mit höheren Recyclingstandards könne die EU zudem den Bedarf an neuen Rohstoffen insgesamt minimieren.
„Diese Politikinstrumente können fast alle in den bestehenden europäischen Rechtsrahmen integriert werden. Wir müssen nicht bei null anfangen“, sagt Peter. „Angesichts des European Green Deal und der geplanten Erhöhung der europäischen Klimaziele 2030, steht im kommenden Jahr ohnehin eine Überarbeitung der Gesetzgebung an. Damit bietet sich der EU die günstige Gelegenheit, das Paket für den klimaneutralen Umbau der energieintensiven Industrie zu schnüren.“
Die Kurzstudie „A Clean Industry Package for the EU” ist in englischer Sprache erschienen und enthält elf Politikinstrumente, um den klimaneutralen Umbau der europäischen Grundstoffindustrie anzustoßen. Die 40-seitige Studie steht unten zum kostenlosen Download zur Verfügung. Am 18. November werden die Politikinstrumente in einem Online Event vorgestellt. Zeitgleich wird eine zweite Studie zu den entscheidenden Technologien und deren Beitrag zur Emissionsminderung in den europäischen Stahl-, Zement- und Chemiefabriken erscheinen und ebenfalls präsentiert.
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