Obamas Ex-Berater zur Energiewende
Eine neue Sicht der Energiewende und ihres Einflusses auf die Weltpolitik hat am 05.10.2020 Jason Bordoff, vormals ranghohes Mitglied im Sicherheitsrat der USA und Berater Barack Obamas im Magazin Foreign Policy veröffentlicht. Er erklärte, warum die Abkehr vom Öl China nicht unbedingt helfe – und Russland nicht zwingend schade.
Jason Bordoff, ehemaliger leitender Direktor im Stab des Nationalen Sicherheitsrates der USA und Sonderassistent von Präsident Barack Obama, ist Professor für berufliche Praxis in internationalen und öffentlichen Angelegenheiten und Gründungsdirektor des Center on Global Energy Policy an der School of International and Public Affairs der Columbia University.
Laut Bordoff gibt es zahlreiche Anzeichen dafür, dass die Energiewende an Fahrt gewinnt. So habe BP kürzlich prognostiziert, die Ölnachfrage könnte kurz vor ihrem Höhepunkt stehen. Kalifornien wolle den Verkauf neuer Verbrenner-Autos ab 2035 verbieten. China habesich verpflichtet, bis 2060 CO2-neutral zu werden. Schließlich zeigten Meinungsumfragen ein wachsendes Gefühl für die Klimabedrohung, das durch wütende kalifornische Waldbrände und schwere Wirbelstürme an der US-Golfküste noch verstärkt werde.
Viele der heutigen Vorhersagen wahrscheinlich falsch
Diese bevorstehende Umgestaltung einer ganzen Industrie werde tiefgreifende Auswirkungen auf die globale Ordnung haben. China wird aufsteigen und die Öl-Staaten werden fallen – so die konventionelle Weisheit. Doch die geopolitischen Auswirkungen des Übergangs zu sauberer Energie würden viel subtiler und komplexer ausfallen. Bordoff: „Viele der heutigen Vorhersagen werden sich wahrscheinlich als falsch herausstellen oder es wird Jahrzehnte dauern, bis sie sich auf unvorhersehbare Weise entfalten. Wenn die politischen Entscheidungsträger kein klares Bild davon bekommen, wie sich die globalen Machtverhältnisse ändern werden – nicht nur in einer zukünftigen Ära der kohlenstofffreien Energie, sondern auch während des langen und unübersichtlichen Übergangs dorthin – werden sie nicht in der Lage sein, die kommende Ära außenpolitischer Risiken zu bewältigen, und ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels werden zum Stillstand kommen.“
Lösen „Elektrostaaten“ Ölländer ab?
Der britische Economist prognostiziere, dass mächtige „Elektrostaaten“ an die Stelle der heutigen Ölländer treten würden, wobei China am meisten davon profitieren werde, da es die schnell wachsenden Märkte für saubere Energieprodukte beherrsche. Doch selbst wenn China die Produktion von Solarpaneelen, Batterien für Elektroautos und anderen Technologien dominiere, werde es nicht gleich viel geopolitischen Einfluss haben wie Saudi-Arabien und andere Länder des Nahen Ostens, welche jetzt die Ölversorgung dominierten. China dominiere zwar auch den Markt für einige Rohstoffe – wie Lithium und Kobalt -, die für viele saubere Energietechnologien von entscheidender Bedeutung sind. „Doch auch hier“, so Bordoff, „besteht ein entscheidender Unterschied zwischen der Hebelwirkung, die von der Produktion eines wichtigen industriellen Inputs ausgeht, und der Lieferung der Energie, ohne welche die täglichen Aktivitäten zum Erliegen kommen. Jede Störung, die durch einen Lieferstopp der Chinesen ausgelöst wird, würde die Energiepreise jahrelang nicht wesentlich beeinflussen, so dass Märkte und Unternehmen Zeit haben, sich anzupassen und Alternativen zu finden. Außerdem sind viele der heute von China kontrollierten Rohstoffe zwar sogenannte Seltene Erden-Elemente, aber geologisch gesehen gar nicht so selten. Die wachsende Nachfrage wird die Produktion an neuen Orten ankurbeln.“
