Mit Hilfe des Tiefsee-Bohrschiffs Chikyu erhält internationales Forscherteam erstaunliche Erkenntnisse
Mikroben besiedeln den Meeresgrund bis in mehrere Kilometer Tiefe. Das ist erst seit rund 30 Jahren bekannt. Dort gilt: Je tiefer desto wärmer. Und so stellt sich die Frage nach dem Temperaturlimit, bei dem Leben noch möglich ist. Dies hat ein internationales Forschungsteam untersucht, unter Leitung des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen und der Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology (JAMSTEC) – mit Beteiligung von Jens Kallmeyer vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ. Die Bohrungsexpedition vor Japan zeigte: Auch in 120 Grad Celsius heißen Zonen finden sich noch aktive Bakterien. Die Studie ist heute im Fachmagazin Science erschienen.
Mikroorganismen in marinen Sedimenten seien ein wesentlicher Teil der irdischen Biomasse. Dabei sei etwa die Hälfte des Sediment-Volumens am Meeresgrund wärmer als 40 Grad Celsius. Von einigen besonders wärmeliebenden Mikroorganismen sei bekannt, dass sie bei bis zu 80 Grad Celsius existieren könnten. Noch höhere Temperaturen ertrügen zum Beispiel Archaeen – im Labor habe man kurzzeitig sogar 122 Grad Celsius gemessen, heißt es in einer GFZ-Pressemitteilung vom 04.12.2020.
Doch wie wirkt sich eine derartige Hitze langfristig auf solche Lebewesen aus? Um das zu erforschen, braucht es Zugang zu ihren Lebensräumen. Und der ist der Wissenschaft nur mit dem Tiefsee-Bohrschiff Chikyu möglich. Im Nankai-Graben vor Japan gebe es für solche Bohrungen besonders günstige Bedingungen: Dort erreiche man 120 Grad heiße Habitate nicht erst 4000 Meter unter dem Meeresboden, sondern bereits bei 1.180 Metern, bei allerdings 4.800 Meter Wassertiefe, so die Wissenschaftler.
Die Expedition fand im Jahr 2016 im Rahmen des internationalen Bohrprogramms IODP (International Ocean Drilling Program) statt.
Erstaunliche Ergebnisse
Die wesentlichen Befunde: Zum Erstaunen der Forschenden brach die Konzentration von vegetativen Zellen, also Mikroorganismen, die aktiv Stoffwechsel betreiben, bereits oberhalb von 45 Grad Celsius um zwei Größenordnungen ein, auf weniger als 100 Zellen pro Kubikzentimeter.
In Sedimenten mit Temperaturen zwischen 75 und 95 Grad Celsius sei die Zahl an Endosporen rapide angestiegen, auf rund 120.000 pro Kubikzentimeter. Endosporen seien Zellen bestimmter Bakterienarten, die zum Überleben unter unvorteilhaften Bedingungen in einen Ruhe-Modus schalteten, erklären die Forscher.
Auch bei 120 Grad Celsius habe es noch lebendige Zellen gegeben, die metabolisch aktiv waren. Sie hätten Acetat, einen gängigen Bakteriennährstoff, zu Methan umgesetzt, allerdings nur mit einer extrem niedrigen Rate. Diese sehr schwachen Lebenszeichen hätten nur mit ausgeklügelten, sehr empfindlichen Methoden detektiert werden können, berichten die Wissenschaftler.
Untersuchungen oberhalb von 120 Grad Celsius seien aufgrund der geologischen Bedingungen vor Ort nicht möglich gewesen, weil die Sedimentschicht nicht tiefer reichte.
„Besonders überrascht waren wir von der Tatsache, dass sich oberhalb von 45 Grad Celsius besiedelte Zonen mit solchen abwechseln, in denen gar kein Leben nachweisbar war. Möglicherweise sind sie nicht ganz tot, enthalten aber auf jeden Fall weniger als 16 Zellen pro Kubikzentimeter. Diese Schichten konnten an die 200 Meter dick sein. Darunter, in größerer Tiefe und bei höheren Temperaturen konnten wir dann wieder Mikroorganismen finden“, sagt Jens Kallmeyer vom GFZ.
