Wer ist schuld am Klimawandel?

Das ARD-Drama „Ökozid“ im Fakten-Check

Im Science-Fiction-Kammerspiel „Ökozid“am 18.11.2020 ist Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt, die Klimakrise mitverschuldet zu haben. Wie realistisch ist das Gedankenspiel? Zwei Max-Planck-Wissenschaftler haben sich den Film angesehen und ihn einem Fakten-Check unterzogen: Hauke Schmidt vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und Tom Sparks vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Sein Institut hat im Vorfeld bereits die Drehbuchautoren mit juristischem Fachwissen unterstützt.

Sommer 2034: Wälder brennen in Deutschland. Der Internationale Gerichtshof tagt im stillgelegten Flughafen Tegel, nachdem Den Haag von drei Sturmfluten hintereinander überschwemmt worden ist. 31 Staaten des globalen Südens von Bangladesch über Tschad bis Honduras fordern 60 Milliarden Euro Schadensersatz für die Folgen der Klimakrise, unter der sie am meisten leiden.

Extremwetter über Berlin – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Haben Staaten die Pflicht, den Klimawandel zu stoppen?

Wird der Gerichtshof die Klage zulassen? Regisseur Andres Veiel hat das Science-Fiction-Kammerspiel mit hochkarätiger Besetzung gedreht. Zu sehen ist das Doku-Drama nach der Erstausstrahlung im Rahmen der Themenwoche „Wie wollen wir leben?“ (#wieleben) am 18.11.2020 in der ARD-Mediathek.

Die Klägerstaaten, vertreten von den Anwältinnen Wiebke Kastager (Nina Kunzendorf) und Larissa Meybach (Friederike Becht) wollen nachweisen, dass die Bundesrepublik aktiv die Klimaschutzvorgaben der EU torpediert, Gesetze abgeschwächt oder sogar verhindert hat. Victor Graf (Ulrich Tukur) verteidigt die Bundesrepublik und versucht zu beweisen, dass keine Gesetze gebrochen wurden, die Regierungen demokratisch legitimiert und zum Wohle Deutschlands gehandelt haben.

Wie realistisch ist das Szenario?

Dem Film liegen ausführliche Recherchen zu Grunde. Er basiert auf Originalvideos und -dokumenten, bezieht sich auf politische Entscheidungen zwischen den Jahren 1998 und 2020 sowie den Stand der wissenschaftlichen Forschung. Am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg haben die Drehbuchautoren juristische Expertise eingeholt. „Ein Spielfilm muss natürlich immer einen Kompromiss eingehen zwischen den realen Gegebenheiten und einer Geschichte, die für das Publikum spannend und verständlich ist“, sagt Alexandra Kemmerer vom Heidelberger Max-Planck-Institut.

Das Szenario, an dem das Institut mitgearbeitet hat, sei inzwischen weniger fiktional als gedacht. „Es gibt derzeit eine enorme, ungemein dynamische Entwicklung im Bereich der Klimaklagen“, so Kemmerer und nennt als Beispiele den Obersten Gerichtshof der Niederlande  und das Oberste Gericht Irlands, die in den vergangenen Monaten einschneidende Urteile zur Einhaltung der jeweiligen nationalen Klimaziele gefällt haben.

