Die „Merit Order“ ist die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke bei der Bildung des Strombörsenpreises: Die Nachfrage wird zunächst mit dem günstigsten Kraftwerk bedient, bei steigendem Bedarf mit dem jeweils nächstteuren. Das teuerste Kraftwerk bestimmt den Strombörsenpreis. Da Strom aus erneuerbaren Energien Vorfahrt hat, sinkt der Börsenpreis, je mehr Ökostrom eingespeist wird.
„Für Industrieunternehmen gilt ein wesentlich niedrigerer Strompreis als für Haushalte. Der Strompreis für die Industrie setzt sich aus Höchstauslastung, Jahresverbrauch und jährlichen Benutzungsstunden zusammen. 2012 bezahlten mittlere Industrieunternehmen durchschnittlich 0,12 €/kWh, während der Durchschnittspreis für große Industrieunternehmen 0,06 €/kWh betrug. Industrieunternehmen haben zahlreiche steuerliche Vorteile, weshalb sie einen sehr günstigen Strompreis bekommen und von der EEG-Umlage befreit werden. Durch den Ausbau von erneuerbaren Energien profitieren sie deshalb netto stark. Bei diesem Effekt handelt es sich um den Merit-Order-Effekt.“ (energieinitiative.org)
Der Merit-Order-Effekt zeigt sich vor allem bei der Photovoltaik. Im europäischen Strommarkt wird – solange genug Leitungskapazitäten zur Verfügung stehen – Energie immer bei dem Kraftwerk gekauft, das aktuell die niedrigsten Kosten verursacht. Diese Kosten-Reihenfolge hängt unter anderem von den Preisen für die eingesetzten Brennstoffe oder für CO2-Zertifikate ab. Photovoltaikanlagen liefern oft genau dann viel Strom, wenn auch die Nachfrage und damit die Strompreise an der Energiebörse am höchsten sind – mittags. Durch die große Ökostrommenge werden die teuersten Kraftwerke nicht mehr gebraucht und die Börsenpreise sinken. Verbraucher profitieren davon allerdings nicht direkt, weil sie feste Strompreise an ihren Stromanbieter zahlen. Außerdem müssen Schwankungen der Ökostromproduktion oft wiederum durch teure Spitzenlastkraftwerke ausgeglichen werden. Zudem sorgen sinkende Börsenpreise für eine höhere EEG-Umlage, weil die Differenz zwischen Börsenpreis und Einspeisevergütung wächst. Zudem führt der Merit-Order-Effekt dazu, dass teure Spitzenlastkraftwerke nur noch selten laufen können und dadurch unrentabel werden. Bei geringer Einspeisung der erneuerbaren Energien drohen dadurch Versorgungslücken. Daher werden Forderungen nach einem Kapazitätsmarkt laut.
Atomstrom ist zwar in der Herstellung sehr viel billiger als Strom aus erneuerbaren Energien (weil die AKW nicht versichert sind und die Betreiber nur einen Bruchteil der angenommenen Endlagerkosten tragen müssen). Aber der Großhandels-Strompreis wird von den Atomkraftwerken nicht nennenswert beeinflusst. Durch den Atomausstieg ist der Strompreis nicht gestiegen. Die Effekte, die den Strompreis bestimmen, sind wegen der sogenannten „Merit Order“ andere. Primär sind das die Brennstoffkosten und der CO2-Emissionshandel.
Öko-Institut vom 19.05.2020 – Das Prinzip der Merit Order und die Marginalbetrachtung
Um die Auswirkungen der E-Fuel-Produktion auf das Stromsystem zu bewerten, ist es wichtig, das Prinzip der Merit-Order zu verstehen, mit dem die Strommärkte marktwirtschaftlich organisiert werden. Der Großhandelsstrompreis und der Betrieb von Kraftwerken ergibt sich aus den kurzfristigen Betriebskosten (Grenzkosten) der Stromerzeugungskapazitäten sowie der Stromnachfrage im Stromsystem (Last). Verfügbare Kraftwerke werden in der Reihenfolge ihrer Grenzkosten der Stromerzeugung in Betrieb genommen.Stromerzeugungskapazitäten mit niedrigen Grenzkosten erhalten dabei den Vorzug. Dazu werden die Kraftwerke mit aufsteigenden Grenzkosten zu jeder Stunde des Jahres gereiht (Merit Order). Mit Last zur jeweiligen Stunde im Stromsystem wird das Kraftwerk bestimmt, mit dem die Last im Stromsystem genau gedeckt wird. Dieser Schnittpunkt aus der Last und dem Stromangebot definiert den Großhandelspreis zu der jeweiligen Stunde und es produzieren nur Kraftwerke den Strom, die niedrigere oder gleiche Grenzkosten aufweisen als der Großhandelspreis.Steigt nun die Last im Stromsystem durch zusätzliche Stromnachfrager wie beispielsweise die E-Fuel-Produktion, verschiebt sich der Schnittpunkt zwischen Merit Order und Lastkurve und weitere Kraftwerkeerzeugen Strom. Diese Kraftwerke werden Grenzkraftwerke (im Englischen: marginal power plants) genannt und die zusätzlich erzeugte Strommenge ist der Marginalstrom. Zur THG-Bewertung zusätzlicher Stromnachfrager ist also diese Strommenge entscheidend.Erneuerbare Energien haben sehr geringere Grenzkosten, da keine Kraftstoffkosten anfallen und da sie keine CO2-Kosten tragen müssen.In Stromsystemen mit relevanten Anteilen nicht-erneuerbarer Stromerzeugung sind erneuerbare Stromerzeugungskapazitäten nur in eher wenigen Stunden die Grenzkraftwerke für die Stromerzeugung. Durch die zusätzliche Stromnachfrage erhöht sich in solchen Stromsystemen also vor allem die Auslastung nicht-erneuerbarer Kraftwerke mit den entsprechenden THG-Emissionen, wenn keine zusätzlichen erneuerbaren Stromerzeugungskapazitäten diese zusätzliche Stromnachfrage ausgleichen.In der THG-Bilanzierung mit der Marginalbetrachtung müssen die zusätzlichen Stromerzeugungskapazitäten nicht zeitgleich die Stromnachfrage aus der E-Fuel-Herstellung befriedigen. Dieser Ausgleich kann über einen längeren Zeitraum (Modellierung zumeist über ein Jahr) bilanziell stattfinden.
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