Dank COVID-19-Lockdowns
„2,4 Milliarden Tonnen weniger CO2 dank Corona“ titelte die Süddeutsche Zeitung am 11.12.2020, als die Universitäten von East Anglia (UEA) und Exeter die jährliche weltweite CO2-Bilanz als Ergebnis des sogenannten „Global Carbon Projects“ (GCP) von 86 Klimaforschern aus aller Welt verkündeten. Denn die neue Bilanz zeigte einen noch nie erreichten Rückgang der CO2-Emissionen, der allerdings auf Corona-bedingte Einschränkungen des Transportwesens zurückgeführt wird. Die CO2-Konzentration der Luft stieg dennoch weiter an.
Der Rückgang ist deutlich größer als frühere signifikante Rückgänge – 0,5 (1981 und 2009), 0,7 (1992) und 0,9 (1945) Milliarden Tonnen CO2 (GtCO2). Das bedeutet, dass die fossilen CO2-Emissionen 2020 voraussichtlich ca. 34 Gt betragen werden, 7 % weniger als 2019. Den größten Anteil am Rückgang haben die Emissionen aus dem Verkehr. Diejenigen aus dem Landverkehr, wie z. B. Autofahrten, sanken in der Spitze der COVID-Lockdowns um etwa die Hälfte. Im Dezember 2020 lagen die Emissionen aus dem Straßenverkehr und dem Flugverkehr aufgrund der anhaltenden Beschränkungen immer noch um etwa 10 % bzw. 40 % unter den Werten von 2019. Die gesamten CO2-Emissionen aus menschlichen Aktivitäten – aus fossilem CO2 und Landnutzungsänderungen – werden 2020 etwa 39 Gt betragen. Um den Klimawandel zu begrenzen, müssen zwischen 2020 und 2030 jährlich im Durchschnitt 1 bis 2 Gt eingespart werden.
Fünf Jahre nach dem bahnbrechenden COP21-Abkommen sagt das internationale Team, das hinter dem jährlichen Kohlenstoff-Update steht, dass das Wachstum der globalen CO2-Emissionen ins Stocken geraten ist und die Emissionen in den letzten Jahren langsamer gestiegen sind, was zum Teil eine Reaktion auf die Verbreitung der Klimapolitik sein könnte. In der Dekade vor 2020 gingen die fossilen CO2-Emissionen in 24 Ländern deutlich zurück, während ihre Wirtschaft weiter wuchs. Die Forscher warnen jedoch, dass es zu früh sei, zu sagen, um wie viel die Emissionen 2021 und darüber hinaus wieder ansteigen werden, da der langfristige Trend der globalen fossilen Emissionen weitgehend von Maßnahmen zur Ankurbelung der Weltwirtschaft als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie beeinflusst werden wird.
Prof. Corinne Le Quéré, Forschungsprofessorin der Royal Society an der School of Environmental Sciences der UEA, hat ebenso wie die Geografin Julia Pongratz mit ihren Kolleginnen Selma Bultan und Kerstin Hartung von der Münchner LMU zu der diesjährigen Analyse beigetragen. Sie sagte: „Es sind noch nicht alle Elemente für einen nachhaltigen Rückgang der globalen Emissionen vorhanden, und die Emissionen bewegen sich langsam auf das Niveau von 2019 zurück. Staatliche Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft nach dem Ende der COVID-19-Pandemie können ebenfalls dazu beitragen, die Emissionen zu senken und den Klimawandel zu bekämpfen. „Anreize, die dazu beitragen, den Einsatz von Elektroautos und erneuerbaren Energien zu beschleunigen und das Gehen und Radfahren in den Städten zu unterstützen, sind angesichts der umfangreichen Störungen im Verkehrssektor in diesem Jahr besonders zeitgemäß.“
Veränderungen der CO2-Emissionen 2020
- Der Rückgang der Emissionen scheint in den USA (-12%) und in den EU27-Ländern (-11%) ausgeprägter zu sein, wo die COVID-19-Beschränkungen frühere Reduktionen der Emissionen aus der Kohlenutzung beschleunigt haben. „Hier trafen verringerte Emissionen aus der Kohlenutzung und die Auswirkungen der pandemiebedingten Beschränkungen zusammen“, erklärt Pongratz. „Schon 2019 stiegen die CO2-Emissionen langsamer als in den Vorjahren. Mit der Corona-Pandemie sanken die Emissionen nun deutlich, deshalb ist 2020 ein zentrales Jahr. Ob dies einen Trend einläutet, hängt allerdings stark davon ab, wie sich die Maßnahmen in den Covid-19-Stimuluspaketen weltweit ausgestalten. Wir beobachten bereits, dass die Emissionen sich langsam wieder dem Niveau von 2019 annähern.“
- Am wenigsten ausgeprägt erscheint er in China (-1,7%), wo der Effekt der COVID-19-Beschränkungen auf die Emissionen zusätzlich zu den steigenden Emissionen auftrat. Darüber hinaus traten die Beschränkungen in China früh auf und waren in ihrer Dauer begrenzter, so dass die Wirtschaft mehr Zeit hatte, sich zu erholen.