Alexandra Kemmerer, über die Mitwirkung des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht am Drehbuch für „Ökozid“: „Es gibt eine enorme, ungemein dynamische Entwicklung im Bereich der Klimaklagen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Der Oberste Gerichtshof der Niederlande hat im Dezember 2019 die Regierung des Landes zur Einhaltung der Klimaziele verpflichtet. Diesen Juli hat das Oberste Gericht Irlands angeordnet, dass die Regierung einen neuen Klimaplan für den Zeitraum bis 2050 erarbeiten muss. Und auch vor dem Oberlandesgericht Hamm, dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte laufen Verfahren, in denen es um den Schutz des Klimas geht. Zum 70-jährigen Jubiläum der Europäischen Menschenrechtskonvention gab es eine Konferenz „Human Rights for the Planet“, bei der intensiv über Möglichkeiten und Grenzen von Klimaklagen diskutiert wurde. Die Rede, die der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Róbert Spanó dort gehalten hat, hätte gut in den Film Ökozid gepasst.
Meinen Sie, Klimaschutz wird künftig tatsächlich von Gerichten durchgesetzt?
Davon gehe ich aus – aber wir sollten die Rolle der Justiz auch nicht überschätzen. Der Film selbst ist da sehr realistisch. Denn er zeigt auch das Spannungsverhältnis zwischen Gerichten und demokratischen Verfahren. Beim Klimaschutz können Gerichte vorangehen – sie bleiben aber eingebunden in politische Prozesse und öffentliche Auseinandersetzung. Im Film spielt die Interaktion mit der Öffentlichkeit eine große Rolle, wobei subversive Kräfte über Social Bots in den Sozialen Medien die deutsche Bevölkerung gegen die Kläger und ihre Anliegen aufstacheln. Am Ende gibt es große öffentliche Proteste. Das zeigt sehr eindrücklich, dass die größte Herausforderung darin liegt, eine breite Mehrheit der Menschen für den Klimaschutz zu gewinnen. Eine globale Solidarität, die zur Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels unverzichtbar ist, können Gerichte allein nicht herstellen.“

Fakten-Check auf YouTube – Ökozid, ein fiktives Zukunftsszenario

2034 sind die Folgen der Klimakatastrophe dramatisch: Dürre und Hochwasser vernichten die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Ein Gericht muss entscheiden, ob die deutsche Politik für ihr Versagen beim Klimaschutz und wegen zu geringer Maßnahmen gegen den Klimawandel zur Verantwortung gezogen wird.

Auch Tom Sparks, der derzeit am Internationalen Gerichtshof forscht, und Hauke Schmidt vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie halten das Gedankenspiel, zu dem „Ökozid“ einlädt, nicht für weit hergeholt. Der Film mache anschaulich klar, welche Interessen die Klimaschutzpolitik bestimmen, welche Macht die Lobbyisten haben, wie Kampagnenmanager die Öffentlichkeit beeinflussen und welche Rolle dem internationalen Recht  zukommt, so Tom Sparks. Er rechne viel früher mit einem solchen Verfahren, nicht erst im Jahr 2034.

Hauke Schmidt vom Max-Planck-Institut für Meteorologie hätte sich gewünscht, dass das Thema Klimawandel nicht nur am Rande angerissen und als gegeben angesehen würde. „Es wird nur angedeutet, dass bestimmte Extremwetterereignisse mit dem Klimawandel zu tun haben“, sagt er. „Es gibt Zusammenhänge, die wissen wir sehr genau. Jedoch Einzelereignisse dem Klimawandel zuzuschreiben, ist immer schwierig.“

Fiktion-Formate in der Wissenschaftskommunikation

Spielfilme haben eine nicht nur im Vergleich zu gedruckten Medien deutlich größere Reichweite. Als fiktionale Filme mit Wissenschaftsbezug wie „Ökozid“ erreichen sie auch Zielgruppen, die nicht ausdrücklich wissenschaftlich interessiert sind. „Was fiktionale Formate interessant macht, ist die Tatsache, dass sie den gesellschaftlichen Wert und Nutzen von Forschungsprogrammen ins Zentrum rücken“, sagt Marion Esch von der Minteee-Stiftung, die sich dem Austausch, der Vernetzung und Zusammenarbeit von Forschenden und Filmschaffenden verschrieben hat. „Sie sind keine Erklär- und Lehrfilme, sondern loten auf sehr anschauliche und emotional involvierende Weise Chancen, Risiken und ethische Fragen von Forschung und Innovation aus.“ Die Max-Planck-Gesellschaft fördert MINTEE zusammen mit Fraunhofer.

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