ITER-Teile werden zusammengebaut
ITER – der „Internationale Thermonukleare Experimentelle Reaktor“, nicht zu verwechseln mit dem „kleinen Bruder“ JET, dem „Joint European Torus“ – ist der bisher größte und ehrgeizigste Versuch, die Energie der Kernfusion nutzbar zu machen. Das 20-Milliarden-Euro-Experiment im südfranzösischen Cadarache bei Saint-Paul-lez-Durance 75 km nördlich von Marseille ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der sieben gleichberechtigten Partner EU, welche die 27 EU-Staaten und die Schweiz vertritt, der USA, Chinas, Südkoreas, Japans, Russlands und Indiens entwickelt, gebaut und betrieben. Jetzt – nach 13 Jahren Bauzeit, wird damit begonnen, die Komponenten zusammenzufügen.
ITER soll zeigen, dass es physikalisch und technisch möglich ist, durch Kernverschmelzung Energie zu gewinnen. Er soll zum ersten Mal ein brennendes und für längere Zeit energielieferndes Plasma erzeugen. ITER soll eine Fusionsleistung von 500 Megawatt liefern – zehnmal mehr, als zur Aufheizung des Plasmas verbraucht wird. Außerdem sollen wesentliche technische Funktionen eines Fusionskraftwerks entwickelt und getestet werden. Hierzu gehören supraleitende Magnete, die Tritium-Technologie, das Abführen der erzeugten Wärme-Energie sowie die Entwicklung fernbedient auswechselbarer Komponenten; ebenso bearbeitet werden Sicherheits- und Umweltfragen.
Das Projekt wurde durch ausufernde Kosten verzögert – so hat eine der alle zwei Jahre stattfindenden kritischen unabhängigen Evaluationen 2015 die Führungsspitze vor einigen Jahren zum Rücktritt gezwungen – ITER stand vor dem Aus. „Wir haben das gleiche Gefühl wie jemand, der mehrere Marathons hintereinander laufen soll, und man erreicht den ersten, weiß aber trotzdem, dass es noch viele weitere zu tun gibt“, sagte Bernard Bigot, der 2015 das Amt des ITER-Generaldirektors übernahm, gegenüber Scientific American. „Das gibt uns mehr Vertrauen in die Zukunft, aber wir wissen, dass nichts [als] selbstverständlich angesehen wird.“
Kritiker halten das Experiment ohnehin für ein Milliardengrab. Die ursprünglich anvisierten Kosten von fünf Milliarden Euro sind bereits auf mehr als das Vierfache gestiegen. Zudem kämpfen die Entwickler noch mit physikalischen Problemen, etwa mit der Frage, wie die Hitze aus dem Reaktor sicher abgeführt und frischer Brennstoff nachgeliefert werden könnte. Hauptargument der Gegner: Die Entwicklungszeit dauert zu lange, um den Klimawandel noch aufzuhalten. Man solle das Geld für ein Experiment, das nicht einmal ein funktionierendes Kraftwerk sein soll, sondern lediglich ein Proof of Concept, besser in Windräder, Solaranlagen oder andere erneuerbare Energiequellen sowie in intelligente Netze investieren.
Doch im Juli 2020 erreichte ITER mit dem offiziellen Beginn der Maschinenmontage endlich einen lang ersehnten Meilenstein: Wissenschaftler begannen, die verschiedenen von den Partnerländern bereitgestellten Komponenten zusammenzufügen. Die Herausforderung besteht im Wesentlichen darin, einen Miniaturstern in einem Labor zu bauen – und ihn dann zu kontrollieren. Das Herzstück des Experiments ist ein 23.000-Tonnen-Zylinder, in dem intensive supraleitende Magnete versuchen werden, in der Brennkammer ein 150-Millionen-Grad-Celsius-Wasserstoffplasma lange genug einzuschließen, damit die Fusion stattfinden kann. Superstarke Magnete sorgen dafür, dass die Teilchen von den Wänden ferngehalten und beschleunigt werden. In der Brennkammer laufen dann im Prinzip die gleichen Prozesse ab wie im Inneren der Sonne. Das Plasma ist so heiß, dass die Wasserstoffatomkerne ihre Abstoßung überwinden und zu Helium verschmelzen. Dabei werden sehr energiereiche Neutronen freigesetzt. Diese Energie wird genutzt – so der Plan – um Wasser zu erhitzen. Der dabei entstehende Dampf treibt Turbinen an. ITER wird sowohl einen der heißesten Orte im Universum beherbergen – das Vakuumgefäß, in dem das 150 Millionen Grad Celsius heiße Plasma untergebracht ist – als auch einen der kältesten: die Magnete, die das Plasma einschließen und kontrollieren werden, müssen auf etwa vier Kelvin (-269 Grad C) gehalten werden.
Aber das wird in Cadarache noch nicht passieren. ITER ist nur ein Testreaktor, in dem nachgewiesen werden soll, dass die Kernfusion technisch beherrschbar ist und tatsächlich so viel Energie gewonnen werden kann, wie von den Forschern berechnet. Die Wissenschaftler hoffen, 2025 den sprichwörtlichen roten Knopf zu drücken und den Reaktor einzuschalten, mit dem ultimativen Ziel, ihn bis 2035 mit voller Leistung zu betreiben. Wenn das gelingt, wäre der Gewinn gigantisch. Die Kernfusion hat das Potenzial, viel mehr Energie freizusetzen als die Verbrennung von Kohle oder Öl oder sogar die Kernspaltung, mit der herkömmliche Kernkraftwerke betrieben werden. Bei der Fusion entstehen weder Treibhausgase noch radioaktiver Abfall. „Aus meiner Sicht ist die Fusion wirklich die eine Option, die die wiederverwendbare Energie ergänzt und die Lösung für den Klimawandel sein könnte“, sagt Bigot. „Die nächsten drei oder vier Jahre werden entscheidend sein.
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