Als Ursache für diese vergleichsweise leblosen Zonen vermuten die Forschenden, dass hier im Laufe der Sedimententwicklung kurzzeitig auftretende extrem hohe Temperaturen alles Leben ausgelöscht haben.
Ausgefeilte Analysen
Jens Kallmeyer leitet in der GFZ-Sektion Geomikrobiologie das Labor für aquatische Geochemie und das Radioisotopenlabor. Er hat die Expedition nicht an Bord begleitet, sondern gehörte zu dem internationalen Team, das mit seiner jeweiligen Expertise die vielen hochspezialisierten Experimente zur Analyse der gewonnenen Bohrproben geplant, durchgeführt und ausgewertet hat. Sie detektieren und zählen die Mikroben und beobachten ihre biologischen oder chemischen Aktivitäten.
Kallmeyers Spezialität ist die Detektion von mikrobieller Aktivität mithilfe radioaktiver Marker. Selbst die sensitivsten molekularbiologischen Methoden sind hierfür bislang ungeeignet, weil die Anzahl an Mikroben viel zu gering ist. Stattdessen füttert man sie mit radioaktiv markierten Substanzen, die sich dann auch im Stoffwechselprodukt nachweisen lassen müssten. Auf diese Weise konnten Kollegen zum Beispiel nachweisen, dass Methan biologisch produziert wird – nicht auf anderem Wege.
„Innerhalb der letzten 20 Jahre konnten viele Nachweisverfahren deutlich verbessert werden, teils sind sie nun hundertausendmal empfindlicher“, betonte Co-Expeditionsleiter Yuki Morono von JAMSTEC.
Großes Gemeinschaftsprojekt
„Die Ergebnisse unserer Expedition sind überraschend. Sie zeigen, dass am unteren Rand der Biosphäre tödliche Grenzen und Überlebenschancen dicht beieinander liegen. Das hatten wir so nicht erwartet“, sagt Co-Expeditionsleiterin Verena Heuer vom MARUM, „und dieser Erkenntnisgewinn wäre ohne das starke interdisziplinäre Team und seine engagierte Zusammenarbeit nicht möglich gewesen.“
An der aktuellen Publikation haben 43 Autoren aus 29 Instituten zusammengearbeitet, insgesamt waren Wissenschaftler aus neun Nationen beteiligt.
Originalstudie:
Verena B. Heuer, Fumio Inagaki, Yuki Morono, Yusuke Kubo, Arthur J. Spivack, Bernhard Viehweger, Tina Treude, Felix Beulig, Florence Schubotz, Satoshi Tonai, Stephen A. Bowden, Margaret Cramm, Susann Henkel, Takehiro Hirose, Kira Homola, Tatsuhiko Hoshino, Akira Ijiri, Hiroyuki Imachi, Nana Kamiya, Masanori Kaneko, Lorenzo Lagostina, Hayley Manners, Harry-Luke McClelland, Kyle Metcalfe, Natsumi Okutsu, Donald Pan, Maija J. -Raudsepp, Justine Sauvage, Man-Yin Tsang, David T. Wang, Emily Whitaker, Yuzuru Yamamoto, Kiho Yang, Lena Maeda, Rishi R. Adhikari, Clemens Glombitza, Yohei Hamada, Jens Kallmeyer, Jenny Wendt, Lars Wörmer, Yasuhiro Yamada, Masataka Kinoshita, Kai-Uwe Hinrichs: Temperature limits to deep subseafloor life in the Nankai Trough subduction zone. Science 2020. DOI: 10.1126/science.abd7934
->Quelle: GFZ-Potsdam.de/wie-heiss-darf-es-sein-fuer-das-leben-im-ozeanboden?