- In Großbritannien, das die Lockdown-Maßnahmen erst im März eingeführt hat, werden die Emissionen voraussichtlich um etwa 13 % sinken. Der starke Rückgang der Emissionen in Großbritannien ist auf die umfangreichen Lockdown-Maßnahmen und die zweite Welle der Pandemie zurückzuführen.
- In Indien, wo ein Rückgang der fossilen CO2-Emissionen um ca. 9 % prognostiziert wird, waren die Emissionen Ende 2019 aufgrund der wirtschaftlichen Turbulenzen und der starken Wasserkrafterzeugung bereits niedriger als normal, und der COVID-19-Effekt überlagert möglicherweise diesen veränderten Trend.
- Für den Rest der Welt trat der Effekt der COVID-19-Beschränkungen zusätzlich zu den steigenden Emissionen auf, wobei die Emissionen in diesem Jahr voraussichtlich um etwa 7 % sinken werden.
- Global gesehen trat der Höhepunkt des Emissionsrückgangs 2020 in der ersten Aprilhälfte auf, als die Lockdown-Maßnahmen am größten waren, insbesondere in Europa und den USA.
- Die Emissionen der Industrie, z. B. der Metallerzeugung, der Chemie und des verarbeitenden Gewerbes, gingen während des COVID-19-Lockdowns im Frühjahr um bis zu einem Drittel zurück. Allerdings könnten sie bereits jetzt wieder in der Nähe oder sogar über dem Niveau von 2019 liegen.
Trotz der geringeren Emissionen 2020 steigt der CO2-Gehalt in der Atmosphäre weiter an – um etwa 2,5 ppm 2020 – und wird voraussichtlich durchschnittlich 412 ppm erreichen, 48 % über dem vorindustriellen Niveau.
Prof. Pierre Friedlingstein, leitender Forscher von der Universität Exeter, sagte: „Obwohl die globalen Emissionen nicht so hoch waren wie im letzten Jahr, beliefen sie sich immer noch auf etwa 39 Milliarden Tonnen CO2 und führten unweigerlich zu einem weiteren Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre. Der atmosphärische CO2-Gehalt und damit das Weltklima werden sich erst stabilisieren, wenn die globalen CO2-Emissionen nahe Null sind.“
Waldbrand-verursachte Emissionen
Vorläufige Schätzungen auf der Grundlage von Brandemissionen in Entwaldungsgebieten deuten darauf hin, dass die Emissionen aus Entwaldung und anderen Landnutzungsänderungen für 2020 mit etwa 6 Gt ähnlich hoch sind wie im vorangegangenen Jahrzehnt. Etwa 16 Gt wurden vor allem durch Entwaldung freigesetzt, während die CO2-Aufnahme durch Wiederaufwuchs auf bewirtschafteten Flächen, hauptsächlich nach Aufgabe der Landwirtschaft, knapp 11 Gt betrug. Maßnahmen zur besseren Bewirtschaftung von Land könnten sowohl die Abholzung stoppen als auch die CO2-Senke aus dem Aufwuchs erhöhen.
Die Zahl der Entwaldungsbrände war in diesem Jahr geringer als 2019, in dem die höchsten Entwaldungsraten im Amazonasgebiet seit 2008 verzeichnet wurden. 2019 lagen die Brände zur Entwaldung und Degradierung um etwa 30 % über dem vorherigen Jahrzehnt, während andere tropische Emissionen, hauptsächlich aus Indonesien, doppelt so hoch waren wie im vorherigen Jahrzehnt, da ungewöhnlich trockene Bedingungen das Abbrennen von Torf und die Entwaldung förderten.
Die Kohlenstoffsenken an Land und in den Ozeanen nehmen weiterhin im Einklang mit den Emissionen zu und absorbieren etwa 54 % der gesamten durch den Menschen verursachten Emissionen.