Andererseits würden es die Länder im Nahen Osten, die mit ihrer gewaltigen Produktion fossiler Brennstoffe mächtig geworden sind, es nicht schaffen, ihre Wirtschaft rechtzeitig zu diversifizieren. Ohne den Schutz der USA würden sie in Konflikte abgleiten – so die allgemeine Erwartung. Bordoff hält es jedoch „für wahrscheinlicher, dass die Ölländer während der vielen Jahrzehnte, die zur Erreichung der Klimaziele des Pariser Abkommens benötigt werden, ein wahres Festmahl vor der Hungersnot erleben könnten.“
Fossile Nachfrage wird nicht so schnell sinken
Gängiges Wissen glaubt auch, dass die sinkende Nachfrage nach Öl und Gas niedrigere Preise bedeute, was bedeute, dass die Ölländer selbst dann, wenn sie Marktanteile gewinnen, immer noch einen Einbruch ihrer Einnahmen erleben würden. Auch hier ist laut Bordoff die Realität komplizierter: „Ohne fortgesetzte Investitionen geht die Produktion aus bestehenden Feldern mit einer Rate von etwa 8 Prozent pro Jahr zurück. Laut der Internationalen Energieagentur wird die Nachfrage nicht so schnell sinken, selbst wenn die Pariser Klimaziele erreicht werden – also würden zusätzliche Investitionen erforderlich. Aber das Kapital könnte durchaus versiegen, wenn die Ölnachfrage ihren Höhepunkt erreicht und der Sektor bei den Investoren weiter in Ungnade fällt. Sie sind möglicherweise nicht mehr bereit, über viele Jahre hinweg Milliarden von Dollar für die Erschließung neuer Ressourcen in einem Sektor bereitzustellen, der sich im Endstadium des Niedergangs befindet. Infolgedessen kann das Angebot sehr wohl schneller zurückgehen als die Nachfrage, was zu einer Verknappung des Öls führen kann. Die sich daraus ergebenden höheren Preise würden die Einnahmen des Öllandes für eine gewisse Zeit sogar noch erhöhen, deshalb plant Saudi Aramco immer noch, Dutzende Milliarden Dollar für den Ausbau seiner Ölförderkapazitäten auszugeben.
Bordoff hält sogar ein Paradoxon für möglich: „Weil das Angebot schneller schrumpft als die Nachfrage, würden steigende Ölpreise die Wirtschaftlichkeit alternativer Energietechnologien wie Elektrofahrzeuge verbessern. Während viele befürchten, dass die Ölländer die Energiewande verzögern und dadurch ins Stocken geraten könnten, könnte das Gegenteil eintreten: Die Ölländer könnten vorübergehend von der Energiewende profitieren, selbst wenn höhere Preise die Umstellung auf saubere Energie beschleunigen.“
Neue Wasserstoff- und Ammoniak-Supermächte
Bordoff hält es für möglich, dass „einige der heutigen Ölländer die Elektrostaaten von morgen sein könnten. Elektrostaaten werden nicht nur Kraftwerke wie China herstellen, sondern auch solche, die billige CO2-freie Energie für den Export produzieren, entweder als Elektrizität in Nachbarländer oder in Form von Brennstoffen wie Wasserstoff und Ammoniak, die zur Versorgung von Fabriken, Gebäuden und Transportmitteln verwendet werden können. Saudi-Arabien zum Beispiel verfügt über reichlich kostengünstige Solarenergie, hat gerade ein 5-Milliarden-Dollar-Projekt zur Umwandlung erneuerbarer Energie in Wasserstoff angekündigt und Japan die weltweit erste Lieferung von blauem Ammoniak geschickt. Andere Nationen, die reich an billiger erneuerbarer Energie sind, wie z.B. Chile, könnten ebenfalls zu den Supermächten einer neuen wasserstoffbasierten Wirtschaft werden.“
Dramatische Verschiebungen bei den Energiequellen der Welt werden tiefgreifende geopolitische Konsequenzen haben, prophezeit der Obama-Mann – „aber nicht die einfachen, die viele Experten vorhergesagt haben“. Der Weg zu Netto-Null-Emissionen werde neue außenpolitische Risiken schaffen, selbst wenn die alten nachlassen würden. Aber er bleibt eindeutig: „Keines dieser Risiken ist ein Grund, die Klimapolitik zu bremsen, denn sie verblassen noch immer im Vergleich zu den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels selbst. Vielmehr müssen die nationalen Sicherheitsführer die neue Geopolitik der sauberen Energie antizipieren und sich auf sie vorbereiten – nicht nur, um die neuen Risiken zu mindern, sondern weil eine robuste Klimaagenda nur dann erfolgreich sein wird, wenn sie es tut.“
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