Emissionen aus der Landnutzung bleiben unverändert
Julia Pongratz untersucht insbesondere, welchen Einfluss die Landnutzung durch den Menschen auf die globale Kohlenstoffbilanz – und damit auch das Klima – hat. Im Vergleich zu den ungewöhnlich hohen Emissionen durch Landnutzungsänderungen 2019, die unter anderem durch außerordentlich trockene Bedingungen in Indonesien und die höchsten Entwaldungsraten im Amazonasgebiet seit 2008 verursacht waren, lagen die Werte 2020 niedriger und entsprachen dem Durchschnitt des letzten Jahrzehnts.
„Erstmals konnten wir für 2020 zudem auch Brutto-Werte für die Auswirkung von Landnutzungsänderungen auf das globale Kohlenstoffbudget abschätzen“, sagt die Geografin. Dabei fanden die Wissenschaftler, dass durch Landnutzungsänderungen – hauptsächlich durch Entwaldung – ungefähr 16 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt wurden. Dem gegenüber stehen knapp 11 Milliarden Tonnen, die hauptsächlich durch die Aufgabe landwirtschaftlicher Nutzflächen wieder aufgenommen wurden. Netto waren die Emissionen aus Landnutzungsänderungen mit etwa 6 Milliarden Tonnen CO2 ähnlich hoch wie im vergangenen Jahrzehnt. „Wir sehen also in diesem Bereich noch keine Reduktion. Die Entwaldung schreitet vor allem in tropischen Regionen immer noch stark fort, und im Schatten von COVID-19 sind die Emissionen aus der Landnutzung in der öffentlichen Wahrnehmung zurückgetreten“, stellt Pongratz fest. „Maßnahmen zum besseren Landmanagement könnten sowohl der Entwaldung Einhalt gebieten als auch dazu beitragen, die CO2-Senke durch Nachwachsen natürlicher Vegetation zu vergrößern.“
IOW lieferte zu
Die Meereschemiker des IOW steuern jährlich zu dem globalen Budget eigene Ostseedaten bei. Dafür messen sie kontinuierlich den pCO2-Gehalt im Oberflächenwasser der Ostsee zwischen Lübeck-Travemünde und Helsinki. Ihre Messgeräte sind an Bord des Finnlines-Fährschiffes „Finnmaid“ installiert, das regelmäßig diese Strecke befährt. So kann die Aufnahme oder Abgabe von CO2 zwischen Atmosphäre und Ostsee bestimmt werden. Dank einer weltweiten Vernetzung solcher Messungen lässt sich auf diesem Wege ermitteln, wie viel CO2 durch die Meere aufgenommen wird. „Unsere kleine Ostsee kann keinen nennenswerten Beitrag als CO2-Senke liefern, aber den generellen Trend einer ansteigenden Aufnahme sehen wir auch hier“, sagt Henry Bittig vom IOW. Für ihn ist das internationale Mammutvorhaben ein Vorzeigeprojekt. „Wir können hier gut den Wert von Langzeitbeobachtungen erkennen. Es lohnt sich, einen langen Atem zu haben. Durch den freien Zugang zu allen Daten sind wir einfach schneller geworden und können bereits kurz vor Jahresende die Jahresbilanz abschätzen.“
Das Team von 86 Klimaforschern aus aller Welt veröffentlicht die CO2-Bilanz 2020 in Earth System Science Data. Das Global Carbon Budget 2020 ist die 15. Ausgabe der jährlichen Gutachten. Aus Deutschland sind neben Julia Pongratz, Selma Bultan und Kerstin Hartung auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts (Bremerhaven), des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (Hamburg), des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie (Jena), des Karlsruhe Institute of Technology, des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung (Kiel) und des Leibniz-Instituts ür Ostseeforschung (Warnemünde) beteiligt.
->Quellen:
- io-warnemuende.de/globale-co2-bilanz-2020-veroeffentlicht-rekord-rueckgang-der-fossilen-co2-emissionen-iow-lieferte-daten-aus-der-ostsee
- uea.ac.uk/covid-lockdown-causes-record-drop-in-co2-emissions-for-2020
- exeter.ac.uktitle_830589_en
- doi.org/essd-12-3269-2020
- globalcarbonproject.org/carbonbudget
- uni-muenchen.de/pongratz_globalcarbonprojekt
- globalcarbonatlas.org
- http://carbonmonitor.org